# taz.de -- Parteiinterne Kritik an Merkel: AKW-Abschaltung wohl rechtswidrig
       
       > Die Regierung ist unsicher, ob Merkels Schnellschuss rechtlich überhaupt
       > durchsetzbar ist. CDU-Parteikollegen werfen ihr vor, am Parlament vorbei
       > zu agieren.
       
 (IMG) Bild: Im Bundeskanzleramt erklärte Merkel, dass eine schnelle Abschaltung möglich sei.
       
       BERLIN taz | Angela Merkels Atom-Moratorium gerät, kaum verkündet, von
       mehreren Seiten unter Druck. Vonseiten der Politik, der Konzerne und vor
       allem juristisch. Die Opposition fordert die Rückkehr zum rot-grünen
       Atomausstieg und will dies am Donnerstag per namentliche Abstimmung im
       Parlament unterstreichen [1][(siehe Interview mit Jürgen Trittin)]. Aber
       auch aus den eigenen Reihen kommt Kritik am Schnellschuss der Kanzlerin -
       besonders weil das Moratorium am Parlament vorbei durchgesetzt werden soll.
       
       Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) lässt prüfen, ob es dabei mit
       rechten Dingen zugeht oder ob "weitere gesetzliche Regelungen" nötig sind.
       Auch in Regierungskreisen ist man sich bewusst, wie dünn das Eis ist, auf
       dem man sich mit dem Moratorium bewegt. Es sei eben darum gegangen,
       Handlungsfähigkeit zu beweisen - so wie in der Bankenkrise im Herbst 2008,
       als die große Koalition den Sparern versprach, ihr Geld sei sicher.
       
       "Die Regierung musste angesichts der Bilder aus Japan handeln. Da sollte
       man nicht päpstlicher als der Papst sein", sagt ein Spitzenpolitiker der
       FDP. Doch die Wirkung von TV-Bildern kurz vor Landtagswahlen ist das eine,
       ein rechtlich wasserdichtes Verfahren etwas anderes.
       
       ## Zweifel in der Regierung
       
       Die Regierung scheint selbst unsicher, ob ihr Verfahren rechtlich
       wasserdicht ist. Das zeigt der stille Wechsel der rechtlichen Begründung
       für das Moratorium. Zuerst war die Rede davon, dass die schwarz-gelbe
       Regierung das Gesetz über die Laufzeitverlängerung einfach für drei Monate
       aussetzt.
       
       Doch das geht schlicht nicht. Laut einem Gutachten des Wissenschaftlichen
       Dienstes des Bundestags, das der taz vorliegt, wäre die Aussetzung der im
       Herbst 2010 beschlossenen Laufzeitverlängerung verfassungsrechtlich nicht
       möglich.
       
       "Zur Änderung der Reststrommengen der Kernkraftwerke bedürfte es einer
       Änderung des Atomgesetzes durch ein Bundesgesetz." Im Klartext: Es ist
       unzulässig, am Parlament vorbei ein Gesetz für eine Zeit auszuhebeln, wenn
       dies zu Nachteilen für Bürger oder Unternehmen führt. Schwarz-Gelb hätte im
       Bundestag also erst sein eigenes, erst vor sechs Monaten beschlossenes
       AKW-Gesetz kassieren müssen.
       
       Also setzt die schwarz-gelbe Regierung jetzt auf ein anderes Verfahren, um
       schnell und ohne parlamentarisches Prozedere Fakten zu schaffen und
       Handlungsfähigkeit zu beweisen: das Atomgesetz.
       
       Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) ist der Ansicht, dass Paragraf 19
       Absatz 3 das Moratorium rechtfertigt. Dort heißt es, dass AKWs "einstweilen
       oder endgültig eingestellt" werden können, wenn ein rechtswidriger Zustand
       besteht oder wenn sich durch radioaktive Strahlung "Gefahren für Leben,
       Gesundheit und Sachgüter ergeben können". Die Staatssekretärin im
       Umweltministerium, Ursula Heinen-Esser, hält genau das nach dem GAU in
       Japan für evident. Bei neuen Erkenntnissen über die Sicherheitslage, könne
       das Ministerium eingreifen.
       
       ## Keine Legitimation für Abschaltung
       
       Auch diese Begründung des Moratoriums wirkt wenig sattelfest.
       Linkspartei-Politiker und Jurist Wolfgang Neskovic kritisiert: "Der
       Paragraf 19 Abs. 3 des Atomgesetzes ist erkennbar auf ganz konkrete
       Gefahrenlagen ausgerichtet, nicht jedoch auf die Neubewertung allgemein
       bekannter, abstrakter Risikolagen." Genauso sieht es der CDU-Rechtsexperte
       Siegfried Kauder. Ohne "konkrete Strahlengefahr für die Bevölkerung oder
       einen Verstoß der Kraftwerksbetreiber gegen rechtliche Vorgaben" tauge der
       Paragraf nicht als Legitimation für die Abschaltung.
       
       Will sagen: Damit der Paragraf greift, muss das Umweltministerium für jedes
       abgeschaltete AKW konkret nachweisen, dass eine Gefährdung besteht. Und
       zwar seit Montag - nicht aber schon in der letzten Woche. Das dürfte
       schwierig werden - und teuer. Wenn die betroffenen Konzerne Eon,
       Vattenfall, RWE und EnBW nach Ablauf einer Pietätsfrist doch vor Gericht
       ziehen und gegen das Moratorium klagen, könnte sich die
       Atomgesetzkonstruktion als folgenschwerer Fehler erweisen.
       
       Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) musste am Mittwoch im Umweltausschuss
       Rede und Antwort stehen. Der Minister sei "ein einziger Wackelpudding",
       klagte anschließend der SPD-Umweltpolitiker Matthias Miersch. Über eine
       mögliche Übertragung der Reststrommengen - für die vom Netz gehenden
       Altmeiler würden andere Reaktoren einfach länger laufen können - habe sich
       Röttgen nur vage geäußert.
       
       Der Minister bekundete indes, es sei nun Zeit zum Handeln und nicht für
       "juristische Spitzfindigkeiten". Das Moratorium, so Röttgen, sei ein
       "politischer Begriff". Und damit kein rechtlich haltbarer?
       
       Die schwarz-gelbe Regierung scheint mit ihrem Atommoratorium in Fallen zu
       tappen, die sie selbst ausgehoben hat. Ohne das Gesetz über die
       AKW-Laufzeitverlängerung wäre das politische und juristische Dickicht auf
       dem Weg zur AKW-Reduzierung kaum so undurchdringlich.
       
       16 Mar 2011
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /1/zukunft/schwerpunkt-anti-akw/artikel/1/schwarz-gelb-hat-angst-vor-waehlern/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) S. Reinecke
 (DIR) W. Schmidt
       
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