# taz.de -- Arabische Revolutionen: Im Windschatten Libyens
       
       > Jemen, Bahrain, Syrien – in der arabischen Welt finden so viele
       > umwälzende Entwicklungen statt, dass man gar nicht weiß, wohin man zuerst
       > schauen soll. Ein Überblick.
       
 (IMG) Bild: Kaum wahrgenommen: Protest in Jemen.
       
       KAIRO taz | In Libyen hält eine arabische Revolution die Welt im Bann,
       nicht zuletzt weil die UNO, die Nato, die Europäer und die USA nicht mehr
       Zaungast, sondern aktive Teilnehmer geworden sind. Noch kämpft die Welt mit
       dieser ungewohnten Rolle, die sich nicht mehr in alten Kategorien wie
       Imperialismus oder Kampf ums Öl fassen lässt.
       
       Auch die Arabische Liga kämpft, wie die Aussagen von ihrem Generalsekretär
       Amr Mussa zeigen. Er kritisiert, dass zur Durchsetzung der Flugverbotszone
       jetzt Zivilisten bombardiert werden. Gleichzeitig fliegen Kampfjets des
       Golfemirats Katar über den libyschen Luftraum. Die arabische Welt ist
       komplizierter geworden.
       
       Dort weiß man derzeit gar nicht, wohin man sich wenden soll. Denn im
       Windschatten von Japan und Libyen finden umwälzende Entwicklungen statt,
       die bei einer ruhigeren Nachrichtenlage jede für sich eine Schlagzeile wert
       gewesen wären.
       
       ## Saleh dürfte der Nächste sein
       
       Der seit 32 Jahren regierende jemenitische Präsident Ali Abdallah Saleh ist
       aller Voraussicht nach der nächste auf der arabischen Diktatorenliste, der
       den Abgang machen wird, wahrscheinlich vor Muammar al Gaddafi. Seit Wochen
       dauern die Demonstrationen der Demokratiebewegung im Jemen an. Vergangenen
       Freitag kam es dann in der Hauptstadt Sanaa zu einem [1][Massaker unter den
       friedlichen Demonstranten].
       
       Mindestens 42 von ihnen starben im Kugelhagel von auf den Dächern
       postierten Scharfschützen. Doch die Menschen lassen sich nicht abschrecken.
       Die Beerdigung der ermordeten Demonstranten wurde zu einer
       Machtdemonstration der Demokratiebewegung. Seitdem brechen Saleh
       nacheinander die Säulen seiner Macht weg. Wichtige Armeegeneräle verweigern
       ihm den Gehorsam und laufen zu den Demonstranten über. Ebenso wie einige
       seiner Minister, bevor Saleh in einem letzten Verzweiflungsakt sein
       Kabinett gefeuert hat.
       
       Jemenitische Botschafter im Ausland von der UNO bis China wenden ihrem
       Präsidenten den Rücken zu. Der Gouverneur von Aden tritt zurück. Der
       vermutlich für Saleh in der jemenitischen Stammesgesellschaft
       folgenschwerste Schritt: ganze Stämme verkünden ihre Loyalität zu den
       friedlichen Aufständischen. Und nun hat er für Ende des Jahres seinen
       Rücktritt in Aussicht gestellt. Ali Abdallah Saleh ist am Ende.
       
       ## Die Saudis in Bahrain
       
       In Bahrain versucht die herrschende Al-Khalifa-Familie die Protestbewegung
       mit Unterstützung der saudischen Armee, die sie zu Hilfe gerufen hat,
       brutal zu unterdrücken. Was in dem einzigen großen Krankenhaus in der
       Hauptstadt Manama in den vergangenen Tagen geschehen ist, spricht Bände.
       Militär und Polizei hatten das Gebäude übernommen und machten regelrecht
       [2][Jagd auf hunderte verletzter Demonstranten], die dort als Patienten
       lagen. Ursprünglich durch die Polizeieinsätze verletzt, wurden sie im
       Krankentrakt verprügelt und mitgenommen, genauso wie einige der Ärzte,
       einer von ihnen aus dem Operationssaal weg.
       
       In ihrem verzweifelten Versuch nach Aufrechterhaltung des Status Quo machen
       die arabischen Herrscher auch nicht vor Krankenhäusern halt. Saudi-Arabien
       übt in Bahrain für die Unterdrückung seiner eigenen schiitischen
       Bürgerbewegung im Osten des Landes.
       
       ## In Syrien beginnt der Protest in der Provinz
       
       Gerade versuchte man die Geschichten aus Bahrain zu verarbeiten, da kamen
       die ersten YouTube-Videos aus Syrien, regiert mit der eisernen Faust
       Baschar Assads und seiner zahlreichen berüchtigten Geheimdienste. Aber auch
       die Syrer wollen nach tunesischem und ägyptischem Vorbild dieses repressive
       System endlich loswerden. Ähnlich wie in Tunesien, [3][beginnt der Aufstand
       in Syrien] nicht in der Hauptstadt, sondern in einem Provinznest namens
       Deraa im Süden des Landes unweit der jordanischen Grenze.
       
       Nach ägyptischem Vorbild zündeten die Demonstranten erst einmal die lokale
       Zentrale der verhassten regierenden Baath-Partei an. Der Sicherheitsapparat
       reagierte erwartungsgemäß brutal, mindestens fünf Menschen kamen ums Leben.
       Die Stadt Deraa ist vom Rest des Landes abgeriegelt. Aber geht es nach dem
       üblichen arabischen Revolutionsdrehbuch, dann bricht der Aufstand in den
       nächsten Tagen auch in anderen Teilen Syriens aus.
       
       ## Demokratiefest in Ägypten
       
       Und während überall die Hütte der alten arabischen Regimes brennt, feierte
       das nachrevolutionäre Ägypten am Wochenende sein erstes Demokratiefest, als
       das Land am Nil über ein [4][Verfassungsänderung abstimmte]. Ich war bei
       Freunden zu einem Referendumsfrühstück eingeladen. Anschließend zogen wir,
       wie viele andere, mit ägyptischen Fahnen zum Wahllokal und verteilten dort
       Süßigkeiten. Die ganze Gruppe, etwa 20 Leute, ging das erste Mal wählen.
       
       "Ich habe jedesmal Tränen in den Augen, wenn ich daran denke, dass ich
       wählen gehe und keine Ahnung habe, wie die Abstimmung ausgehen wird",
       erzählte mir ein guter Freund, der lange Jahre in der ägyptischen
       Menschenrechtsbewegung aktiv war, beim Frühstück. Und dann kam auch für
       mich der große Moment. Ich steckte das erste Mal in meinem Leben meinen
       Wahlzettel in eine ägyptische Urne, um anschließend meinen Finger in nicht
       abwaschbare Tinte einzutauchen, um sicherzustellen, dass ich nicht zweimal
       wählen kann. Es war ein bewegender Moment. Leider ist mein erstes
       arabisches Demokratiemal nach ein paar Tagen verblasst.
       
       Was in der arabischen Welt gerade geschieht, ist viel umfassender als der
       Blick auf den nächsten Bombeneinsatz in Libyen. Schade, dass Zeitungen nur
       eine Titelseite haben.
       
       22 Mar 2011
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /1/politik/asien/artikel/1/schwarzer-freitag-in-jemen/
 (DIR) [2] /1/politik/nahost/artikel/1/sechs-oppositionsfuehrer-verhaftet-1/
 (DIR) [3] /1/politik/nahost/artikel/1/tote-und-proteste/
 (DIR) [4] /1/politik/nahost/artikel/1/waehlen-in-festtagskleidung/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Karim Gawhary
 (DIR) Karim El-Gawhary
       
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