# taz.de -- Ticker Japan 26.März: Strahlen-"Zertifikate" für Menschen
> EU-Kommissarin fordert Echtzeit-Informationen zur Strahlenbelastung in
> Japan. Wachsende Unzufriedenheit mit Behörden. Notunterkünfte verlangen
> Strahlentest-Nachweise.
(IMG) Bild: Wie hoch ist die Strahlung wirklich? Die Regierung könnte besser informieren, sagt unter anderem die EU-Kommissarin.
## 15:47 Uhr: Schilder an Notunterkünften: "Diejenigen, die sich nicht
Strahlenprüfungen unterzogen haben, dürfen nicht rein."
In Japan mischt sich in die Furcht vor radioaktiver Verstrahlung zunehmend
Unmut über den Mangel an genauen Informationen. Bürgermeister von Gemeinden
klagen darüber, dass die Behörden und Japans Medien nach dem Bekanntwerden
erhöhter Werte keine weiteren Informationen bereitstellen und die Menschen
über die tatsächliche Gefahrenlage im Unklaren lassen. Als Folge werden die
Beteuerungen der Behörden, die Strahlen stellten keine unmittelbare Gefahr
für die Bevölkerung dar, zunehmend angezweifelt. Um dem Volk die wachsende
Sorge zu nehmen, fordern Experten mehr konkrete und laufend aktualisierte
Informationen über die Strahlenbelastungen.
Die Furcht vor möglicher radioaktiver Verseuchung geht soweit, dass einige
Notunterkünfte von Flüchtlingen Nachweise verlangen, dass sie sich auf
Strahlen haben untersuchen lassen. Ärzte hatten laut japanischen Medien
begonnen, "Zertifikate" für Menschen auszustellen, die auf Strahlen
untersucht und für problemfrei befunden wurden. In einem Notlager, das
Flüchtlinge aus der 20-Kilometer-Zone um das havarierte Kraftwerk in
Fukushima aufnimmt, wurde laut Medien ein Schild am Eingang aufgestellt mit
der Aufschrift: "Diejenigen, die sich nicht Strahlenprüfungen unterzogen
haben, dürfen nicht rein."
Das bestätigte auch Hiroyuki Hayashi, ein mit Strahlenuntersuchungen
beauftragter Arzt, gegenüber der japanischen Nachrichtenagentur Kyodo: "Wir
haben eine steigende Zahl von Fällen festgestellt, wo Bewohner aus den von
der Regierung verordneten Evakuierungsgebieten der Zutritt (zu
Flüchtlingslagern) verwehrt wurde".
## 15:44 Uhr: Autokonzerne gehen in Stromspar-Rotation, andere
Wirtschaftsbereiche könnten folgen
Japanische Autohersteller überlegen, ihre Produktion abwechselnd
herunterzufahren, um Strom zu sparen. Damit wollen die Konzerne verhindern,
dass ihre Stromversorgung wegen Engpässen nach dem Ausfall des havarierten
Atomkraftwerks Fukushima rationiert wird. Das berichtet die
Nachrichtenagentur Kyodo am Samstag unter Berufung auf Branchenkreise. So
wollten die Autokonzerne für die Produktion schädliche "Blackouts"
vermeiden. Ein kompletter Stromausfall für drei Stunden würde zum Beispiel
eine Karosseriefertigung für insgesamt neun Stunden lahmlegen.
Erwartet wird, dass sich die Unternehmen in Kürze im Rahmen eines Treffens
beim Branchenverband auf einen Rotationszeitplan einigen. Andere
Industriezweige könnten folgen, hieß es in dem Bericht.
Die Produktion in der japanischen Autobranche ist derzeit durch die Folgen
des schweren Erdbebens ohnehin bereits deutlich eingeschränkt. Die acht
größten Hersteller erwarten nach Angaben vom Freitag Produktionsausfälle
von etwa 365 000 Fahrzeugen. Wenn die Bänder nicht zu den bisher geplanten
Zeitpunkten wieder anlaufen könnten, seien höhere Ausfälle nicht
ausgeschlossen.
##
Nach der Atomkatastrophe in Japan sind auch in Frankreich erste radioaktive
Spuren aus dem havarierten Atomkraftwerk Fukushima nachgewiesen worden. Wie
das Institut für Strahlenschutz und nukleare Sicherheit (IRSN) in Paris am
Samstag mitteilte, handelt es sich jedoch nur um eine sehr geringe Erhöhung
der Konzentration von Jod 131 in der Luft. Es bestehe keinerlei Gefahr für
die Umwelt oder die Gesundheit der Bevölkerung.
Die Jod 131-Spuren wurden demnach zwischen Montag und Donnerstag von einer
IRSN-Messstation auf dem Puy de Dôme im Zentralmassiv gemessen. Cäsium 137
sei nicht entdeckt worden, die Konzentration liege unter der
Nachweisgrenze, ebenso wie die Ergebnisse aller weiteren Messstationen,
teilte das Institut mit.
## 13:45 Uhr: Verstrahltes Wasser in drei Reaktoren. Japanische Behörden:
"Keine Gefahr für das Leben im Meer".
Die um das 1250-fache erhöhte Belastung durch radioaktives Jod, die die
japanische Atomaufsicht am Samstag mitteilte, stelle ein geringes Risiko
für das Leben im Ozean dar, hieß es. Durch die Meeresströmung würden die
strahlenden Partikel weggeschwemmt und verdünnt, bevor Fische und Algen sie
aufnehmen könnten. Dennoch dürften die Messergebnisse Ängste in Japan und
darüber hinaus schüren - vor radioaktiv verseuchten Lebensmitteln und
unkontrollierbaren Folgen der Atomkraft generell. Zwei Wochen nach dem
Unfall durch Erdbeben und Tsunami war Japans schwerbeschädigtes AKW noch
weitgehend außer Kontrolle. Am Samstag versuchten Ingenieure, radioaktiv
verseuchtes Wasser aus dem Atomkomplex abzupumpen.
Verstrahltes Wasser wurde in drei der sechs Reaktoren gefunden. Das Wasser
müsse unbedingt aus den Turbinengehäusen entfernt werden, bevor die
Radioaktivität noch weiter steige, teilte die Atomaufsicht mit. Man suche
nach Wegen, um das kontaminierte Wasser sicher zu bergen und dabei nicht
die Umwelt zu verschmutzen. Temperatur und Druck hätten sich in allen
Reaktoren stabilisiert.
## Behörde: "Keine Hinweise auf Risse am Reaktor drei"
Es gebe keine Hinweise auf Risse am Reaktor drei, betonte die Atomaufsicht
zudem. Reaktor drei ist derjenige, in dessen Brennstäben das
hochgefährliche Plutonium verwendet wird. Hinweise auf Risse hatte die
Atomaufsicht am Vortag noch als möglich bezeichnet. Später erklärte die
Behörde, die erhöhte Radioaktivität im Inneren von Reaktor drei könne aber
auch auf die Kühlungsarbeiten oder auf Lecks in Rohren oder Ventilen
zurückgeführt werden. Am Donnerstag waren drei Techniker, die sich um die
Kühlung des heißgelaufenen Reaktors bemühten, verstrahlt worden. Sie waren
dort mit Wasser mit einer um das 10.000-fache erhöhten Strahlung in
Berührung gekommen.
##
Im Kampf gegen zunehmende Strahlung aus dem überhitzten Atomkraftwerk
Fukushima 1 sollen jetzt große Frachtschiffe der US-Kriegsmarine zur Hilfe
kommen. Ihre Ladung: Süßwasser. Im Reaktorblock 3 wird unterdessen
unterdessen ein Riss in der Stahlkammer um den Reaktorkern als Ursache für
eine rasant gestiegene Verstrahlung von Wasser befürchtet, wie die
japanische Atomaufsichtsbehörde NISA mitteilte.
Der Verdacht kam NISA zufolge auf, als zwei Arbeiter Hautverbrennungen
erlitten, die mit Wasser in Berührung kamen, dessen Radioaktivität 10.000
mal höher als sonst in der Anlage üblich war. Sollte tatsächlich der
Reaktorkern betroffen sein, könnte die Radioaktivität in der Umgebung des
Kraftwerks deutlich ansteigen. Die wahrscheinlichste Folge wäre eine
Kontamination des Grundwassers.
## 1250-fache Radioaktivität
In Meerwasser außerhalb eines der sechs Blocks von Fukushima sei um das
1.250-fache erhöhte Radioaktivität gemessen worden, sagte NISA-Sprecher
Hidehiko Nishiyama. Grund sei vermutlich sowohl in die Luft abgegebene
Radioaktivität als auch der Austritt von kontaminiertem Wasser. Wasser mit
einer ähnlich hohen Strahlenbelastung wurde nach Angaben der Betreiberfirma
Tepco auch im Block 1 von Fukushima entdeckt. Ebenso wurde in den Blöcken 2
und 4 Wasser gefunden, von dem das Unternehmen annimmt, dass es radioaktiv
ist. Eine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit bestehe aber nicht.
Ein Reaktorblock werde nun wegen der möglicherweise schädlichen Wirkung von
Meerwassersalz künftig mit Süßwasser gekühlt, erklärte Nishiyama. Seit dem
Einsatz von Süßwasser hätten sich die Temperaturen in Block 1 inzwischen
stabilisiert, sagte er am Samstag.
## US-Marine entsendet Süßwasserschleppkähne
Das US-Pazifikommando teilte mit, dass mit Süßwasser beladene Schleppkähne
der US-Marine nach Fukushima entsandt worden seien, um die Techniker bei
der Kühlung der Reaktorblöcke zu unterstützen.
## Behörden in Tokio verteilen Mineralwasserflaschen
In der Hauptstadt Tokio lag der Strahlungswert bei Leitungswasser doppelt
so hoch wie der von der Regierung vorgegebene Grenzwert für Kleinkinder.
Einwohner kauften massenweise Mineralwasserflaschen. Behördenvertreter
verteilten Mineralwasser an Familien mit Babys.
Nach Polizeiangaben waren am Samstag 10.151 Todesopfer bestätigt, mehr als
17.000 Menschen wurden noch vermisst. Letztlich rechnen die Behörden mit
mehr als 18.000 Toten wegen des Erdbebens und des nachfolgenden Tsunamis am
11. März. An der Nordküste Japans haben hunderttausende Menschen, deren
Häuser zerstört wurden, noch immer keinen Strom und keine warmen
Mahlzeiten.
##
Die Menschen in der Katastrophenregion in Japan benötigen laut der
EU-Kommissarin für Humanitäre Hilfe dringend mehr Echtzeit-Informationen
zur radioaktiven Verseuchung durch das havarierte Kernkraftwerk in
Fukushima. "Die lokale Bevölkerung ist sehr besorgt über die radioaktive
Belastung", sagte Kristalina Georgiewa am Samstag nach einem Besuch in der
Katastrophenregion in einem Telefongespräch mit der Nachrichtenagentur dpa.
Wichtig seien nicht nur mehr Messgeräte, sondern Strahlenwerte in Echtzeit
für die einzelnen Ortschaften.
Zwar würden Messungen durch die japanischen Behörden vorgenommen und
Informationen bereitgestellt. Doch wüssten viele Menschen dennoch nicht,
wie es speziell in ihrer jeweiligen Gegend genau aussehe, sagte die
EU-Kommissarin auf dem Weg zurück von einem Notlager in der Stadt
Kita-Ibaraki in der Unglücksprovinz Ibaraki. Es gibt sehr starke Besorgnis
unter den Menschen, auch in den nicht unmittelbar betroffenen umliegenden
Regionen. Vor allem Mütter seien verängstigt. Viele Menschen in den
Nachbarregionen fühlten sich wegen der Berichte über verstrahltes Gemüse
"stigmatisiert", obgleich viele ihrer Erzeugnisse überhaupt nicht belastet
seien, sagte Georgiewa.
##
Die Lage im havarierten Atomkraftwerk Fukushima hat sich nach Aussagen
eines Sprechers der japanischen Regierung nicht weiter verschlechtert. Es
sei jedoch derzeit noch nicht möglich, genau zu sagen, wann die Atomkrise
vorüber sei, sagte Kabinettssekretär Yukio Edano am Samstag. Die
Einsatzkräfte versuchen derweil mit Hochdruck, ausgelaufenes radioaktives
Wasser zu entfernen, um die Arbeiten zur Verkabelung der Kühlsysteme
fortsetzen zu können. Die Reaktorblöcke 1 bis 3 wurden am Samstag wieder
mit Wasser von außen gekühlt, um die drohende Überhitzung zu stoppen. Dabei
wurde nun nicht mehr Meerwasser, sondern Süßwasser eingesetzt.
1:15 Vor allem Cäsium-137 in Wasser von Block 1
Das verstrahle Wasser in Block 1 des Atomkraftwerks Fukushima enthält hohe
Mengen von Cäsium 137, wie es auch nach der Reaktorkatastrophe von
Tschernobyl vor nahezu 25 Jahren in großen Mengen in die Umwelt gelangt
ist. Die japanische Reaktorsicherheitsbehörde (NISA) veröffentlichte am
Samstag eine Analyse dieses Wassers, wobei acht radioaktive Substanzen
festgestellt wurden. An der Spitze der Aktivität steht Cäsium 137 mit 1,8
Millionen Becquerel.
Cäsium 137 hat im Unterschied zu radioaktivem Jod eine relativ lange
Halbwertzeit von 30,2 Jahren. Es entsteht bei der Kernspaltung in
Atomkraftwerken. Das untersuchte Wasser in Block 1 enthält darüber hinaus
unter anderem auch die Cäsium-Isotope 134 (160 000 Becquerel) und 136 (17
000 Becquerel) sowie Jod-131 (210 000 Becquerel).
22:25 Radioaktivität wohl in Körper der AKW-Arbeiter
Radioaktive Partikel sind vermutlich in die Körper der beiden verletzten
Arbeiter vom Kraftwerk Fukushima gelangt. Die Männer zeigten aber keine
Frühsymptome von Strahlenkrankheit und benötigten deshalb keine weitere
Behandlung, berichtete die Nachrichtenagentur Kyodo am Freitag unter
Berufung auf das nationale Institut für Strahlenforschung. Die Männer
könnten ohne fremde Hilfe gehen und könnten wahrscheinlich am Montag
entlassen werden.
Die beiden Arbeiter waren am Donnerstag bei Arbeiten am Krisen-AKW
Fukushima in stark radioaktiv belastetes Wasser getreten und kamen mit
Verbrennungen in eine Spezialklinik. Die Ganzkörperstrahlung, der die
Männer ausgesetzt waren, soll bei 173 bis 180 Millisievert gelegen haben.
Unterhalb der Knöchel soll die Strahlung aber bei 2 bis 6 Sievert gelegen
haben, berichtete das behandelnde Strahlenforschungsinstitut. Diese extreme
Dosis war nur lokal
21:30 Wulff fordert internationale Atomenergiebehörde
Bundespräsident Christian Wulff hat angesichts der Katastrophe in Japan für
eine machtvolle internationale Atomenergiebehörde plädiert. "Die Welt
braucht eine starke, international legitimierte Organisation in Fragen der
nuklearen Sicherheit", sagte Wulff am Freitag laut Redemanuskript auf dem
91. Ostasiatischen Liebesmahl des Ostasiatischen Vereins in der
Handelskammer Hamburg. Radioaktive Wolken machten an keiner Landesgrenze
halt. Er sei überzeugt, dass Japan die Kraft zum Wiederaufbau habe. "Aber
die Folgen des Unfalls im Atomkraftwerk Fukushima für Japan, seine Nachbarn
und die Welt sind in ihrer Gesamtheit noch nicht abzuschätzen." // Quellen:
dpa, dapd, rtr, afp, kyodo, nh, Asahi Shimbun
25 Mar 2011
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