# taz.de -- Vor der Wahl in Rheinland-Pfalz: Über den Fluss und in die Wälder
       
       > In der Pfalz liegen Idylle und verödete Kleinstädte nah beieinander.
       > Weinkönigin Julia Klöckner (CDU) will hier bald die Alleinherrschaft von
       > König Beck (SPD) beenden.
       
 (IMG) Bild: Rheinland-Pfalz, hier ist die Landschaft selbst mit Geschichte beschrieben.
       
       Wir müssen uns einen Überblick verschaffen. Auf der Parkbank blättert der
       Wind gelangweilt in einer Zeitung voller Probleme, Prognosen und Anzeigen
       für Prostatapillen, bevor er sie verwirft und raschelnd über das Pflaster
       scheucht. Egal. Denn hier ist die Landschaft selbst mit Geschichte
       beschrieben, dicht und bis zum Rand. Hier waren sie alle. Kelten, Römer,
       Treverer, Chatten, Vandalen, Franken, Franzosen, Bayern und Preußen. Gleich
       jenseits der Autobahnbrücke, die uns über den Rhein getragen hat, an seinem
       äußersten Rand also, empfängt uns dieses Landes mit einem rätselhaften
       Satz: "Wir machen's einfach".
       
       Was bedeutet das? Wird hier vereinfacht? Machen sie's hier einfach statt
       kompliziert? Ist dies ein Land der Tat? Und wer sind "wir"? Eigentlich
       müsste man das alles aus der Landschaft ablesen können, die hier in
       mächtigen Wellen und gespickt mit symmetrischen Rebenreihen zum Strom hin
       abfällt. Und tatsächlich sind die Hänge buchstäblich beschriftet wie ein
       surrealer Open-Air-Katalog. Mittelalterliche Lagenamen einheimischer
       Winzer, von der Moderne in Markennamen verwandelt: Herrgottsacker,
       Meerspinne, Maushöhle, Nacktarsch, Himmelacker.
       
       Rheinhessen ist, wie die linksrheinische Pfalz insgesamt, so etwas wie der
       sonnige Balkon des Landes. Kommt der Frühling nach Deutschland, dann wälzt
       er sich stromabwärts durch die Ebene, er berührt entlang der südlichen
       Weinstraße die ersten Knospen und benennt im Vorbeigehen die Ortschaften:
       Maikammer! Grünstadt! Weiter unten, an der Wasserstraße, siedeln auch die
       Vorposten der kapitalistischen Zivilisation. Vor allem die BASF, auf die
       sich 1909 schon der verschmunzelte Mundartdichter Paul Münch einen Reim zu
       machen versuchte: "Un was die Wissenschaft betrefft: / Die is jo unser
       bescht Geschäft / Dann mit Schemie un mit Physik / Schafft doch die
       Anilinfawrik/ Un das rentiert un tra't Prozente / Un kolossale Dividende".
       
       Jenseits von Prozenten und Dividenden erstreckt sich ein Wald, wie ihn
       schon die Kelten schätzten und die Römer fürchteten - die hielten sich
       lieber an Mosel und Rhein, von wo aus deren Soldatenkaiser ihre
       Reichsgrenzen besser im Blick hatten. Trier, die alte Stadt der Treverer,
       Hauptstadt des Weltreichs, war in der allmählich verblühenden Antike das
       "palatium", der kaiserliche Wohnsitz mit seinen Villen, Audienzhallen und
       Fußbodenheizungen. Von dort sickerte das Wort durch die Sedimente der
       Jahrhunderte, verwandelte sich vom spätlateinischen "palatia" in das
       althochdeutsche "pfalanza" und das mittelhochdeutsche "pfalenze", bevor es
       als "Pfalz" in die Gegenwart tropfte.
       
       ## Duell der Volkstümler
       
       Aus der freundlichen Südwestpfalz kommen beide, der alte König und seine
       junge Usurpatorin, die Weinkönigin. Beide sind sie Meister im Volkstümeln,
       beide "können sie mit den Leuten". Wenn der König spricht, spricht immer
       auch seine Herkunft mit. Er will sie nicht leugnen, die kleinen
       Verschleifungen und Rundungen und Versumpfungen in seiner Sprache, und er
       kann es wohl auch nicht. Die Weinkönigin gibt sich als Kind der Moderne.
       Ihre offizielle Rede in den Großstädten ist von regionalen Einfärbungen
       komplett bereinigt. Auf ländlicherem Terrain aber kann sie, wenn geboten,
       ihren Dialekt bequem zuschalten wie ein Geländewagen seinen Allradantrieb.
       Der König dagegen ist jenseits der Grenzen unter anderem daran gescheitert,
       dass er schon physisch die Provinz verkörpert. Innerhalb der Grenzen der
       Provinz ist das natürlich von Vorteil. Darum wirbt er, ganz Platzhirsch,
       mit dem Slogan "Der Ministerpräsident", so wie Volkswagen mit "Das Auto"
       wirbt - als wäre kein anderer König denkbar.
       
       Auf der Suche nach Sorgen müssen wir weiter nach Südwesten vordringen. Weg
       von den lieblichen Verschanzungen des Wohlstands, hinauf in die Berge und
       hinein in den Wald. Wo einleuchtet, dass Wald in früheren Zeiten eine
       Wildnis war, die in harter Arbeit zurückgedrängt werden musste. Wo auf
       Lichtungen immer nur Rehe grasen, während sich die Hirsche wie Zuhälter im
       Unterholz halten. Wo die Bussarde im Aufwind zirkeln und Krähen in zähen
       Füchsen picken, die es nicht über die Straße geschafft haben. Wo die Dörfer
       sich in Talsenken schmiegen, heißen sie Thaleischweiler-Fröschen. Krallen
       sie sich auf die Kämme der Landschaft, heißen sie Höheinöd. Rüben, Reben
       und Kartoffeln.
       
       Architektonisch dominiert der dissonante Dreiklang aus trutzigem Sandstein,
       abweisendem Eternit und luftigem Glas, wobei die Neubauten lieber unter
       sich bleiben wie Zuwanderer aus einer eigenen Kultur. Ein Stahlhelmträger
       aus Granit steht immer irgendwo und starrt grimmig nach Westen, eine Liste
       mit den Namen "unserer Gefallenen" bewachend. In den meisten Dörfern gibt
       es keine Läden mehr. Gar keine. Manchmal kommt die mobile Bäckerei oder das
       "fahrbare Fleischereifachgeschäft" ins Dorf und parkt für eine halbe Stunde
       in den Buchten verwaister Bushaltestellen, bevor es weitergeht ins nächste
       Dorf, das sich mit einem weiteren Fußballplatz ankündigt. Tore ohne Netze,
       an den Banden verwittert die Werbung der örtlichen Volksbank. Hier fordert
       ein böser Geist: "Volkstod stoppen! 1000 Euro Muttergeld". Und harmlosere
       Einfalt, die zur "Havanna-Party" lädt oder zur "Achtziger Jahre Disco".
       
       Was einmal eine alte Tankstelle war, wurde Videothek, wurde Bäckerei, wurde
       Trinkhalle und dann geschlossen. Wir können diesen Werde- und Niedergang an
       den archäologischen Aufkleberschichten ablesen, mit denen die blinden
       Fenster bedeckt sind. Der jüngste Aufkleber: "Zu vermieten", immerhin. Rote
       Erde aus den groben Stollen von Traktorreifen bedeckt die Hauptstraßen so
       gründlich, als wären sie nie asphaltiert worden. Ringsum liegen noch die
       Felder wie ein Hundefell, in hellem Braun und flach ineinander verflochten
       vom weißen Druck des Winters. Die schmalen Landstraßen zwischen den Weilern
       sind gewunden und von vielen Frösten pockennarbig und aufgesprungen wie
       trockene Lippen.
       
       Hin und wieder folgen sie einem umsumpften Bachlauf, wo grübelnde Weiden
       unschlüssig am Ufer stehen. In den Tälern wird der Empf so schl, dass chmal
       gan Silben hlen. Klar und deutlich empfangen wir stattdessen französische
       Sender, wo lebhafte Stimmen über "Füküshima" streiten. Kein Felssporn, auf
       dem nicht Burgruinen sich erheben würden wie historische Hornissennester.
       Ein Land wie durchgestrichen von den Kondensstreifen, die in zehn Kilometer
       Höhe den blauen Himmel kreuzen und queren. Nur selten ist mal die silberne
       Schachtel einer modernen Fabrik in die Auen gekeilt. Vereinzelt stehen
       reglos Windkraftanlagen, als schämten sie sich für ihre weiß lackierte
       Präsenz in dieser Wildnis.
       
       ## Sterbende Städte
       
       Hier sterben die Städte an der gleichen Krankheit wie jene im Osten.
       Pirmasens beispielsweise liegt wie runtergefallen und mit dem Besen in die
       Ecke gekehrt in einem besonders entlegenen Winkel des Landes. Eine alte
       Garnisonsstadt, wo einst die Schuhindustrie blühte, bevor die Zeitläufte
       darüber hinwegtrampelten. Zu Hochzeiten lebten fast 60.000 Menschen in
       "Bärmesens", wie die Pfälzer sagen, heute sind es gerade mal 41.000. Umso
       kräftiger wird gebaut und an der Infrastruktur geschraubt. Was abstirbt, so
       die Logik, muss angebunden werden, warum und woran auch immer. Auf den
       Reisenden wirkt es dann, als wäre der ganze Ort hinter Zubringern,
       Unterführungen, Kreiseln und Umgehungsstraßen einfach verschwunden.
       
       Per Federstrich bringt der König den Fortschritt, er türmt Terrassen und
       fräst Trassen durch die stumme Duldsamkeit der Wälder. Sattelschlepper
       rumpeln über Rampen und wirbeln Staubwolken auf, die vom leichten Wind
       mitgeführt werden wie Rauch. Frisch aufgeworfene Erde hat nichts
       Mineralisches, sie leuchtet feucht und rot wie Fleisch. Darüber wedelt ein
       Caterpillar ungelenk mit stählerner Hand, als müsse er einen unsichtbaren
       Gegner abwehren.
       
       Und dann haben wir uns verstiegen. Hängen in den Wänden über dem Felsenland
       und suchen nach sicherem Griff und Tritt. Der Blick geht ins Tal, an den
       unbefestigten Rändern der Landstraße reihen sich die bunten Tupfer der
       Wahlplakate. Exotische Blumen, die nur alle vier Jahre kurze Zeit in
       sinnloser Blüte stehen. Der Mundartdichter wusste schon damals, wovon er
       schrieb: "Die Palz is zwar a jetzt noch schenner / Als all die ann'r Herre
       Länner/ Un in de Palz do sin noch heit / Die scheenschte un die stammschte
       Leit / Un nerjends is es Obst so sieß / 's is awwer nimme 's Paradies!"
       
       25 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Arno Frank
       
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       Posten.