# taz.de -- Wie würden Ausländer abstimmen?: Wahlen für alle BerlinerInnen
       
       > Ein Projekt will herausfinden, wer in Berlin die meisten Stimmen bekäme,
       > wenn alle EinwohnerInnen wählen dürften. So soll auch eine neue Debatte
       > übers Wahlrecht in Gang kommen
       
 (IMG) Bild: Wer kriegt die Stimmen der Menschen ohne deutschen Pass?
       
       Genau 2.466.282 der knapp dreieinhalb Millionen BerlinerInnen können bei
       der Neuwahl des Abgeordnetenhauses am 18. September ihre Stimme abgeben.
       Doch dürften tatsächlich alle volljährigen HauptstädterInnen wählen, läge
       die Anzahl der Stimmberechtigten um fast 14 Prozent höher. Beinahe einer
       halben Million BerlinerInnen bleiben die Wahllokale verschlossen. Der
       Grund: Sie haben keinen deutschen Pass.
       
       "In manchen Teilen meines Bezirks ist die Hälfte der Erwachsenen von den
       Wahlen ausgeschlossen", sagt Jan Stöß. Stöß, Stadtrat für Finanzen, Kultur,
       Bildung und Sport in Friedrichshain-Kreuzberg, SPD-Vorsitzender des Bezirks
       und Mitglied im Landesvorstand der Partei, ist deshalb seit Kurzem auch
       noch stellvertretender Chef des Vereins Jede Stimme, der diesem Ausschluss
       abhelfen möchte.
       
       Der Verein will eine Parallelwahl organisieren, die kurz vor den
       offiziellen Berlinwahlen stattfinden soll - und bei der die bislang von
       Wahlen ausgeschlossenen BerlinerInnen ihre Stimmen abgegeben können. Damit
       das möglichst zahlreich geschieht, sollen der Fiktivwahl
       Informationsveranstaltungen, Podiumsdiskussionen und eine Werbekampagne in
       verschiedenen Medien vorausgehen.
       
       Gewählt werden kann dann eine ganze Woche lang bis zum 4. September. Auf
       freiwilliger Basis sollen zudem Daten wie Herkunft, Aufenthaltsdauer in
       Berlin und Wahlentscheidung abgefragt werden. Die Ergebnisse werden
       veröffentlicht.
       
       Ziel der Kampagne sei es, eine neue Debatte über das Wahlrecht für
       ausländische Einwohner zu beginnen "und letztendlich diese Frage noch
       einmal vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen", sagt der frühere
       Verwaltungsrichter Stöß. Dies hatte 1990 das zuvor von Hamburg und
       Schleswig-Holstein eingeführte kommunale Wahlrecht für AusländerInnen für
       rechtswidrig erklärt. Doch die Lage habe sich geändert, meint Stöß: "Es ist
       an der Zeit, den Begriff Staatsvolk neu zu definieren." Nicht nur
       kurzfristig in Deutschland lebende Ausländer, sondern auch lang ansässige
       seien schließlich vom Wahlrecht ausgeschlossen, seit der Erwerb der
       deutschen Staatsbürgerschaft an die Unabhängigkeit von staatlichen
       Unterhaltsleistungen gekoppelt sei.
       
       Diese Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes hatte 2000 die damalige
       rot-grüne Bundesregierung beschlossen. Dass der Vorsitzende des Vereins
       Jede Stimme mit Raed Saleh, SPD-Kreisvorsitzender in Spandau und Mitglied
       des Abgeordnetenhauses, sowie dem SPD-Abgeordneten Robert Schaddach als
       Vize die Initiative wie eine Wahlkampfaktion der Sozialdemokraten wirken
       lässt, weist Saleh zurück: Auch Grüne und Linke halten die Aktion für
       sinnvoll. Evrim Baba, Linkspartei-Abgeordnete, steht auf der
       Unterstützerliste. Die Grünen stünden dem Projekt aufgeschlossen gegenüber,
       bestätigte deren Landeschef Daniel Wesener. "Selbst von FDP und CDU gab es
       Interesse", sagt Saleh. Doch hätte da "der Mut zum Mitmachen" gefehlt.
       
       Es gehöre aufseiten der Parteien durchaus Mumm dazu, das Projekt zu
       unterstützen, sagt Martin Wilhelm, Geschäftsführer des Vereins Citizens for
       Europe, der die Wahl mit organisiert: "Schließlich weiß keine, was am Ende
       dabei herauskommt."
       
       Dass es bei der Aktion auch darum geht, eine parteiinterne Debatte
       anzustoßen, gibt Saleh unumwunden zu: "Bei der SPD gibt es in Sachen
       Integrationspolitik noch Optimierungsmöglichkeiten." Saleh gehört zu den
       GenossInnen, die ein Parteiaussschlussverfahren gegen SPD-Mann Thilo
       Sarrazin angestrengt hatten, nachdem der ehemalige Berliner Finanzsenator
       in seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" durchaus völkische Thesen
       verbreitet hatte. "Wir wollen auch eine Diskussion über unsere Grundwerte
       anregen", so Saleh.
       
       31 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alke Wierth
 (DIR) Gesche Grefe
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Wahlen in Berlin
       
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