# taz.de -- Interview mit syrischem Regisseur: "Viele sind dem Präsidenten dankbar"
       
       > Baschar al-Assads Rede hat die Syrer enttäuscht, der Regierungs-rücktritt
       > ist nur Show. Doch viele Studenten halten sich von den Protesten noch
       > fern.
       
 (IMG) Bild: "Ausländische Verschwörer" seien schuld an den Protesten in Syrien, sagte Präsident Assad in seiner Rede.
       
       taz: Herr Dsharah*, am Mittwoch hat sich Syriens Präsident al-Assad zum
       ersten Mal seit Ausbruch der Revolte im Parlament an sein Volk gewandt und
       ausländische Mächte für die Unruhe in seinem Land verantwortlich gemacht.
       Wie fanden Sie das? 
       
       Joseph Dsharah*: Das war ein Affront gegen alle Syrer, die schon seit 2005
       auf die dringend erforderlichen Reformen warten. Ich denke, er hat sich
       erst so spät geäußert, weil er die Situation vor allem in Latakia zunächst
       stabil wissen wollte - was durch die massive militärische Präsenz ja auch
       erreicht wurde. Er hat wiederholt, dass er nicht zum Gebrauch von
       Schusswaffen durch die Sicherheitskräfte aufgerufen hat, die Toten bedauert
       und Untersuchungen einleiten wird.
       
       Halten Sie das für glaubhaft? 
       
       Es ist lächerlich - wenn ihm wirklich an einer transparenten Staatsführung
       gelegen wäre, hätte er einen großen Schritt auf das Volk zugehen können,
       indem er das Notstandsgesetz außer Kraft gesetzt hätte. So aber kann weiter
       verhaftet und gefoltert und die freie Meinungsäußerung sowie die Bildung
       von Parteien verhindert werden.
       
       Welche Auswirkungen hat der Rücktritt seiner Regierung? 
       
       Dass er das Kabinett ausgewechselt hat, ist nur eine oberflächliche Show,
       um die Bürger zu besänftigen. Die haben am Beispiel der anderen arabischen
       Länder gesehen, dass es einen Ausweg aus der Diktatur geben kann. Die
       Minister sind ohnehin nur Dekor, Assad selbst hält die ganze Macht.
       
       Wie viel Rückhalt besitzt er? 
       
       Vielleicht hat er intern mit einigen alten Seilschaften aus der Zeit seines
       Vaters zu kämpfen. Doch diese Garde ist längst nicht mehr aktiv. Dass unser
       ganzes System eine Farce ist, konnte man aber auch bei seiner Rede im
       Parlament sehen. Wie aufgezogene Puppen klatschten die Parlamentarier zu
       jedem seiner nichtssagenden Sätze. Sie können ja auch nicht gegen ihn sein,
       denn wer gegen ihn ist, wird ausgewechselt oder landet im Gefängnis.
       
       Wie steht die Mehrheit der Bevölkerung zu ihm? Am Dienstag gingen im ganzen
       Land Millionen für ihn auf die Straße, um ihn zu feiern - nur weil sie
       keine andere Wahl hatten? 
       
       Ganze Stadtverwaltungen und Universitäten haben freibekommen, um ihre
       Sympathie zu bekunden. Viele sind auch nicht prinzipiell gegen den
       Präsidenten an sich eingestellt. Man kennt hier seit Generationen nur die
       sehr harte Politik seines Vaters, Hafis al-Assad, dessen Machtmissbrauch
       1982 im Massaker von Hama gipfelte. Unter seinem Sohn sind einige Reformen
       erfolgt, die so etwas wie einen Mittelstand überhaupt erst entstehen
       ließen. Privatwirtschaft, nichtstaatliche Banken und die Möglichkeit,
       Kredite aufzunehmen, haben das Leben vieler Syrer erleichtert. Viele junge
       Menschen sind ihm für das Internet, für Mobilfunk und private, wenn auch
       teure Universitäten dankbar.
       
       Zu recht? 
       
       Es ist absurd: Die Leute denken tatsächlich, dass sie das Internet dem
       Präsidenten verdanken - schließlich hätte er es auch einfach verbieten
       können! Die vermeintliche Freiheit, sich im Web bewegen zu können, nehmen
       viele junge Leute als echte Freiheit wahr. Der klassische Fall von
       Zuckerbrot zur Besänftigung der Massen von unterbeschäftigten Jugendlichen.
       Dabei kann man von Syrien aus nicht einmal sehen, welches Kulturangebot es
       im nur 80 Kilometer entfernten Beirut gibt - geschweige denn Webseiten von
       Menschenrechtsorganisationen aufrufen, die über verschwundene Kritiker Buch
       führen.
       
       Wie frei ist das Internet jetzt? 
       
       Dass Facebook und Youtube nach den ersten Protesten freigegeben wurden,
       ist, denke ich, nur ein Trick, um Kritiker schneller fassen und Aufrufe zu
       Protesten besser überwachen und bekämpfen zu können.
       
       Welche Reformwünsche treiben die Menschen jetzt auf die Straße? 
       
       Das Leben ist teurer geworden. Aufgrund der letzten trockenen Winter sind
       die Grundnahrungsmittel zwar nicht wirklich knapp, aber für rund eine halbe
       Million Menschen unbezahlbar geworden. Die rund 1,5 Millionen Flüchtlinge
       aus dem Irak belasten die ohnehin schlechte Infrastruktur noch zusätzlich.
       Die meisten Menschen wollen nur ein besseres Leben - ohne Angst.
       
       Warum sieht man so wenige Studenten bei dem Protest? 
       
       Sie sind mit dem System aufgewachsen - mit dem System der Angst und damit,
       dass man niemandem vertrauen kann, wenn es um politische Meinungsäußerung
       geht. Viele Studenten sagen einem, dass es ihnen doch bessergeht als den
       meisten Ägyptern und Libyern. Erst wenn man sie vorsichtig nach ihren
       Wünschen und Träumen fragt, geben sie zu, dass sie im Ausland studieren und
       leben wollen, dass sie in ständiger Sorge wegen der Zukunft leben und mit
       sehr wenig Geld auskommen müssen. Die Lage der jungen Männer, die heiraten
       wollen, ist besonders hart. Sie müssen erst einmal Geld für die Wohnung und
       die Hochzeit verdienen. Und sie wissen, dass es noch schwerer wird, eine
       Braut zu finden, wenn sie erst einmal aktenkundig und inhaftiert worden
       sind.
       
       Sind Proteste wie in Deraa und Latakia auch in Damaskus denkbar? 
       
       In der Hauptstadt gibt es mehr Mitarbeiter der Geheimdienste und mehr
       Polizisten als im Rest des Landes. Aber ich denke, die Regierung war schon
       geschockt, dass solche Aufstände tatsächlich auch in Syrien ausbrechen
       konnten. Und nach Assads Rede flammten sie in Latakia sofort wieder auf.
       Dort leben hauptsächlich Sunniten, die keine Lust mehr haben, sich von der
       alawitischen Minderheit dominieren zu lassen!
       
       Welche Zukunft wünschen Sie sich für Syrien? 
       
       Unser Staat sollte die Menschenrechte achten. Bei uns sitzt eine 19-jährige
       Bloggerin für fünf Jahre im Gefängnis, nur weil sie Gedichte mit ihren
       Hoffnungen für Syrien und die Palästinenser geschrieben hat. Ein Staat
       sollte seine Bürger ermutigen, aktiv an der Gestaltung der Gesellschaft und
       der Kunst teilzunehmen, statt sie dafür einsperren.
       
       *Name von der Redaktion geändert
       
       1 Apr 2011
       
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