# taz.de -- Kommentar Afghanistan: Öl ins Feuer gegossen
       
       > Die Vorwürfe gegen die Taliban sind strategisch. Sie sollen davon
       > ablenken, dass die afghanische Regierung im Zentrum und in der Provinz
       > oft korrupt ist und repressiv vorgeht.
       
       Die Taliban für die Morde an den sieben UN-Bediensteten und für die vielen
       afghanischen Toten bei Demonstrationen am Freitag und Sonnabend
       verantwortlich zu machen, ist verständlich. Schließlich haben sie mit
       brutalem Terror über Jahre alles dafür getan, dass man ihnen zutrauen kann,
       auch hier mitgemischt zu haben. Beweise aber gibt es bisher nicht.
       
       Die Vorwürfe sind vielmehr Teil einer Schuldzuweisungsstrategie. Sie soll
       davon ablenken, dass die afghanische Regierung - im Zentrum wie auf auf
       Provinzebene - oft korrupt ist und repressiv vorgeht. Menschen, die
       außerhalb der herrschenden Netzwerke stehen, werden von Machtausübung und
       Ressourcenzugang abgeschottet.
       
       Nach drei Jahrzehnten Bürgerkrieg bedeutet solche Marginalisierung für
       viele soziale Verarmung und politische Ohnmacht. Das macht Gewaltausbrüche
       wahrscheinlicher, wenn auch nicht entschuldbar - auch Muslime, die über die
       Provokation einer Koranverbrennung auf das Äußerste erbost sind, müssen
       Grenzen respektieren.
       
       Zu den Untaten der vergangenen Tage tragen mehrere Faktoren bei. Zum einen
       sind da jahrelange Frustration vieler Afghanen über eine mangelnde
       Verbesserung ihrer Lebensumstände, trotz aller Milliardenhilfen, die
       militärische und politische US-Dominanz in ihrem Lande, die steigende Zahl
       an zivilen Kriegsopfern und letztens ein weiterer Fall fast schon
       rassistischer, zudem visuell dokumentierter Missachtung ihrer Würde durch
       US-Soldaten.
       
       Diese Erfahrungen widersprechen eklatant den im Westen über Afghanistan
       verbreiteten Fortschrittsberichten. Zum Zweiten handelt es sich in
       Afghanistan nicht wie im Westen um eine säkularisierte Gesellschaft;
       Angriffe wie die Koranverbrennung in den USA auf die - pardon - hiesige
       Leitreligion sind auch für Nicht-Taliban, und das ist die Mehrheit,
       inakzeptabel. In einer solchen Situation sollte niemand noch Öl ins Feuer
       gießen.
       
       3 Apr 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Ruttig
       
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