# taz.de -- Ausstellung zu Polizei und NS-Staat: Die Polizei, dein Freund und Mörder
       
       > 66 Jahre nach Kriegsende zeigt das Deutsche Historische Museum die erste
       > Ausstellung über die viel zu wenig thematisierte Rolle der Polizei im
       > NS-Staat.
       
 (IMG) Bild: "SA und Schupo vereint" aus dem "Roten Album", erstellt von einem unbekannten Anhänger der NSDAP / Heilbronn, 1933.
       
       "Die gestellten Männer haben zu nennenswerten Klagen keinen Anlass gegeben.
       Abgesehen davon, dass ich einzelne von ihnen zu schärferem Vorgehen gegen
       Juden anhalten musste, haben sich alle sehr gut geführt und ihren Dienst
       einwandfrei versehen." Auf neun Schreibmaschinenseiten resümierte der
       Hauptmann der Schutzpolizei, Paul Salitter, im Dezember 1941 seine Fahrt
       von Düsseldorf ins lettische Riga. Für die Reisenden sollte es, abgesehen
       vom polizeilichen Begleitkommando, eine Fahrt in den Tod werden, denn sie
       wurden nach ihrer Einweisung in das jüdische Ghetto später fast ausnahmslos
       ermordet. Für Salitter dagegen war die Reise nach seiner Rückkehr Grund
       genug, gegenüber dem Leiter des Reichssicherheitshauptamtes, Adolf
       Eichmann, Verbesserungen für die nächsten Deportationszüge vorzuschlagen.
       
       Sechs Jahre später bat der Polizist um seine Wiedereinstellung: Damals habe
       er "nur seine Pflicht getan", schrieb Salitter. Die dürren bürokratischen
       Schreiben finden sich an zwei unterschiedlichen Orten einer Ausstellung:
       "Ordnung und Vernichtung" im Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin
       ist die erste umfassende Schau über die Verstrickung der Polizei in das
       NS-Regime und den Völkermord.
       
       Nun ist es nicht so, dass die Beteiligung der Polizei am Holocaust ein
       gänzlich neues Kapitel wäre oder gar auf solche Emotionen träfe, wie sie
       die Wehrmachtsausstellung vor mehr als einem Jahrzehnt ausgelöst hat.
       Spätestens seit Christopher Brownings 1993 auch auf Deutsch erschienene
       Studie über die Blutspur des Reservepolizeibataillons 101 im besetzten
       Polen ist nicht nur in Fachkreisen bekannt, dass die Polizei eine der
       wichtigsten Stützen bei der praktischen Durchführung des Massenmords an
       Juden, Roma und Sinti war.
       
       ## "Deutsche Polizisten schützen die Faschisten"
       
       Und doch macht Klaus Neidhardt von der Hochschule der Polizei in Münster
       deutlich, dass dieses Wissen deshalb noch lange nicht bei der Polizei
       selbst angekommen ist. Noch immer werde deren Geschichte in der
       Polizeiausbildung häufig ausgeblendet oder unterbelichtet. Sie erscheine
       zwar in den Lehrplänen, werde aber oft nicht unterrichtet. Neidhardt
       berichtet auch, dass junge, bei Demonstrationen eingesetzte Polizisten oft
       gar keine Ahnung haben, welchen historischen Hintergrund die Sprechchöre
       "Deutsche Polizisten schützen die Faschisten" eigentlich haben, die ihnen
       da entgegenschallen.
       
       Wie aber konnte die deutsche Polizei überhaupt zum willigen Werkzeug von
       Staatsverbrechern werden? Die Ausstellung beginnt konsequenterweise mit der
       Weimarer Republik. Damals entstand einerseits das Bild vom "guten
       Polizisten", dem "Freund und Helfer", der das gehbehinderte Mütterchen
       fürsorglich über die Straße bringt, böse Kriminelle zur Strecke bringt und
       für Sicherheit im ganzen Reich sorgt. Andererseits war die Polizei schon
       damals ein stockreaktionärer Apparat, von kriminellen Freikorps durchsetzt
       und politisch in die Nähe rechtsextremer Organisationen gerückt. Große
       Teile der antidemokratischen Polizeiführung begrüßten entsprechend die
       Machtübernahme der Nationalsozialisten - schließlich versprach sie vor
       allem Ordnung und damit eine Aufwertung des Beamtendaseins.
       
       Und so ließ sich die Polizei denn auch gerne für die neuen Herren
       einspannen, und das betraf keineswegs nur die Gestapo, die überwiegend aus
       der politischen Polizei entstand. Nein, die Spezialisten der Kripo sorgten
       fortan dafür, dass kriminelle Rückfalltäter Konzentrationslagern zugeführt
       wurden: Galt es doch, das höhere Ziel einer "Volksgemeinschaft ohne
       Verbrecher" zu verwirklichen. Die grün uniformierten Ordnungspolizisten
       blieben für die Propaganda "Freund und Helfer", hatten aber mit der
       Festnahme und Verhaftung "Asozialer" wie politischer Gegner gut zu tun. Die
       Polizei schaffte sich 1939 die "J"-Stempel an, mit der die Pässe deutscher
       Juden verunziert wurden, und sie gab ab 1942 die besondere Erlaubnis für
       die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel für Juden heraus. Die alten
       "Stempelkästen für Verkehrsunfallskizzen" blieben ebenso in Nutzung wie die
       hölzerne "erkennungsdienstliche Fotoanlage" der Kripo, nur dass dort nun
       auch von politisch oder rassistisch Missliebigen Lichtbilder angefertigt
       wurden.
       
       ## In Massengräbern verscharrt
       
       Heinrich Himmler, Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei in
       Personalunion, schrieb 1937: "Die nationalsozialistische Polizei leitet
       ihre Befugnisse nicht aus Einzelgesetzen, sondern aus der Wirklichkeit des
       nationalsozialistischen Führerstaates ab und aus den ihr von der Führung
       gestellten Aufgaben her. Ihre Befugnisse dürfen deshalb nicht durch formale
       Schranken gehemmt werden."
       
       Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden deutsche Polizisten zu
       Massenmördern. Zusammengefasst in Polizeibataillone sollten sie auf
       besetztem Gebiet für "Ordnung sorgen", wie der Illustrierte Beobachter
       schrieb. Diese Bataillone waren es, die für die Absperrung der jüdischen
       Ghettos in Polen sorgten, wenn die Spezialisten von SS und
       Sicherheitspolizei die Menschen in die Züge in Richtung Vernichtungslager
       trieben. Sie waren es, die selbst mordeten, bisweilen gar ohne höheren
       Auftrag wie in Bialystok, wo das Polizeibataillon 309 mindestens 800 Juden
       in einer Synagoge bei lebendigem Leibe verbrannte. Und sie waren es, die
       wie die Einsatzgruppen nach Beginn des Kriegs gegen die Sowjetunion
       Millionen Juden und "Bolschewisten" erschossen und anschließend in
       Massengräbern verscharren ließen.
       
       "Bei der Durchführung der Aktion konnte sehr häufig die Feststellung
       gemacht werden, dass sich Juden in feiger und hinterhältiger Angst in allen
       nur möglichen Winkeln versteckt hielten, so dass es oftmals sehr schwer
       war, diese vor Schmutz starrenden Elemente aus ihren Winkeln herauszuholen.
       Diesem Umstand ist es zuzuschreiben, dass an Ort und Stelle von der 9./III.
       Pol.-Rgt. Mitte 65 Juden erschossen wurden", heißt es in einem "Bericht
       über die Judenaktion am 2./3.10.1941" in Mogilew. Und am Ende steht: "Von
       der 9./III. Pol.-Rgt. Mitte wurden insgesamt 555 Juden beiderlei
       Geschlechts erschossen."
       
       Auf zwei großen Landkarten zeigt die Berliner Ausstellung die Stätten des
       Massenmords - zahllose rote Punkte in Polen, in Lettland, in Litauen, in
       der Sowjetunion. Und doch weisen die Ausstellungsmacher darauf hin, dass
       diese Punkte nur eine kleine Auswahl darstellen.
       
       ## Ausbildung "komplett ahistorisch"
       
       Dankenswerterweise haben die Aussteller ihre Schau nicht mit dem Jahr 1945
       beschlossen. Denn es gab für die Polizei keine Stunde null. So wie die
       grünen Uniformen umstandslos blau eingefärbt wurden, so konnte die Polizei
       im Westen Deutschlands nahezu bruchlos weiterarbeiten - nun im Dienst der
       Demokratie. Die Ordnungspolizei wurde bei den Nürnberger Prozessen nicht
       wie Gestapo oder SS als kriminelle Vereinigung eingestuft. Paul Salitter,
       der Schutzpolizist aus Düsseldorf, blieb einer der wenigen, die nicht
       wieder in den Dienst eingestellt wurden. Eine Strafe erhielt er aber nicht.
       Denjenigen, die an den Morden beteiligt gewesen waren, geschah in aller
       Regel gar nichts.
       
       Erst gegen Ende der 1950er Jahre begann die Justiz, angestoßen durch den
       Ulmer Einsatzgruppenprozess, wenigstens gegen einen Teil der Täter zu
       ermitteln. Da kamen merkwürdige Karrieren zutage, wie die von Georg Heuser,
       früher einmal Kommandeur der Sicherheitspolizei Minsk und mit dem Judenmord
       betraut, 1959 aber Leiter des Landeskriminalamts Rheinland-Pfalz. Er wurde
       wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 11.000 Fällen zu 15 Jahren Zuchthaus
       verurteilt - eine Ausnahme. Kein einziger Täter des Judenmords in Bialystok
       beispielsweise erhielt jemals eine Bestrafung. Stattdessen war bei der
       bundesdeutschen Polizei noch lange die "Kleine Polizei-Geschichte" eines
       gewissen Paul Riege in Gebrauch, in dessen Werk der Massenmord durch
       Polizisten überhaupt nicht vorkam - kein Wunder, denn Riege war einst
       Befehlshaber der Ordnungspolizei im besetzten Polen gewesen.
       
       Sechsundsechzig Jahre nach Kriegsende sind die Täter verstorben. Insofern
       scheint es leichter, sich jetzt endlich - viel zu spät - in einer großen
       und verdienstvollen Ausstellung mit dem Thema zu beschäftigen. Doch für die
       Polizei der Bundesrepublik Deutschland ist es nicht zu spät: Detlev Graf
       von Schwerin, einer der Initiatoren von der Fachhochschule der Polizei des
       Landes Brandenburg, hält die Polizeiausbildung immer noch für "komplett
       ahistorisch" und will, dass die Schau zum Nukleus einer veränderten Sicht
       auf die Geschichte unter den Polizeibeamten wird. Es ist ihm viel Erfolg zu
       wünschen.
       
       4 Apr 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Hillenbrand
       
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