# taz.de -- Debatte FDP: Die Überflüssigen
       
       > Ein konsequenter und demokratischer Liberalismus ist nicht entbehrlich
       > geworden. Entbehrlich ist eine Partei der radikal-kapitalistischen
       > Klientelpolitik.
       
 (IMG) Bild: Auch der bestverstandene Liberalismus kann sich lächerlich machen.
       
       Hört ihr das Totenglöckchen bimmeln? Es begleitet Guido Westerwelles Abgang
       als Parteiführer und zeigt an, wie schlecht es um die Überlebenschancen der
       FDP gegenwärtig bestellt ist. Sei es von hoher programmatischer Warte, sei
       es von den Niederungen der Tagespolitik her - überall wird jetzt die
       peinliche Frage aufgeworfen, ob es für die Freien Demokraten noch eine
       politische Daseinsberechtigung gibt. Die Frage aufwerfen heißt sie
       verneinen.
       
       Das Leitungspersonal der FDP bietet ein Bild geballter Ratlosigkeit, wenn
       es um die Bewältigung der "existenziellen Krise" (Generalsekretär Lindner)
       der Partei mittels pogrammatischer Neuorientierung geht. Mehr
       Empfindsamkeit gegenüber der Lage der Armen? Mehr Umweltbewusstsein?
       Entschlossener gegenüber den Anmaßungen des Überwachungsstaates? Mehr Geld
       für Bildung? Vielleicht etwas mehr Trennung von Staat und Kirche? Wohin
       immer die FDP sich auf den Weg machen will, schallt ihr der Ruf des Igels
       entgegen: Wir, die Grünen, wir sind schon da!
       
       ## Dogmatisch statt frei
       
       Gewiss, unter Westerwelles Führung schrumpfte das freidemokratische Credo
       auf die Parole "Mehr Netto vom Brutto" zusammen. Während sich in der
       politischen Landschaft die Dogmen und Leitbilder auflösten, betete
       Westerwelle das Dogma von der segensreichen Wirkung von
       Steuererleichterungen an. Credo ut intellegam. Je offensichtlicher
       angesichts des Finanz-Crashs die Notwendigkeit rigoroser, koordinierter
       Staatseingriffe wurde, desto hysterischer bestand Westerwelle auf dem
       Minimalstaat. Als klar war, dass sein großes Versprechen nicht einlösbar
       war, wandte sich seine Mittelschichten-Klientel ab.
       
       Aber gab es nicht, zu Zeiten der sozial-liberalen Koalition in den frühen
       1970er Jahren, eine liberale Programmatik, die statt der einseitigen
       Verteidigung von Kapitalinteressen die Vision einer Demokratisierung aller
       gesellschaftlichen Bereiche setzte? Wären die "Freiburger Thesen" von
       damals nicht heute ein möglicher Anknüpfungspunkt? Und dies umso mehr, als
       lang vor der Gründung der Grünen die Ökologie in den Thesen einen
       Schwerpunkt bildete?
       
       Nein. Der demokratische Linksliberalismus, der in den "Freiburger Thesen"
       zum Ausdruck kam, war nur eine flüchtige, von einer Minderheit von
       Partei-Intellektuellen getragene Strömung, die bald wieder versickerte.
       Unter der Führung des Grafen Lambsdorff wandelte sich das Bild der FDP zu
       einer kapitalistischen Interessenvertretung sans phrase. Westerwelle hat
       sich in dieser Kontinuität bewegt.
       
       ## Deutsche Bürger 1848ff
       
       Seit sich der politische Liberalismus in Deutschland herausbildete, war die
       Schwäche eines demokratisch gesinnten, selbstbewussten Bürgertums sein
       ständiger Begleiter. Die Niederlage der Revolution von 1848 verstärkte in
       den sie tragenden bürgerlichen Schichten das Gefühl der Vergeblichkeit.
       Rückzug in den Raum privater Innerlichkeit einerseits, "Realpolitik" unter
       den gegebenen Machtverhältnissen andererseits waren die Folge.
       
       Das Gros der geschlagenen Liberalen wandte sich Bismarck zu, begrüßte die
       kleindeutsch-preußische Lösung der nationalen Frage und wurde später zu
       einem Stützpfeiler des Obrigkeitsstaates der Hohenzollern. Die minoritären
       Linksliberalen schreckten stets vor einer Demokratisierung des
       wilhelminischen Reiches zurück. Nicht einmal in die Kampagne für ein
       allgemeines, gleiches Wahlrecht in Preußen wagten sie einzusteigen. Ihre
       Führungsfigur Friedrich Naumann war selbst Vertreter eines weichgespülten
       deutschen Imperialismus.
       
       Die Linksliberalen schlossen 1912 ein Wahlbündnis mit der SPD, wurden in
       der frühen Weimarer Republik Bestandteil der Weimarer Koalition mit der SPD
       und dem katholischen Zentrum. Bald jedoch wandten sie sich nach rechts, und
       was von ihnen im Reichstag übrig blieb, stimmte - einschließlich des ersten
       Präsidenten der Bundesrepublik Theodor Heuss - 1933 für Hitlers
       Ermächtigungsgesetz. Nach dem Zweiten Weltkrieg profilierte sich die FDP
       als deutsch-nationale Kraft mit zum Teil offener Flanke gegenüber den
       "Ewig-Gestrigen"-Nazis. Der Ritterkreuz-Träger Erich Mende war in den
       1960er Jahren die Führungs- und Galionsfigur der Partei.
       
       Das Resumee dieser Parteigeschichte legt eigentlich nahe, für die FDP nach
       dem Scheitern Westerwelles nur den Ausweg nach rechts, hin zu einer
       populistischen, fremdenfeindlichen "Volks"partei zu sehen. Dies war der Weg
       des vormaligen Liberalen Haider in Österreich. Ihm folgten die Liberalen in
       einer Reihe europäischer Staaen nach, allesamt mir nachhaltigem Wahlerfolg.
       
       Auch Westerwelle versuchte sich bei seinen Ausfällen gegen die
       Hartz-IV-Empfänger in populistischer Rhetorik, was aber von der
       Mittelschichten-Klientel der Partei als eher peinlich empfunden wurde.
       Fremdenhass und offene Diskriminierung von Minderheiten verletzen in dem
       sozialen Milieu, das die FDP wieder für sich gewinnen will, im Augenblick
       die Tabugrenze. Dort fürchtet man sich vor der Möllemannschen
       18-Prozent-Protestpartei und vor dem Plebs, der die gepflegten Vorgärten
       zertrampelt. Was nicht heißt, dass es für den rechten, autoritären
       Populismus in Deutschland keine Massenbasis geben würde.
       
       ## Ein Schuss Anarchismus
       
       Die FDP ist überflüssig. Aber das heißt noch lange nicht, dass wichtige
       Bildungselemente eines konsequenten Liberalismus bei den rivalisierenden
       deutschen Parteien in guten Händen wären. Zu denken wäre hier an die
       programmatische Vorstellung einer "civil society", die in mannigfachen
       Assoziationsformen den abstrakten Individualismus kritisiert und sich
       gleichzeitig gegen die Macht von staatlichen wie gesellschaftlichen
       Großorganisationen wendet. Die für das Privateigentum eintritt, sich aber
       nicht nur von partikularen Interessen, sondern vom Bürgersinn, vom
       Gemeinwohl leiten lässt. Die den Staat nicht ablehnt, aber ständig beäugt,
       kritisch begleitet. Die konsequent gegen den Krieg ist, weil er dem
       Einzelnen eine unzumutbare Pflicht auferlegt. Die sich für
       Selbstorganisation und Selbstverwaltung starkmacht. Die
       freiheitlich-libertär ist, mit einem gehörigen Schuss Anarchismus.
       
       Eine Ansammlung von einfallsreichen Querköpfen - leider lässt sie sich in
       keiner Partei organisieren.
       
       6 Apr 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Semler
       
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