# taz.de -- Jüdische Gemeinden in Ungarn: Die Vorsicht der Juden von Budapest
       
       > Vor einem Jahr wurde er nahezu täglich angepöbelt, erzählt ein Rabbiner
       > in Ungarn. Das hat nachgelassen. Die Rechten haben jetzt andere Ziele.
       
 (IMG) Bild: Nicht mehr als fünf Prozent derer, die sich in Budapest zum jüdischen Glauben bekennen, gehen regelmäßig in die Synagoge: Pessach in Budapest.
       
       BUDAPEST taz | "Kommen Sie zum Sushi-Abend?" Alles Mögliche würde man in
       einer orthodoxen Synagoge erwarten, aber sicher kein Sushi-Buffet. Den
       Sushi-Abend gibt es tatsächlich. Allerdings hat die Assistentin von
       Rabbiner Slomó Köves den Besucher verwechselt. Der Rabbiner komme gleich.
       Um das Warten zu verkürzen, serviert sie Kaffee und koscheres Gebäck,
       keinen Fisch.
       
       Die Synagoge von Óbuda, ein klassizistisches Gebäude, dessen Fassade eher
       an einen griechischen Tempel denn an ein jüdisches Gotteshaus gemahnt,
       dient erst seit kurzem wieder ihrer ursprünglichen Bestimmung. Schon
       erscheint Slomó Köves, er sieht aus, wie man sich einen Rabbiner vorstellt
       - roter, etwas schütterer Bart, schwarzer, breitkrempiger Hut. "Hier war
       während der kommunistischen Zeit ein Fernsehstudio", beginnt er. Köves ist
       31 Jahre alt, hat in Tel Aviv und Paris studiert, war in den USA.
       
       Antisemitismus habe er in Paris stärker erlebt als in Budapest, meint er
       und kommt auf die Lage nach dem Rechtsruck in Ungarn zu sprechen, ausgelöst
       durch den Regierungsantritt der Fidesz. Die rechtspopulistische Bewegung
       hat unter ihrem Vorsitzenden, dem heutigen Ministerpräsidenten Viktor
       Orbán, bei den Wahlen vor einem Jahr einen deutlichen Sieg errungen und
       verfügt seitdem über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament.
       
       ## Antisemitischer Hass
       
       Führende Fidesz-Leute hatten vor der Wahl Stimmung gemacht gegen
       Kapitalisten, Kommunisten und Juden. Die drei Gruppen werden im
       antisemitischen Diskurs gern zu einem Hassobjekt verschmolzen. Wer die
       Juden attackieren will, schmäht oft die Sozialisten oder die Kapitalisten -
       und jeder versteht, wer wirklich gemeint ist. "Das war vor den Wahlen viel
       schlimmer", sagt Rabbiner Köves. Und auch Péter Feldmájer, Präsident des
       Vereins der Ungarischen Jüdischen Gemeinden, stimmt zu. Seitdem Orbán
       regiert, habe sich das Klima spürbar verbessert.
       
       Wird sich die Verankerung von "Ungarntum" und "Christentum" in der neuen
       Verfassung auf die Juden auswirken? Antisemitismus als politische Waffe ist
       jedenfalls kein Selbstläufer mehr. Die mit antijüdischen Gefühlen
       operierende Partei für Wahrheit und Leben flog schon vor Jahren aus dem
       Parlament. Restbestände gingen in der Jobbik auf, die deutlich aggressiver
       ist. Der Jüdische Europakongress in Paris sieht auch in ihr eine
       antisemitische Bedrohung, doch Jobbiks Ressentiment zielt in erster Linie
       auf die Roma.
       
       Rabbiner Köves erzählt, er sei früher fast täglich auf der Straße
       angepöbelt oder gar bespuckt worden. Auch andere Gemeindemitglieder hätten
       ihm immer wieder Ähnliches berichtet. Doch seit Fidesz regiert, sei er
       nicht mehr behelligt worden, versichert Köves. Warum? Fidesz gebe sich
       jetzt staatstragend und hat auch die Jobbik ausgebremst. "Es ist
       erstaunlich, wie sich die Politik von oben auf das Verhalten des kleinen
       Mannes auf der Straße auswirkt."
       
       Jobbik hat sich allerdings nicht vom Nachrichtenportal "Kuruc.info"
       distanziert, wo nicht nur der Holocaust infrage gestellt, sondern auch über
       eine "jüdische Weltverschwörung" schwadroniert wird. Dazu gibt es die
       Rubriken "Zigeunerkriminalität" und "Judenkriminalität".
       
       Péter Feldmájer will über Premierminister Viktor Orbán kein böses Wort
       verlieren. Kein Wunder, schließlich wird seine Gemeinde jährlich mit
       stattlichen Subventionen gefördert - für Schulen, Kindergärten, Friedhöfe,
       Kultureinrichtungen und Synagogen, darunter für die größte Synagoge
       Mitteleuropas im Zentrum Budapests. An dieses Abkommen, in dem auch die
       Restitution herrenlosen jüdischen Vermögens beschlossen wurde, ist jede
       Regierung gebunden.
       
       Kaum mehr als 100.000 Juden leben heute in Ungarn, weniger als ein Prozent
       der Bevölkerung. Dennoch ist die jüdische Gemeinde von Budapest eine der
       größten außerhalb Israels.
       
       Als die Synagoge von Rabbiner Slomó Köves 1821 gebaut wurde, durften
       jüdische Gebetshäuser noch nicht in der Stadt errichtet werden. Doch den
       Bezirk Óbuda am rechten Donauufer hat die Hauptstadt längst erreicht. "Als
       ich vor einem Jahr erfuhr, dass sie zum Kauf angeboten wird, habe ich
       sofort begonnen, Geld zu sammeln", erzählt der Rabbiner. In kürzester Zeit
       habe er um die 300.000 Euro in der Kasse gehabt. Nicht nur Juden hätten
       sich an der Sammlung beteiligt, betont Köves. Obwohl die Arbeiten noch
       nicht abgeschlossen sind, wurde die Synagoge im September 2010 eröffnet.
       
       Wenige Städte können sich so vieler Synagogen rühmen wie Budapest. Doch die
       sind keineswegs gefüllt, klagt Köves. Nicht mehr als fünf Prozent derer,
       die sich in Budapest zum jüdischen Glauben bekennen, gingen regelmäßig in
       die Synagoge. Den Prozentsatz der Orthodoxen, die koscher essen und im
       Alltag die Glaubensregeln beachten, schätzt er auf unter ein Prozent.
       
       ## Erst Ungarn, dann Juden
       
       Die größte jüdische Gruppe sind die sogenannten Neologen - eine Strömung,
       die sich im Gefolge des Ausgleichs 1867 entwickelt hat, als Ungarn in der
       k. u. k. Monarchie zum eigenständigen Königreich wurde. Neologe Juden sind
       im Gegensatz zu den Orthodoxen aufgeschlossen für Modernisierung und
       Reformpolitik. Während des Gottesdienstes wird auch Orgel gespielt, Männer
       und Frauen beten gemeinsam. Neologen betrachten sich in erster Linie als
       Ungarn. Das Jüdische ist erst in zweiter Linie identitätsstiftend,
       gesprochen wird Ungarisch, nicht Hebräisch oder Jiddisch. An die
       Kleiderregeln fühlen sie sich nicht gebunden.
       
       Um 1900 lebten in Großungarn fast eine Million Juden. In der Hauptstadt
       registrierte die Volkszählung 1910 23 Prozent jüdische Bevölkerung,
       weswegen Wiens antisemitischer Bürgermeister Karl Lueger Budapest als
       "Judapest" verspottete. Das jüdische Viertel im VII. Bezirk war damals das
       weltweit größte.
       
       Zehn Jahre später, nachdem Ungarn durch den Friedensvertrag von Trianon
       zwei Drittel seines Territoriums verloren hatte und auf seine heutige Größe
       geschrumpft war, befanden sich Börse, Banken und Industrie fest in
       jüdischer Hand. 60 Prozent der Ärzte, jeder zweite Anwalt und ein Drittel
       der Journalisten und Verleger bekannten sich zum jüdischen Glauben. Die
       Juden waren die größte und sichtbarste Minderheit.
       
       Wegen ihres Erfolgs wuchs der Antisemitismus. So entfesselte die Armee
       unter Reichsverweser Miklós Horthy eine Serie von Pogromen gegen Juden und
       Kommunisten, die als "Weißer Terror" in die Geschichte einging. Ab 1938
       verabschiedete Horthy eine Reihe von antijüdischen Gesetzen, die sich an
       den Nürnberger Rassegesetzen orientierten. Allerdings widersetzte sich der
       ehemalige k. u. k. Offizier, der sich zum Antisemitismus als politische
       Leitlinie bekannte, lange Zeit der von Nazi-Deutschland geforderten
       Judenvernichtung.
       
       Erst mit der deutschen Besetzung Ungarns 1944 begann die Massendeportation
       zu Zwangsarbeit und nach Auschwitz. Horthy, unterstützt von Papst Pius II.,
       König Gustav V. von Schweden und Franklin D. Roosevelt, erwarb sich im
       letzten Moment Verdienste um die jüdische Gemeinde von Budapest. Während
       aus der Provinz bereits Hunderttausende Juden in die Vernichtungslager
       deportiert worden waren, stoppte er den für Anfang Juni 1944 vorgesehenen
       Transport. Horthy wurde wenig später weggeputscht und mehrere tausend Juden
       in und um Budapest massakriert, bevor die Rote Armee im Januar 1945
       einrückte und das Ghetto befreite.
       
       Während der kommunistischen Herrschaft litten Juden zwar keine Verfolgung,
       doch die Ausübung ihrer Religion war nicht gern gesehen. Und so spielten
       beim Aufstand 1956 auch die Juden eine führende Rolle. Nach der
       Niederschlagung des Aufstandes emigrierten viele, und so ist es fast ein
       Wunder, dass nach der Wende noch eine so starke jüdische Gemeinde zu neuem
       Leben erwachen konnte.
       
       Das jüdische Viertel wirkt heruntergekommen, viele Häuser sind baufällig.
       Die berühmte Rumbach-Synagoge, 1872 erbaut nach den Plänen des Wiener
       Gründerzeitarchitekten Otto Wagner, wurde erst vor wenigen Jahren
       zurückgegeben. Die Restaurationsarbeiten im Kuppelbau sind noch im Gange.
       Trotzdem finden hier schon gelegentlich Veranstaltungen statt.
       
       ## Die Suche nach Tradition
       
       Jüdisches Leben in Budapest ist aber nicht nur nostalgisch. Dafür sorgt der
       Jugendverein Hashomer Hatzair, der weniger den religiösen als den
       kulturellen Traditionen verhaftet ist. Anna Forgács, die jahrelang eine
       Jugendgruppe leitete, bezeichnet sich nicht als religiös, dennoch sagt sie:
       "Religion ist die einzige Sache, die Bestand hat und sich nicht ändert."
       Sie ist an der Organisation von Musikfestivals und Lagern im Sommer
       beteiligt und bemüht sich mit einer Gruppe von Aktivisten auch um die
       Erhaltung des jüdischen Viertels. Die Geschichte von dreißig Häusern wurde
       aufgearbeitet und als mp3-Datei auf einen Online-Führer gespeichert, den
       man per Handy abrufen kann.
       
       Anna Forgács will verhindern, dass weitere Häuser in den Händen von
       Spekulanten enden, die sie dann niederreißen oder kommerziell nutzen:
       "Diese Gebäude sind zu wertvoll von Bau und Geschichte. Wir dürfen nicht
       zulassen, dass die Stadt die Häuser verkauft." Bei so einem Engagement muss
       sich die Gemeinde nicht ums Überleben sorgen.
       
       19 Apr 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Leonhard
       
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