# taz.de -- die wahrheit: Zu lahm für Ochs
       
       > Der Linienrichter - das unbekannte Fußballwesen.
       
 (IMG) Bild: Die Assistenten staksen und traben an den Seitenlinien auf und ab.
       
       ...der an die Seitenlinie beordert wurde und dort seinem Herrn und Meister,
       dem Spielleiter, mehr oder weniger zu dienen hat?
       
       Ist der Linienrichter, wie es auf [1][www.schiedsrichtergespann.de] heißt,
       "von höherer Instanz dazu berufen", Mist zu bauen? Ist sein Tun eitel und
       Unheil bringend - und zwar prinzipiell? Braucht es ihn, den Linienrichter,
       dieses Fossil, diesen Anachronismus, der seit etwa zwanzig Jahren unter dem
       noblen Titel des "Schiedsrichterassistenten" firmiert, überhaupt? Wozu und
       zu welchem Ende Linienrichter im Fußball, wo doch ausgereifte Techniken wie
       der Videobeweis und der Chip im Ball zur Verfügung stünden, sträubten sich
       die störrischen Verbände nicht?
       
       Seit 1891 verrichten Myriaden von Linienrichtern zwischen Reykjavík und
       Kapstadt ihre dubiose, ja numinose oder doch eher ominöse Arbeit, seither
       ist der Schiedsrichter "der alleinige Leiter des Spiels, und die
       Linienrichter [sind] ihm unterstellt" (Wikipedia). 78.251 Schieds-, das
       heißt mehrheitlich Linienrichter begeben sich laut DFB-Statistik aus dem
       Jahr 2009 allein in Deutschland Woche für Woche an die Fußballfront,
       unbegreiflicherweise.
       
       Sie staksen, traben und rennen neben einer gekalkten Linie auf und ab -
       zwischen vier und sieben Kilometer pro Partie, schätzen manche -, den Blick
       auf den Ball und die Hauptakteure gerichtet, und ab und an reißen sie eine
       gelbe Fahne in die Höhe, woraufhin der Boss des Ganzen, der Referee, in ein
       kleines Stück Metall hineinbläst, um anschließend eine Entscheidung
       anzuzeigen oder zu verkünden. Ist das nicht eine der inferiorsten,
       beschämendsten Betätigungen, die überhaupt denkbar sind? Ist der
       Fußballlinienrichter, noch weit vor dem Tennis-, dem Volleyball- und dem
       Hundesport-, das heißt dem Flyballlinienrichter, nicht die reinste
       Inkarnation der Subalternität?
       
       "Als normaler Mensch fragt man sich ja immer, wie zum Geier man eigentlich
       Linienrichter werden kann", lesen wir auf [2][www.captain-trikot.de].
       "Schiedsrichter - das ist ja schon krass, aber Linienrichter?"
       
       Jürgen Röber, ehemals Trainer von Hertha BSC und vom VfL Wolfsburg,
       bekannte Ende 2000 in einem Gespräch mit der Berliner Zeitung, es sei für
       ihn "schwer vorstellbar", wie jemand mit halbwegs intaktem Gefühlsleben
       Schieds- und Linienrichter werden wolle, "sich auf Amateurplätzen
       durchbeißen" wolle, "von allen Leuten angemacht".
       
       Was sind das für Typen, die über keine Karten verfügen, keine elaborierte,
       von Individualität zeugende Geste? Deren Kommunikationssystem einzig und
       allein aus einem einzigen, geringfügig variierten Signal besteht - der
       Fahne, die gehoben wird und die, so schreibt es die Fifa vor, "eine
       natürliche Verlängerung des Arms" sein soll? Wer lässt sich freiwillig zu
       einer Art Maschinenmensch degradieren? Sinds frühkindlich Traumatisierte?
       Zwangscharaktere? Schwer Vermittelbare? Schlicht und einfach Feiglinge?
       "Kleine Männlein an der Seitenlinie" (Klaus Schlappner)?
       
       "Wir sind ganz normale Menschen", behauptet der Bundesligalinienrichter
       Olaf Blumenstein. Der Stern zählte die Fahnenschwenker im Juli 2009 zu den
       "Randfiguren" unserer Welt und titulierte sie als "menschgewordene
       Regelwerke, Zombies mit geheimem Winkbefehl, Grenzsoldaten des Sports".
       
       Fragen, Fragen, Fragen. "Ist Ochs zu schnell für den Linienrichter?" (Bild,
       31. August 2010.) Antwort Heribert Bruchhagen (Eintracht Frankfurt): "Er
       ist einfach zu schnell für die Linienrichter", weshalb er, Ochs, ständig
       wegen angeblicher Abseitsstellung zurückgepfiffen werde.
       
       Der DFB attestiert seinen Schieds- und Linienrichtern, diesen "regelfesten
       Leistungssportlern" ([3][www.dfb.de]), dass sie nach einer "zwanzig bis
       fünfzig Unterrichtsstunden" dauernden Ausbildung inklusive "Einführung in
       die Grundzüge der Fußballregeln" und ein wenig Praxis in unteren Ligen über
       "Augenmaß, Autorität, Kompetenz und Erfahrung, aber auch optimale Fitness"
       verfügen, die in regelmäßigen Leistungstests überprüft wird. Warum dann der
       permanente Ärger? Das rituelle Gebrüll der Trainer in Richtung der
       Schirihiwis? All die Ausraster der Spieler? Wieso der "Ruf nach dem
       Kamerabeweis" (Internet) und der Abschaffung all dieser stressgeplagten,
       mittlerweile profund verhaltensgeschulten Unglücksraben?
       
       Jürgen Röber gestand: "Als Linienrichter bei der Abseitsentscheidung
       gleichzeitig das Abspiel und die Position des Spielers sehen? Geht nicht.
       Bei mir nicht. Dieses periphere Sehen, das ist selbst am Bildschirm so
       schwer." Rechtfertigt das, dass, wie am 23. April 1994 geschehen, ein
       Linienrichter einen Ball im Tor sieht, den der Bayern-Mann Thomas Helmer
       aus fünfzig Zentimetern glasklar neben die Kiste gestolpert hat?
       
       Der Linienrichter Jörg Jablonski erhielt, nachdem er das wohl berühmteste
       Phantomtor der Fußballgeschichte gegeben hatte, Morddrohungen. Ein Jahr
       später beendete er seine Karriere, verängstigt, zermürbt. Dieses
       herzergreifende Beispiel menschlicher Schwäche hinderte jüngst, im Oktober
       2010, freilich die Anhänger des VfB Stuttgart nicht daran, eine Fotomontage
       ins Internet zu stellen, auf der der Stürmer Cacau flehentlich ein Schild
       gen Himmel richtet, auf dem steht: "Eine Bitte an die Linienrichter: Klaut
       uns diesmal keine Punkte!!!"
       
       27 Apr 2011
       
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 (DIR) [2] http://www.captain-trikot.de/
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