# taz.de -- Die Wahrheit: Die Geisel vom Hang
       
       > Die Fußballfreunde vom Frankfurter Fanclub „Hatschongelb“ entführen den
       > Fuß ihres Vereins-Maskottchens.
       
 (IMG) Bild: Die Frankfurter Spieler Yelen und Teixeira wissen noch nichts von der Entführung.
       
       Ich hatte vor Jahren beschlossen, nie mehr eines dieser allerorten blöd in
       der Gegend herumstehenden Fußballtempel- und -zwingburgstadien zu betreten,
       und mich von einem Freund nach wochenlangem Gequengel schließlich doch
       überreden lassen, zu einem Spiel eines zweitklassigen, ökonomisch mehr oder
       minder unbedeutenden Vereins zu fahren. Und dann trafen wir bereits in der
       U-Bahn und anschließend auf der Stehtribüne all das an, was aus unserer
       zauberhaften Geldidiotenwelt nahezu zur Gänze verschwunden ist:
       Rücksichtnahme (in den Schlangen vor dem Kassenhäuschen und am Bierstand),
       Dezenz (der Ordner), Gelassenheit (aller Fans, egal welchen Alters),
       Selbstironie (der Mitglieder sich spontan bildender Kleingruppen) sowie
       Neugier, aber auch höfliche Distanz. Lob und Preis, nun is‘ es raus: dem
       FSV Frankfurt und seinem Publikum!
       
       Ja, ich war tatsächlich: gerührt – und inflammiert, ja infiziert. Nach dem
       Spiel gegen den MSV Duisburg gesellten wir uns zu den getreuesten
       Gefolgsleuten des in der „deutschen Fußballöffentlichkeit“ (Habermas d. J.)
       so schmählich missachteten Großtraditionsklubs, zu unseren neuen, wie sich
       in Sturmwindeseile herausstellte, „schwarzblauen Freunden vom Bornheimer
       Hang“ (Ror Wolf); tranken zusammen mit den noblen Damen und Herren aus
       Block O (Südtribüne) soviel Bier, dass George Best das Weite gesucht hätte;
       und rumpelten irgendwann gemeinsam ins Gallus-Viertel, ins unterdessen
       sattsam oder wenigstens stattlich bekannte High-end-Event-Lokal Kyklamino.
       Um was ins Werk zu richten? Um in Anwesenheit des hochhumanistischen
       Fanbeauftragten Jürgen Eimi und seiner Gattin Sarah den Ersten FSV-Fanklub
       aus Frankfurt-Gallus zu gründen, unter dem von unserem Präsidenten, das
       heißt Grüßaugust und ideellen Gesamtsuppenkasper Michael „Stone“ Stein ins
       schummrige Licht geschmetterten Titel „Hatschongelb“ (HSK).
       
       Zentrale, auf der Gründungsurkunde festgehaltene Bestimmungen: Erwerb eines
       FSV-Schals in Schwarzblau; Jahresbeitrag ein Euro. Geschäftsführer: Leon
       Thorwarth (111 oder 11 Jahre alt), Geschäftsführerin i. V. und Lottofee:
       Katja Thorwarth, Präsident: Stone, Chefideologe: der Unterzeichnete.
       
       So. Und so was kann sich ja aber verlaufen. Tat es allerdings nicht. Keine
       Woche später wurde im Kyklamino unter dem softeisharten Regiment des
       Präsidenten, der „PR-Tante“ (Facebook) Jana Jander und meiner Wenigkeit die
       Satzung von „Hatschongelb“ ausgearbeitet, ja regelrecht ausgetüftelt.
       Daselbst steht nun für alle Zeiten geschrieben (Auszüge): „§ 1 Hatschongelb
       ist ein Fanklub, der die Sprache spricht, die gesprochen werden muss.
       
       § 2 In unserer Sprache heißt das: Lob und Preis dem FSV Frankfurt, was
       immer da kommen mag und Gott respektive jenes höhere Wesen, welchselbiges
       wir adorieren, sich ausdenkt.
       
       § 3 Entfällt …
       
       § 10 Freundlichkeit ist ein Gebot.
       
       § 11 Andere Vereine sind dem FK Hatschongelb wurscht.
       
       § 12 Das übrige regelt John Cleese …
       
       § 347 Wir leben nach der Vogeluhr …
       
       § 831 Wer sich an den Heimweg erinnern kann, schmeißt das nächstemal in der
       Gastkurve eine Runde Rotwein.“
       
       Angehängt war eine Liste mit „Mitgliedern, die wir nicht aufnehmen werden“,
       u. a.: Mario Barth, Jürgen Klopp, Tom Bartels, Steffen Simon, Eric Clapton,
       Waldemar Hartmann.
       
       Gut eine Woche drauf zählten wir über zwanzig Mitglieder (die auf einem
       Formblatt hatten ratifizieren müssen: „Der Fanklub Hatschongelb ist
       prinzipiell sozialistisch indoktriniert oder wenigstens gutgelaunt“) und
       ebenso viele neue, offizielle HSK-Ämter, etwa: Migrationsbeauftragter,
       Geheimdienstchef, Sicherheitschef, Deeskalationsbeauftragter, Arsch vom
       Dienst, Querulant, Mundschenkin des Präsidenten. Und eine vom Präsidenten
       komponierte Hymne hatten wir jetzt auch: „Hat schon Gelb, / hat schon Gelb,
       / hat schon Gelb geseh‘n! / Durch dieses Foul / darfst du mit Rot / jetzt
       endlich duschen geh‘n!“
       
       Zumindest konnten wir, dergestalt mental gerüstet, am 5. Mai zum
       Auswärtsmatch nach Kaiserslautern brummen, im Bus die Windräderwälder der
       Pfalz bewundern, „We all came down to K-Town, to see the FSV“ summen, die
       Klotür aus den Angeln sprengen und die schönsten Fußballernamen aller
       Zeiten auswendig lernen: Hölzenbein, Lahm, Schnellinger, Bum, Bein, Wiese,
       Netzer, Ballack, Blind, Eckels (wahlweise Eckström), Armbruster,
       Hinterkopf, Strohfuß, Banks, Feldkamp, Torres, Thorhauer, Liberopolus,
       Kracht, Streit, Wimmer. Derweil ich mich genötigt wähnte auszuführen, dass
       dem Erzfreund vom Main, der Eintracht, heuer nicht der totale „success“
       beschieden sei, weil sich in der Mannschaft kein einziger Bernd befinde –
       wie dazumal. Man denke an: Bernd Hölzenbein, Bernd Nickel, Bernd Körbel,
       Bernd Grabowski, Bernd Okocha, Bernd Stein und Bernd Bein.
       
       Auf dem Betze ging unser FSV hernach praktisch innerhalb von fünf Minuten
       mit 1:4 unter – auf dass wir den dritten, den Relegationsplatz der zweiten
       Fußballbundesliga generös dem Käsegrillerverein 1. FC Kaiserslautern zu
       überlassen vermochten. Wer will sich schon mit Hoffenheim herumschlagen?
       
       Da, man merke auf, waltete Gott respektive jenes höhere Wesen,
       welchselbiges wir adorieren und das auf den Namen: FSV Frankfurt hört –
       während am folgenden Wochenende, nach dem letzten Heimspiel gegen Bochum,
       unsere Schatzmeisterin Jenny Müller (Chemie, Uni Darmstadt) das Heft des
       Handelns in die Hand nahm, derweil unser Präsident zwei Bierkioske
       leertrank und wahllos Herumstehende zur Hatschongelb-Mitgliedschaft zwang
       und Geschäftsführer Leon sich zunächst seine Kapp‘ von FSV-Coach Benno
       Möhlmann, dem Giganten des Spielfeldrandes, signieren und anschließend von
       den Flügelstürmern Marcel Gaus und Michael Görlitz zehn Fanta on the rocks
       spendieren ließ.
       
       Frau Müller also verschwand auf Geheiß unseres Geheimdienstchefs Peter
       Bushman („Bring mir den Fuß von Franky!“) in den Katakomben der Südtribüne
       und durchkämmte die Gemächer so lange, bis sie in einer mit Gold
       ausgeschlagenen Besenkammer das Kostüm des FSV-Maskottchens Franky gefunden
       hatte. Da der Kopf des „Erdmännchens“ (Bild) trotz aller Verstauungskunst
       und -gewandtheit nicht in Frau Müllers schwarzblaue Gucci-Handtasche passen
       wollte, schnappte sie sich den linken Fuß von Franky, stopfte ihn in die
       Tasche und floh schnurstracks und unentdeckt zurück zu uns, die wir an den
       Sindschonblau-Bierstehtischen „Des nächste Lischä is‘ sischä!“ auf die
       Melodie der Eurovisionshymne intonierten.
       
       Der eiskalte Coup war gelungen, die Entführung perfekt. Nun standen uns
       alle Möglichkeiten offen, den FSV bis aufs Blut zu erpressen und
       Forderungen durchzusetzen, wie sie in der Geschichte des „deutschen
       Fußballs“ (Süddeutsche Zeitung, 2. Mai 2013) niemand zuvor auch nur zu
       stellen gewagt hatte.
       
       Nach einer Karenzwoche schritten wir am 19. Mai schließlich zur Tat und
       setzten ein Geiselnehmerschreiben auf, das sich gewaschen hatte. Man wird
       davon hören. Und wie man davon hören wird! Demnächst in diesem Theater …
       JÜRGEN ROTH
       
       26 May 2013
       
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 (DIR) Jürgen Roth
       
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