# taz.de -- Arbeitnehmerfreizügigkeit für Osteuropäer: Das große Hoffen auf die Lehrlinge
       
       > Ab Mai können sich Schüler aus östlichen EU-Ländern frei auf
       > Ausbildungsplätze bewerben. Firmen diesseits der Grenze warten nun auf
       > polnische und tschechische Azubis.
       
 (IMG) Bild: Ob wohl ein paar junge Polen das Maurerhandwerk auch diesseits von Oder und Neisse erlernen möchten?
       
       BERLIN taz | Im brandenburgischen Cottbus, 30 Kilometer von der polnischen
       Grenze entfernt, sind sie gewappnet. Wenn die letzten Hürden für
       Arbeitskräfte aus Polen und Ungarn, Tschechien oder Slowenien am 1. Mai
       fallen, haben 21 Schulabsolventen aus Polen den deutschen Azubivertrag
       bereits in der Tasche. "Die werden bei uns Kfz-Mechatroniker, Bäcker,
       Fleischer, Bürokauffrau oder Friseurin", sagt Gildo Gehrke, bei der
       Handwerkskammer Cottbus für Ausbildungsmangement zuständig.
       
       Zusammen mit örtlichen Unternehmen hat die Handwerkskammer die Idee
       entwickelt, in einem Pilotprojekt polnische Azubis zu gewinnen. "Die
       Schulabgängerzahlen sind in Cottbus und Umgebung stetig gesunken. 1997
       hatten wir noch 6.000, zuletzt nur noch 3.000 Abgänger. Da bleiben
       Lehrstellen unbesetzt", sagt Gehrke.
       
       Doch bevor die 21 jungen Polen und Polinnen ab September in die Betriebe
       und die Berufsschule gehen, müssen sie ab Mai erst einmal vier Monate lang
       in Cottbus intensiv Deutsch büffeln. Den Kurs finanzieren die
       Handwerkskammer und die Europäische Union. Untergebracht werden die
       Schüler, die meisten kommen aus dem 100 Kilometer entfernten Zielona Gora,
       erst mal in einem Cottbusser Studentenwohnheim. Gehrke ist stolz auf das
       Projekt: "Wir schicken keinen in Praktika, sondern vermitteln direkt eine
       richtige Lehrstelle."
       
       ## Auch in Polen sind Azubis rar
       
       Auch Tomasz Gierczak, der in Zielona Gora sitzt und für europäische
       Angelegenheiten im Regierungsbezirk Lubuskie verantwortlich ist, freut
       sich: "Wir sind einem freien Europa einen Schritt näher." Die
       Azubi-Abwerbung macht Gierczak allerdings Sorge: "Bei den Deutschen weckt
       das Hoffnungen, bei uns Befürchtungen." Schließlich leide auch Polen unter
       Bewerbermangel. "Viele Polen wollten seit den 1990er Jahren lieber
       studieren, statt Handwerker zu werden." Jetzt, so fürchtet Gierczak,
       könnten polnische Schüler lieber nach Deutschland gehen, "die Vergütungen
       für Azubis sind dort deutlich höher".
       
       André Schulz, Sprecher der Agentur für Arbeit in Frankfurt an der Oder,
       rechnet allerdings nicht mit dem großen Azubi-Ansturm. "Die Unternehmen
       hier machen sich zum Teil überzogene Hoffnungen." Die Arbeitsagentur
       kooperiert seit Jahren eng mit ihrem polnischen Pendant in der Nachbarstadt
       Slubice, die von Frankfurt nur durch die Oder getrennt ist. Man tausche
       Personal zum Hospitieren aus oder geht gemeinsam auf Ausbildungs- und
       Berufsmessen. "Wir bemerken in letzter Zeit eine verstärkte Nachfrage nach
       deutschen Ausbildungsplätzen", berichtet Schulz. "Aber die meisten
       Interessierten konnten zu wenig Deutsch."
       
       In Frankfurt und Umgebung fehlen Fachkräfte vor allem in der Metall- und
       Elektrobranche, im Erziehungs- oder Gesundheitswesen aber auch auf dem Bau.
       "Vor allem die Berufe, wo man sich die Hände dreckig macht, sind nicht mehr
       gefragt", sagt Schulz. Ob für solche Lehrstellen künftig polnische
       Jugendliche infrage kommen, bezweifelt er. "Die Polen sind sehr
       heimatverbunden. Ein Umzug muss sich also lohnen. Und hier sind die
       Gehälter nicht besonders hoch. Die Leute gehen lieber direkt nach England
       oder Westdeutschland", sagt Schulz.
       
       Er habe auch keine Angst, dass den dennoch zum Gehen entschlossenen Polen
       von deutscher Seite vermehrt Fremdenfeindlichkeit entgegenschlagen könne,
       sagt Schulz. "Das sah aber vor einigen Jahren noch ganz anders aus." 2004
       gab es in der Region noch rund 46.000 Arbeitslose. Seither ist die Zahl auf
       26.000 gesunken. "Viele sind abgewandert oder in Rente, das nimmt den Druck
       aus dem Topf."
       
       ## "Die jungen Menschen haben keine Angst voreinander"
       
       In Niederbayern und der Oberpfalz könnten osteuropäische Azubis durchaus
       höhere Löhne erhalten als in Ostbrandenburg. Doch auch hier, an der Grenze
       zu Tschechien, rechnet Ludwig Rechenmacher nicht mit einem
       Lehrlingsansturm. "Uns erwartet nichts Neues - der Mai wird sein wie der
       April." Dabei wäre der Leiter der Außenwirtschaftsabteilung der
       Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz durchaus froh über mehr
       Hochqualifizierte und Azubis. Deutsche Unternehmen buhlten bereits seit der
       Öffnung der Grenze vor 20 Jahren um junge Tschechen.
       
       Doch: "Die Tschechen lassen ihre Auszubildenden nicht gern nach
       Deutschland", sagt Rechenmacher. Auch auf der anderen Seite der Grenze
       herrsche ein ausgeprägter Fachkräftemangel. "Wir haben es mit einem
       umkämpften Markt zu tun." Ängste oder Ressentiments, dass jetzt Osteuropäer
       Lehrstellen klauten, kann Rechenmacher nicht erkennen. "Die jungen Menschen
       haben keine Angst voreinander. An der Basis funktioniert Europa."
       
       1 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) E. Völpel
 (DIR) L. Ondreka
       
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