# taz.de -- Rechtsextreme Gewalt vor Gericht: Mit einem Schlag das Leben zerstört
       
       > In Kiel hat das Berufungsverfahren gegen Christopher R. begonnen: Der
       > Leiharbeiter verletzte vor drei Jahren am Rande einer Neonazi-Aktion
       > einen Balletttänzer schwer. Der wird nie wieder auftreten können.
       
 (IMG) Bild: Die Neonazis waren über Jahre seine "Familie", sagt der Angeklagte Christopher R.
       
       KIEL taz | Ein Satz, ein Schlucken. Zögernd erzählt Claudius C., dass nicht
       nur seine Existenz als Balletttänzer nach dem Angriff durch Christopher R.
       vorbei ist.
       
       "Ich bin persönlich aus der Umlaufbahn geworfen worden. Es ist ein nicht
       endender Alptraum." Sätze, die nachhallen zu Beginn der
       Berufungsverhandlung am Donnerstag Nachmittag.
       
       In Saal 126 des Kieler Landgerichts herrscht fast völlige Stille. "Tanzen",
       sagt der 30-Jährige C., "das war mein Leben." An dem Angriff selbst kann er
       sich nicht erinnern: "Alles weg."
       
       Am 18. April 2009 hatten sich nahe dem Kieler Opernhaus rund 30 Neonazis
       versammelt, um einen Infostand des "Runden Tisches gegen Rassismus"
       anzugreifen.
       
       Als R. eintraf, setzte die Polizei seine Kameraden bereits fest.
       Balletttänzer C. hatte während dessen mit zwei Kollegen nach einer Probe
       auf einer nahe gelegen Wiese ein Picknick gemacht. Sie hatten die Rangelei
       mitbekommen und beschlossen, sich lieber zu entfernen.
       
       Als R. zwischen den dreien hindurchging, schlug er C. ohne jede Vorwarnung
       von hinten auf die linke Kopfseite - so stark, erinnert sich ein Zeuge,
       dass C. sich noch halb umdrehte und dann ungeschützt auf den Asphalt
       stürzte. Der Schlag führte zu einer Schädelfraktur, der Sturz zu einer
       weiteren. Als R. sich festnehmen ließ, grinste er.
       
       Kein Räuspern ist im Publikum zu hören, als der schmächtige C. sich vor
       Gericht durch die Haare fährt und erzählt: Wie anstrengend jeder Tag sei,
       mit taubem linken Ohr und beeinträchtigtem Gleichgewichtssinn, und wie
       schwer ihm die Umschulung zum Ergo-Therapeuten falle.
       
       Nach Reha-Maßnahmen sowie Praktika als Licht- und Tontechniker stehe fest,
       dass eine Arbeit am Theater nicht möglich sei, sagt der ehemalige Tänzer
       des Opernhauses. Er presst die Lippen zusammen und sieht hin zu dem Mann,
       dem er den "nicht endenden Alptraum" verdankt.
       
       Christopher R. erwidert den Blick nicht, sitzt da mit gesenktem, rotem Kopf
       und blonder Kurzhaarfrisur. Wie Christopher C. hatte auch er durch seinen
       Anwalt Berufung einlegen lassen gegen das Urteil des Amtsgerichts Kiel:
       Dieses hatte R. am 6. Juni 2010 zu zwei Jahren und acht Monaten Haft
       verurteilt.
       
       Und es hatte erklärt, dass von einer schweren Körperverletzung nicht
       auszugehen sei: Bei Claudius C. sei keine völlige Arbeitsunfähigkeit oder
       gar geistige Behinderung gegeben.
       
       C.s Freundin dagegen schildert unter Tränen die nachhaltigen Auswirkungen
       jenes 18. April. "Lebensfroh" sei C. zuvor gewesen, "den Menschen
       zugewandt", erzählt sie.
       
       Nun aber könne er Gesprächen in einer Gruppe kaum folgen, sehe sich auf der
       Straße immer wieder ängstlich um. Und jähzornig geworden sei er, "weil er
       sein jetziges Leben nicht ertragen kann".
       
       Mit der Berufung möchte C.s Anwalt erreichen, "dass das Urteil von
       gefährlicher auf schwere Körperverletzung geändert wird, um die Tatfolgen
       korrekter einzuordnen". Der Verteidiger von R. sagt, sein Mandant "hofft
       auf eine Bewährungsstrafe".
       
       Warum er damals zuschlug, kann R. am Vormittag nicht erklären: "Weiß
       nicht." Fragen zu seinem Leben oder seiner politischen Einstellung scheint
       der etwas stämmige Leiharbeiter kaum zu verstehen. Minuten vergehen, bis
       der 27-Jährige erklärt, seit seinem 13. oder 14. Lebensjahr in der rechten
       Szene unterwegs zu sein.
       
       "Mein Mandant kann sich nicht so in Worten ausdrücken", springt sein
       Verteidiger bei und fügt an, dass R.s Mutter ihren Sohn ins Heim gegeben
       habe, wegen seiner Einstellung, aber auch wegen Schuleschwänzens und
       Alkoholkonsums.
       
       Weinend erzählt R., wie er über Musik und Freunde in die Szene gekommen
       sei. Wie die zu seiner "Familie" geworden sei. Und dass er das alles
       irgendwie nicht mehr wolle.
       
       Sein Verteidiger fragt nach R.s jetziger Einstellung, er antwortet: "Wenn
       ich da in der Bild lese, dass die kriminellen Ausländer bleiben, dann denke
       ich, die haben doch recht". "Die", das sind die Kameraden, die R. fehlen,
       über die er aber nichts weiter sagen will - aus Angst vor Rache.
       
       Eine Ausstiegshilfe will er angerufen haben, erzählt R., der mal für die
       NPD bei den Kommunalwahlen kandidierte. Er dürfte das Aussteigerprogramm
       für Rechtsextremisten des Bundesamtes für Verfassungsschutz meinen. Genau
       wisse er nur noch, dass ein Beamter ihm nach einem Telefonat gesagt habe,
       sie könnten ihm nicht helfen - weil er nirgends fest organisiert sei.
       
       Verlegen sitzt er da, als die Richterin und C.s Anwalt nachfassen. Immer
       wieder bittet sein Verteidiger um eine Pause, gibt für seinen Mandanten
       Erklärungen ab. Der Verteidiger schafft es sogar, R. eine Bitte um
       Entschuldigung wiedergeben zu lassen.
       
       Das alles hört C. mit fest geschlossenen Lippen. "Das Verfahren belastet
       mich sehr", sagt er später. Zwei weitere Verhandlungstage sind angesetzt.
       
       15 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Speit
       
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