# taz.de -- Aus „Le Monde diplomatique“: Zwölf Jahre Chavismus in Venezuela
       
       > Der Mainstream hält Hugo Chávez für einen autoritären Despoten, linke
       > Gegenmedien fasziniert dessen „bolivarische Revolution“. Der Versuch
       > einer realistischen Bilanz.
       
 (IMG) Bild: Ein großer Performer mit vielen Problemen: Hogo Chavez.
       
       Auch zwölf Jahre nach dem Amtsantritt von Präsident Hugo Chávez fällt eine
       Bewertung der „bolivarischen Revolution“ alles andere als leicht. Im
       November war im venezolanischen Staatsfernsehen ein Auftritt des
       Präsidenten zu sehen, der die widersprüchliche Lage gut illustriert. Wieder
       einmal zeigte sich Chávez in Angriffslaune (1): Mit einer Trainingsjacke in
       Nationalfarben bekleidet, attackierte er die bürgerliche Opposition und
       bezeichnete sie – obwohl die Rechtskoalition MUD bei den Parlamentswahlen
       im September 2010 nur 100.000 Stimmen weniger als die Regierungspartei PSUV
       erhalten hatte (2) – als „Häuflein“.
       
       Plötzlich jedoch änderte Chávez den Tonfall und wandte sich an den neben
       ihm stehenden Vizepräsidenten Elias Jaua, der als bewegungsnaher junger
       Intellektueller gilt. Chávez erkundigte sich nach der Telefonnummer des
       Soziologen Javier Biardeau, der die Regierung am selben Tag in einem
       Zeitungsinterview scharf kritisiert (3) und ihr vorgeworfen hatte, einen
       „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ aufbauen zu wollen, ohne sich über das
       Desaster des alten Staatssozialismus Gedanken zu machen. Man reproduziere
       vertikale Führungsmodelle, anstatt jene partizipative Demokratisierung
       voranzutreiben, die doch eigentlich den Kern des bolivarischen Projekts
       ausmachen sollte. Auf eben diese Aussage nahm Chávez nun Bezug: „Mir
       gefällt die Kritik … Javier, ich ruf dich an.“
       
       Die Bilder waren irritierend: Sollte man sich über die paternalistische Art
       des Präsidenten aufregen, der wieder mal mit einem Fingerzeig erklärte,
       worüber im Land diskutiert werden kann und worüber nicht? Oder sollte man
       positiv festhalten, dass er nach zwölf Jahren an der Macht
       radikaldemokratische Kritik immer noch ernst nimmt?
       
       In den internationalen Medien fallen die Bewertungen des Chavismus fast
       immer eindeutig aus. Der Mainstream hält Venezuela für eine autoritäre
       Despotie; die kleinen linken Gegenmedien glauben, einen Sozialismus neuen
       Typs zu erkennen. Dass eine realistische Bilanz weniger eindeutig ausfällt,
       darf kaum überraschen.
       
       Bei den Erfolgen der Chávez-Regierung ist an erster Stelle auf die
       Sozialreformen zu verweisen. Die Verarmung, die Venezuela in den 1990er
       Jahren erfasst hatte, ist gestoppt. Der lateinamerikanischen
       Wirtschaftskommission Cepal zufolge ist der Anteil der unterhalb der
       Armutsgrenze lebenden Bevölkerung seit 1999 von 49 Prozent auf 28 Prozent
       zurückgegangen. (4) Auch die Einkommensungleichheit hat stark abgenommen:
       Den Cepal-Daten zufolge sank der Gini-Koeffizient (5) seit der
       Jahrtausendwende von 0,50 auf 0,41, womit Venezuela heute den niedrigsten
       Wert in Lateinamerika aufweist.
       
       ## Der verrückte Chávez und der vernünftige Lula
       
       Zurückzuführen sind diese Veränderungen auf die Sozial- und
       Beschäftigungspolitik der Chávez-Regierung, die hunderttausende feste
       Beschäftigungsverhältnisse geschaffen und den Zugang zu öffentlichen
       Gütern, Gesundheits- und Bildungswesen mithilfe von Sozialprogrammen
       erleichtert hat. Kritiker weisen in diesem Zusammenhang zwar oft darauf
       hin, dass es für ein Erdölland ein Leichtes sei, kostspielige
       Sozialprogramme zu finanzieren. Doch genau das war Venezuela vor Chávez
       nicht mehr gelungen: Die Öleinnahmen verblieben damals im Staatsunternehmen
       PDVSA, das vom Management der politischen Kontrolle entzogen wurde. (6)
       
       Zweitens hat die Chávez-Regierung nicht unerheblich dazu beigetragen,
       internationale Kräfteverhältnisse zu verschieben. Als der venezolanische
       Präsident Ende der 1990er Jahre von einer „multipolaren Weltordnung“
       sprach, hörte sich das weltfremd, fast ein wenig verrückt an. Zehn Jahre
       später scheint die US-Vorherrschaft tatsächlich am Ende. Venezuela ist zwar
       sicher nicht Ursache dieser Kräfteverschiebung, hat aber immerhin wichtige
       Akzente gesetzt. Unmittelbar nach ihrem Amtsantritt startete die
       Chávez-Regierung eine Initiative zur Neuformierung der Opec.
       
       Deren Rückkehr zur Förderdisziplin trug 1999 bis 2000 wesentlich zum
       Anstieg des Ölpreises von 10 auf knapp 30 US-Dollar bei. Im Gegenzug
       eröffnete Venezuela lateinamerikanischen Staaten die Möglichkeit, Öl zu
       Vorzugspreisen zu beziehen. So erhalten heute viele Länder im Rahmen des
       Ölverbands Petrocaribe venezolanisches Öl deutlich unterhalb der
       Weltmarktpreise. (7)
       
       Als indirekter außenpolitischer Erfolg kann auch die Gründung der
       südamerikanischen Staatengemeinschaft Unasur gelten. Venezuela schlug
       bereits 2001 vor, die Freihandelspläne Washingtons mit einer eigenständigen
       lateinamerikanischen Integration zu beantworten. Die 2004 gegründete Alba
       blieb in der Folge zwar auf die links regierten Länder beschränkt. Doch die
       Initiative wurde insofern aufgegriffen, als 2008 unter brasilianischer
       Führung die Unasur entstand. Dass die USA hier nicht vertreten sind, trug
       maßgeblich dazu bei, dass sich Unasur bei den Umsturzversuchen in Bolivien
       und Ecuador 2008 und 2010 klar hinter die US-kritischen Präsidenten Evo
       Morales und Rafael Correa stellte.
       
       Die Darstellung westlicher Medien, die häufig zwischen dem „vernünftigen“
       Lula und dem „verrückten“ Hugo Chávez differenzieren, geht in diesem Sinne
       an der Realität vorbei. In der Praxis herrschte zwischen den beiden
       Präsidenten eher eine Art Arbeitsteilung: Lula machte sich die Räume, die
       der polternde Antiimperialist Chávez eröffnete, systematisch zunutze.
       
       Dabei steht allerdings außer Frage, dass die neue Autonomie Lateinamerikas
       nicht nur positive Seiten hat: Die Anbiederung an das theokratische Regime
       im Iran oder die Verbrüderung Chávez’ mit dem Gaddafi-Regime in Libyen kann
       man nur als abstoßend bezeichnen. Doch das neue lateinamerikanische
       Selbstbewusstsein besitzt eben auch eine wichtige sozialpolitische
       Dimension. In den vergangenen Jahrzehnten zwangen die westlichen
       Industriestaaten – vermittelt über den IWF – Lateinamerika immer wieder
       eine neoliberale Politik auf. Ergebnis war eine neokoloniale Enteignung
       durch die Privatisierung öffentlicher Güter, der durch die neue
       lateinamerikanische Autonomie Grenzen gesetzt wurden.
       
       Ein dritter Erfolg der Regierung Chávez ist die Verabschiedung der neuen
       Verfassung. Die Konstitution von 1999 ist gleich in mehrerer Hinsicht
       interessant: Anders als die EU-Verfassung wurde sie nicht von Technokraten
       und hinter verschlossenen Türen entwickelt, sondern ging aus einer
       gesellschaftlichen Debatte hervor. Zudem trägt sie klar progressive Züge:
       Soziale Rechte, öffentliches Eigentum und plebiszitäre Elemente wurden
       gestärkt, Venezuela als partizipative Demokratie definiert. Am wichtigsten
       ist jedoch, dass der Verfassungsprozess neue Wege der Veränderung aufzeigt
       und das Verhältnis von Kontinuität, Transformation und Bruch neu bestimmt
       hat. In Venezuela – Ähnliches gilt für Ecuador und Bolivien – fand der
       politische Wandel innerhalb bestehender Institutionen statt. Dennoch
       bedeutete die Verabschiedung der neuen Verfassung einen Bruch, durch den
       radikalere Veränderungen möglich geworden sind.
       
       Viertens schließlich hat die Chávez-Regierung das neoliberale „Tina“-Credo
       (“There is no alternative“) außer Kraft gesetzt. Ausgerechnet ein
       traditionell ineffizienter, klientelistischer Staat Lateinamerikas hat den
       Beweis erbracht, dass eine alternative Fiskal- und Sozialpolitik jederzeit
       möglich wäre. Dieser Politikwechsel war allerdings alles andere als
       einfach. Seit 2002 hat die rechte venezolanische Opposition immer wieder
       versucht, die Regierung Chávez mit Gewalt zu stürzen. Offensichtlich ist
       eine soziale Reformpolitik, anders als die europäischen Sozialdemokratien
       behaupten, also durchaus möglich. Es erfordert nur eben große
       Entschlossenheit, sie gegen herrschende Interessen durchzusetzen.
       
       So weit die Erfolge: Doch was ist mit der Behauptung, in Venezuela entstehe
       ein „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“? Die am häufigsten zu hörende
       Kritik, dass nämlich die Chávez-Regierung unabhängige Medien verfolge, hat
       mehr mit Propaganda als mit der Wirklichkeit zu tun. Anders als im
       Nachbarland Kolumbien müssen oppositionelle Journalisten in Venezuela nicht
       um ihr Leben fürchten, wenn sie sich mit dem Präsidenten anlegen. Und es
       ist auch nicht wahr, dass die venezolanische Regierung die „Simpsons“ oder
       ganze Oppositionssender verboten hätte. Die Situation ist auch hier
       komplexer: Gegen die bürgerlichen Medienkonzerne, die über Jahre
       unverhohlen zum Aufstand gegen den – immerhin demokratisch gewählten –
       Präsidenten aufgerufen haben, hat die Regierung ein spezielles Mediengesetz
       in Stellung gebracht.
       
       Dieses Gesetz, das offiziell dazu dient, Kinder vor der Darstellung von
       Gewalt und Sex zu schützen, lässt sich bestens im Kleinkrieg mit den Medien
       instrumentalisieren. Dass der Fernsehsender Televen 2008 gezwungen wurde,
       die „Simpsons“ aus dem Kinderprogramm zu nehmen (woraufhin der Sender die
       pädagogisch wertvolle „Baywatch“-Serie ansetzte), war vermutlich der
       Ignoranz einiger Bürokraten geschuldet. Eindeutig politisch motiviert war
       hingegen das Urteil, mit dem ein Gericht in Caracas der Tageszeitung El
       Nacional im Wahlkampf 2010 die Abbildung von Leichen verbot. Mehrere
       Zeitungen hatten versucht, mit schockierenden Titelbildern auf die hohe
       Kriminalitätsrate im Land hinzuweisen.
       
       Außer Frage steht, dass die Chávez-Regierung die Privatmedien mit allen
       Mitteln zu schwächen versucht. So wurde die Lizenz des Senders RCTV 2007
       nicht mehr verlängert, und die oppositionellen Privatmedien erhalten kaum
       noch Werbeaufträge von der Regierung. Ob dadurch allerdings die Demokratie
       untergraben wird, muss man sehr infrage stellen. Immerhin sind die großen
       Medienkonzerne in der Regel alles andere als Garanten partizipativer
       Meinungsbildung. Außerdem muss man berücksichtigen, dass in Venezuela dank
       der neuen Mediengesetze seit 2000 mehr als 100 unabhängige Bürger- und
       Community-Radios entstanden sind, die zu einer demokratischen
       Meinungsäußerung sicher mehr beitragen als Kommerzsender.
       
       Nicht diskutieren lässt sich hingegen darüber, dass die Entwicklung der
       Kriminalität einen Misserfolg für die Regierung Chávez darstellt. Obwohl
       die Sozialversorgung in den Armenviertel deutlich besser geworden ist,
       gehört Caracas weiter zu den gefährlichsten Städten der Welt. Das hat zwar
       auch mit den Aktivitäten kolumbianischer Narco-Paramilitärs (8) zu tun, die
       ihren Wirkungsbereich in den letzten Jahren nach Venezuela ausgedehnt und
       die organisierte Kriminalität dort massiv gestärkt haben. Doch
       entscheidender ist, dass der venezolanische Polizeiapparat offensichtlich
       selbst für einen beträchtlichen Teil der Verbrechen verantwortlich ist.
       Obwohl die Regierung Chávez seit Jahren an einer grundlegenden
       Polizeireform arbeitet (9), ist die Lage nach wie vor dramatisch. Selbst
       die Leiterin des Reformprojekts, die renommierte Menschenrechtsaktivistin
       Soraya El Achkar, ist der Ansicht, dass man der venezolanischen Polizei in
       der heutigen Form nicht trauen könne.
       
       Das gravierendste Problem Venezuelas ist jedoch, dass man bei den
       Hauptanliegen nicht vorangekommen ist: beim Aufbau einer partizipatorischen
       Demokratie und beim ökonomischen Umbau. Andrés Antillano, langjähriger
       Aktivist der Stadtteilbewegungen von Caracas, merkt kritisch an: „Die
       Sozialprogramme, die 2003 und 2004 Orte der Beteiligung waren, sind
       institutionalisiert worden. Viele Aktive sind Staatsangestellte geworden
       oder beziehen Regierungsstipendien. Auf diese Weise ist die politische
       Mobilisierung durch materielle Leistungen ersetzt worden. Und das führt
       wiederum dazu, dass in vielen Fällen Gehorsam belohnt und abweichende
       Meinungen bestraft werden.“
       
       ## Der zweite Apparat der Chavisten
       
       Ähnliche Einwände äußert auch der Gewerkschafter Santiago Arconada.10 Er
       verweist auf die Oberflächlichkeit vieler Reformen. Im Bundesstaat Sucre
       sei der Polizei das Adjektiv „sozialistisch“ verliehen worden, ohne dass es
       irgendeine strukturelle Reform gegeben hätte. Kaum besser sei die Situation
       bei den Consejos Comunales: Nur fünf Jahre nach der Einführung der
       Bürgerräte seien diese von der Bevölkerung ähnlich weit entfernt wie
       traditionelle Gemeindeverwaltungen. Anstelle einer kommunalen
       Selbstverwaltung ist ein zweiter Repräsentationsapparat entstanden.
       
       Anhänger des Chavismus erklären diese Entwicklung oft mit Überläufern aus
       dem alten Apparat. Doch nach zwölf Jahren lassen sich Probleme nicht mehr
       einfach mit vererbten Strukturen erklären. Edgardo Lander, einer der
       wenigen venezolanischen Intellektuellen, die die Regierung unterstützen,
       ohne die Kritik an ihr aufzugeben, präsentiert eine andere Erklärung: Der
       Chavismus begreife nicht, so Lander nach den für den Chavismus enttäuschend
       verlaufenen Parlamentswahlen (11) im September 2010, dass
       Selbstverwaltungsstrukturen eigenständig sein müssten. „Ist eine
       Demokratisierung ohne den Aufbau autonomer sozialer Organisationen denkbar?
       Ist sie denkbar, wenn gleichzeitig Gewerkschafts- und Volkskomitees durch
       Staats- und Parteistrukturen kolonisiert werden? Sind die Consejos
       Comunales der demokratische Organisationskern der gesamten Gesellschaft
       beim Aufbau neuer sozialer Beziehungen […] oder sollen [sie] der Ort sein,
       an dem sich Anhänger des Chavismus organisieren, auch wenn dadurch die
       Hälfte der Bevölkerung ausgeschlossen wird?“
       
       Nicht minder beunruhigend ist die Entwicklung der ökonomischen Reformen. An
       den strukturellen Problemen Venezuelas hat sich seit 1999 nichts
       Wesentliches geändert. Rohstoffe machen nach wie vor 90 Prozent der Exporte
       aus, die Auslandsschulden sind seit 2002 von 35 Milliarden auf 66
       Milliarden US-Dollar gestiegen. (12) Zudem muss Venezuela, obwohl man sich
       die Nahrungsmittelsouveränität groß auf die Fahnen geschrieben hat,
       weiterhin den Großteil seiner Lebensmittel importieren. (13)
       
       Um die wirtschaftliche Abhängigkeit von den Öleinnahmen zu verringern,
       startete die Chávez-Regierung 2005 eine groß angelegte
       Genossenschaftskampagne. Zehntausende Menschen wurden im Rahmen der Mission
       „¡Vuelvan Caras!“ (etwa: „Wendet den Blick!“) ausgebildet, um
       selbstverwaltete Betriebe und Kooperativen aufzubauen. 2007 musste das
       regierungsnahe Onlinemagazin [1][Venezuelanalysis.com] jedoch vermelden,
       dass von den registrierten 181.000 Kooperativen selbst nach offiziellen
       Statistiken mehr als 60 Prozent nur auf dem Papier existieren. (14) Die
       realen Zahlen dürften noch weit darunter liegen. Obwohl – oder gerade weil
       – der Staat großzügig Subventionen verteilt hat, ist kein tragfähiger
       Genossenschaftssektor entstanden.
       
       Irritierend an diesen Beobachtungen ist letztlich nicht, dass Venezuela die
       schwierige politische und ökonomische Transformation bislang nicht gelungen
       ist. Warum sollte Venezuela die großen Fragen beantworten können, an denen
       der Sozialismus im 20. Jahrhundert überall gescheitert ist. Bedenklich ist,
       dass über die Schwierigkeiten bei der gesellschaftlichen Transformation
       nicht gesprochen wird. Unter großer Aufmerksamkeit der chavistischen Medien
       eröffnete das venezolanisch-iranische Joint Venture Venirauto 2007 bei
       Maracay eine Automobilfabrik. (15) Darüber, dass das Unternehmen in den
       vergangenen Jahren kaum Fahrzeuge hergestellt hat, und warum das so ist,
       hat man jedoch nichts mehr gehört und gelesen. Ähnlich auch der Fall der
       staatlichen Aluminiumwerke von Alcasa: Im Jahr 2005 feierlich in
       „revolutionäre Mitverwaltung“ übergeben, wird der Betrieb heute wieder
       konventionell geleitet – ohne dass die Öffentlichkeit wüsste, was geschehen
       ist.
       
       Verloren ist die venezolanische Sache dennoch nicht. Verglichen mit den
       staatssozialistischen Regimes des 20. Jahrhunderts ist Venezuela auch nach
       zwölf Jahren „bolivarischer Revolution“ noch erstaunlich offen. Eine
       Demokratisierung von unten, wie sie in der Verfassung angelegt ist, ist
       immer noch möglich. Allerdings müssten dafür viele Dinge infrage gestellt
       werden: Die Fixierung auf Chávez müsste verringert, die klientelistischen
       Praktiken des Staatsapparats müssten bekämpft, politische Macht müsste an
       Consejos Comunales und andere Basisorganisationen übergeben und die
       Vergesellschaftung der Ökonomie langsamer, aber nachhaltiger und vor allem
       basisdemokratischer organisiert werden. Die Herausforderungen für Venezuela
       sind nicht eben klein. Es kann sein, dass der Karibikstaat an seinen Zielen
       scheitert. Das Bemerkenswerte aber ist, dass man dort überhaupt das Ziel
       formuliert, Demokratie und Wirtschaft grundlegend anders zu gestalten.
       
       Fußnoten:
       
       (1) Der Ausschnitt ist online zu sehen unter:
       [2][www.youtube.com/watch?v=FfkoV_ONZlw].
       
       (2) Die PSUV erhielt etwa 5,4 Millionen Stimmen, der Oppositionsblock MUD
       5,3 Millionen und die bis vor kurzem in der Regierung vertretene
       Mitte-links-Partei PPT weitere 350 000 Stimmen; vgl. Edgardo Lander,
       „¿Quién ganó las elecciones parlamentarias en Venezuela?“, Caracas 2010,
       [3][www.tni.org/sites/www.tni.org/files/Quién ganó las elecciones
       parlamentarias en Venezuela.pdf].
       
       (3) Das ganze Interview unter:
       [4][www.rosalux.org.ec/index.php?option=com_rubberdoc&view=doc&id=28&format
       =raw].
       
       (4) Die Armut ist zwar auch im lateinamerikanischen Durchschnitt
       zurückgegangen, aber dort ist der Rückgang deutlich geringer ausgefallen:
       Die Vergleichszahlen liegen bei 44 Prozent und 33 Prozent. Vgl.
       Cepal-Bericht 2010: „Panorama social de América Latina 2010“. Der
       statistische Annex online unter:
       [5][www.eclac.org/publicaciones/xml/9/41799/PSE2010_AnexoEstadistico-Prelim
       inar.xls].
       
       (5) Der Der Gini-Koeffizient gibt das Ausmaß ungleicher
       Einkommensverteilung an: 0 entspricht der perfekten Gleichheit (alle haben
       das gleiche Einkommen), 1 der völligen Ungleichheit (das gesamte
       Volkseinkommen gehört einer einzigen Person).
       
       (6) Vgl. Bernard Mommer, „Subversive Oil“, in: Steve Ellner und Daniel
       Hellinger (Hg), „Venezuelan Politics in the Chávez Era“, Boulder (Lynne
       Rienner) 2003, S. 131–146.
       
       (7) Sozialpolitik mit Erdöl hat Venezuela auch in den USA und
       Großbritannien betrieben. Das PDVSA-Tochterunternehmen Citgo versorgt seit
       2006 mehr als 100 000 US-Haushalte, die über ein geringes Einkommen
       verfügen, mit bis zu 60 Prozent verbilligtem Heizöl; vgl. die Berichte
       unter: [6][venezuelanalysis.com/tag/citgo]. Mit der Labour-Stadtverwaltung
       von London vereinbarte die Chávez-Regierung 2007 zudem einen Tausch.
       Finanziert durch venezolanische Öllieferungen, senkten die Londoner
       Verkehrsbetriebe die Ticketpreise für Geringverdiener. Im Gegenzug
       entsandte der Labour-Bürgermeister Ken Livingstone Stadtplanungsexperten
       nach Venezuela (BBC News, 20. Februar 2007).
       
       (8) Der Begriff „Narco-Paramilitärs“ verweist auf die amalgamische
       Verbindung von organisiertem Drogenhandel und politischer Gewalt. Die
       jüngsten Aussagen ehemaliger Paramilitärkommandanten belegen den seit
       langem gehegten Verdacht, dass der Dachverband der Paramilitärs (AUC) von
       der kolumbianischen Geheimpolizei DAS und den Streitkräften geführt wurde.
       Es scheint, dass auch die Verlagerung des Narco-Paramilitarismus nach
       Venezuela zumindest Anfang der 2000er Jahre von Teilen des kolumbianischen
       Staatsapparats gedeckt wurden.
       
       (9) Über den Reformprozess berichtet die Website
       [7][www.consejopolicia.gob.ve/].
       
       (10) Santiago Arconada, „El otro diálogo“, 2. Februar 2011,
       [8][www.aporrea.org/ideologia/a116888.html].
       
       (11) Siehe Anmerkung 2, Edgardo Lander.
       
       (12) Siehe Anmerkung 4, Cepal-Bericht 2010, S. 105 und S. 164.
       
       (13) Nach Angaben der Wirtschaftszeitung América Economía beliefen sich die
       Importe 2010 auf mehr als 5 Milliarden US-Dollar:
       [9][www.americaeconomia.com/negocios-industrias/importaciones-de-alimentos-
       en-venezuela-ascenderan-us6500m-en-2011].
       
       (14) Michael Fox, „Venezuela’s Co-op Boom“:
       [10][www.venezuelanalysis.com/analysis/2393], 5. Dezember 2007.
       
       (15) Hier stellte sich zudem die Frage, warum ein Land, das alternative
       Entwicklungskonzepte verteidigt, eine nationale Automobilindustrie braucht.
       
       © [11][Le Monde diplomatique, Berlin]
       
       Le Monde diplomatique Nr. 9494 vom 13.5.2011
       
       22 May 2011
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://venezuelanalysis.com/
 (DIR) [2] http://www.youtube.com/watch%3Fv=FfkoV_ONZlw
 (DIR) [3] http://www.tni.org/sites/www.tni.org/files/Qui%C3%A9n+gan%C3%B3+las+elecciones+parlamentarias+en+Venezuela.pdf
 (DIR) [4] http://www.rosalux.org.ec/index.php%3Foption=com_rubberdoc&view=doc&id=28&format=raw
 (DIR) [5] http://www.eclac.org/publicaciones/xml/9/41799/PSE2010_AnexoEstadistico-Preliminar.xls
 (DIR) [6] http://venezuelanalysis.com/tag/citgo
 (DIR) [7] http://www.consejopolicia.gob.ve/
 (DIR) [8] http://www.aporrea.org/ideologia/a116888.html
 (DIR) [9] http://www.americaeconomia.com/negocios-industrias/importaciones-de-alimentos-en-venezuela-ascenderan-us6500m-en-2011
 (DIR) [10] http://www.venezuelanalysis.com/analysis/2393
 (DIR) [11] http://www.monde-diplomatique.de
       
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       20 US-Cent. Und ein Ende der Inflation in Venezuela ist nicht abzusehen.
       
 (DIR) Bolivien opfert Naturschutz: Morales will NGOs rausschmeißen
       
       Die Öl- und Gasförderung wird in Bolivien weiter vorangetrieben. Nun droht
       der Präsident NGOs, denn er will das Wachstum nicht gefährden.
       
 (DIR) Kolumbianische Justiz wird terrorisiert: Risikoberuf Richter
       
       Morddrohungen und Attentate - die Ausübung des Richteramts in Kolumbien ist
       lebensbedrohlich. Auch unter dem neuen Präsidenten werden Justizangehörige
       ermordet.
       
 (DIR) Hohe Haftstrafe für Militär: Umdeklarierte Leichen in Kolumbien
       
       Er ließ Zivilisten ermorden und gab sie als Guerilleros aus. Dafür wurde in
       Kolumbien erstmals ein Offizier verurteilt. Die Staatsanwaltschaft
       ermittelt in 2.000 Fällen.
       
 (DIR) Hugo Chávez bestätigt Krebserkrankung: Der Staatschef gibt sich kämpferisch
       
       Seit drei Wochen schon ist Venezuelas Präsident Hugo Chávez außer Landes in
       einer Klinik in Havanna. Jetzt bestätigt er in einer Fernsehansprache, dass
       er Krebs hat.
       
 (DIR) Gefängnisrevolte in Venezuela: Bandenkriege und Geiselnahmen
       
       Tausende Polizisten und Soldaten versuchen seit Tagen einen
       Gefangenenaufstand im Norden Venezuelas zu beenden. Über die Zahl der Toten
       gibt es widersprüchliche Angaben.