# taz.de -- Medikamente für Japan: "Preußischblau" gegen den Strahlentod
       
       > Ein Berliner Pharmahersteller verkauft ein Mittel nach Japan, das gegen
       > Strahlenschäden helfen soll. Doch die Chancen auf Linderung oder gar
       > Heilung sind frustrierend gering.
       
 (IMG) Bild: Ist besonders gefährdet: Schwangere in Japan.
       
       BERLIN taz | Helfen. Das war der erste Impuls der Berliner Pharmahersteller
       Eduard und Alexander Heyl nach den verheerenden Nachrichten aus Japan.
       Nicht tatenlos zusehen, wie die Arbeiter in Fukushima durch die hohen
       Strahlendosen ihre Gesundheit ruinieren. Sondern verhindern, dass sich die
       radioaktiven Schwermetalle, aufgenommen über verseuchte Nahrung oder das
       Trinkwasser, auf Jahrzehnte in ihren Körpern einlagern und dort ihr Unwesen
       treiben.
       
       Wo die Heyls doch helfen können, sagen sie: mit ihrem Arzneimittel
       "Preußischblau". Einem Mittel, das radioaktives Cäsium im Darm bindet und
       ausschwemmt, noch bevor es sich im Körper einlagern und schaden kann.
       Entwickelt wurde es in den 60er Jahren in Zusammenarbeit mit dem
       Kernforschungszentrum in Karlsruhe - seither fristet es ein Nischendasein.
       Denn seine klassischen Einsatzgebiete - Atomunfälle, Terroranschläge -
       haben bislang, erfreulicherweise, wenig Nachfrage nach sich gezogen. Und
       nun Fukushima. Was für eine Tragik. Und zugleich: Was für ein Geschäft,
       möglicherweise.
       
       Mitte Mai setzen sich die beiden Geschäftsführer des Familienunternehmens,
       Eduard Heyl, 73, und sein Sohn Alexander Heyl, 38, ins Flugzeug nach Tokio.
       Im Gepäck: einige Packungen ihres Arzneimittels "Preußischblau". Und ein
       Versprechen: "Wir spenden unser Medikament an die japanische Regierung."
       Denn, erzählt Alexander Heyl, Preußischblau sei zwar seit Herbst 2010 auch
       in Japan zugelassen und verfügbar, "aber weil es kein Medikament ist, das
       täglich gebraucht wird, hatten die Japaner es erst mal gar nicht vorrätig".
       Über die weiteren Absatzchancen auf dem japanischen Markt könne er noch
       nichts sagen: "Das müssen wir abwarten." Heyl klingt optimistisch. Wie
       gegenwärtig einige aus seiner Branche.
       
       Mit der Angst vor dem Strahlentod lassen sich nach Fukushima plötzlich
       wieder Geschäfte machen. Diese Hoffnung jedenfalls treibt Pharmahersteller
       derzeit weltweit um. Manche, das berichtet ein Sprecher des Bundesinstituts
       für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), rufen direkt an und bitten
       unverhohlen um Marketinghilfe.
       
       Andere, wie die US-Biotechfirma Cleveland Biolabs in Buffalo, lancieren
       vermeintlich sensationelle Pressemitteilungen: Schon bald, so die Firma,
       könne der Durchbruch gelingen für ein Medikament, das den programmierten
       Zelltod strahlengeschädigter Zellen über die Gabe eines Proteins verhindere
       oder zumindest hinauszögere. Das Problem: Getestet wurde bislang nur an
       Mäusen, deren Leben teilweise um zwei Wochen verlängert werden konnte.
       
       "Überoptimistisch" nennt solche Meldungen der Strahlentherapeut und
       Physiker Peter Huber, der am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg
       arbeitet: "Die Wissenschaft stochert leider noch im Heuhaufen herum, ohne
       das Gesamtbild im Organismus zu verstehen."
       
       Warum das so ist? Strahlung sei lokal kaum eingrenzbar, sagt Huber, die
       Schäden sind entsprechend schwierig behandelbar. Und: "Strahlung ist in
       jeder Dosis schädlich." Wie schädlich, hänge ab von ihrer Höhe, Dauer und
       der Art der Exposition. Davon wiederum hänge ab, welche Organe besonders
       gefährdet seien, akut und langfristig.
       
       Generell empfindlich auf ionisierende Strahlung reagieren DNA und andere
       Zellbestandteile im Darm, Knochenmark, Lunge, Leber, Nerven, was zum
       Beispiel akute Auswirkungen auf das Blut haben kann: Hier kann Strahlung zu
       Gerinnungsproblemen führen und damit zu unstillbaren inneren Blutungen. Bei
       Beschädigung der weißen Blutkörperchen wiederum droht der Verlust jeglichen
       Entzündungsschutzes vor sonst harmlosen Bakterien. Huber: "Die zurzeit
       diskutierten medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten können sich nicht ums
       große Ganze kümmern, sondern bestenfalls um organ- und dosisspezifische
       Schäden."
       
       ## Spätfolge Krebs
       
       Für die Arbeiter, die derzeit den atomaren Dreck von Fukushima aufräumen,
       sind das beunruhigende Nachrichten. An diesem Wochenende wurde laut
       Betreiberfirma Tepco im Reaktorgehäuse von Block 1 eine Strahlendosis von
       bis zu 4.000 Millisievert pro Stunde gemessen. Die maximale
       Ganzkörperbelastung von 250 Millisievert, der die Arbeiter ausgesetzt sein
       dürfen, gilt auch hierzulande unter Wissenschaftlern als Grenzwert, bei dem
       zumindest keine akuten Schäden auftreten sollten. Vorübergehend auftreten
       können jedoch Übelkeit, Kopfschmerzen, Erbrechen und Durchfall sowie
       leichte Blutbildänderungen und bei Männern verminderte Spermienbildung.
       Peter Huber warnt: "Da statistisch auch Mutationen in der DNA auftreten
       werden, gibt es eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Spätfolge Krebs."
       
       Als Wahrscheinlichkeitsabschätzung gilt unter Medizinern: Die Zunahme der
       Krebssterblichkeit beträgt 10 Prozent pro Sievert, also 2,5 Prozent pro 250
       Millisievert. Umgerechnet auf das Risiko der japanischen Arbeiter bedeutet
       das: Erstens: Die ganz normale Krebssterblichkeit liegt in Japan (wie in
       Deutschland auch) bei etwa 25 Prozent. Zweitens: Bei einer Belastung von
       250 Millisievert steigt folglich das Risiko, an Krebs zu sterben, von 25
       auf 27,5 Prozent. Drittens: Das entspricht einem relativen Unterschied von
       etwa zehn Prozent. Und ist damit - viertens - nicht unbeachtlich.
       
       Ist das Heilsversprechen, beispielsweise der Firma Heyl, also unseriös?
       Keineswegs, urteilen sowohl die deutsche Zulassungsbehörde BfArM wie der
       Strahlentherapeut Peter Huber. Allein: Preußischblau verspreche nur
       Linderung bei einem vergleichsweise kleinen Teil der möglichen
       Strahlenschäden. Denn es kann ausschließlich Radioaktivität bekämpfen, die
       über die Luft (Einatmen), kontaminiertes Trinkwasser oder belastete Nahrung
       in den Körper gelangt ist - nicht aber Strahlung, die den Körper von außen
       durchdringt.
       
       Als so genannter "Komplexbildner" bindet Preußischblau Schwermetalle wie
       Natrium, Kalium, Ammonium oder Cäsium bereits im Darm und führt zu ihrer
       Ausscheidung. Darüber hinaus, so das BfArM, gibt es zugelassene Wirkstoffe,
       die radioaktive Substanzen im Körper "konkurrierend" verdrängen können. So
       kann beispielsweise die Gabe von Jodtabletten die Aufnahme von radioaktivem
       Jod und damit das Risiko von Schilddrüsenkrebs vermindern.
       
       Schwieriger gestaltet sich die Therapie von Schäden durch Strahlung, die
       den Körper durchdrungen hat und weder bind- noch verdrängbar ist. Diese
       Strahlen zerstören einzelne Zellen oder ganze Organe, oft sind die Schäden
       irreparabel. Über sogenannte Radikalfänger - das sind Stoffe, die in der
       Lage sind, freie Radikale "abzufangen" und damit deren schädigende Wirkung
       zu neutralisieren - kann die toxische Wirkung von ionisierender Strahlung
       jedoch in einigen Fällen um den Faktor 2 bis 3 reduziert werden. Die
       Forschung hierzu begann 1959 am Walter Reed Army Medical Center in
       Washington, D. C., einem der größten US-Armeekrankenhäuser und
       wehrmedizinischen Forschungsstätten. Heute werden Radikalfänger unter
       anderem zum Schutz vor der toxischen Wirkung einer Strahlentherapie bei der
       Bestrahlung von Kopf-Hals-Tumoren eingesetzt. Auch
       (Langzeit-)Strahlenschäden an der Lunge wie Fibrosen, also die krankhafte
       Vermehrung des Bindegewebes, können so gemildert werden.
       
       ## Unkoordinierte Forschung
       
       Zu der Frage, wie strahlenbedingte innere Blutungen im Magen-Darm-Bereich
       gestoppt oder zumindest verringert werden können, forscht derzeit das
       Aachener Pharmaunternehmen Paion, 28 Mitarbeiter klein. Paion will dazu das
       körpereigene Enzym Solulin, das normalerweise die Blutgerinnung regelt,
       aber durch Strahlen zerstört wird, gentechnologisch erzeugen und dem Körper
       nach einem Strahlenschaden wieder zuführen.
       
       Entsprechende Experimente mit Mäusen seien vielversprechend gewesen, sagt
       Paion-Vorstandsvorsitzender Wolfgang Söhngen. Aber: "Leider haben wir
       bislang keinen Pharmapartner gefunden, der sich an der Finanzierung der
       weitergehenden Forschung beteiligen möchte. In ganz Europa gibt es kein
       einziges Förderprogramm für diese Fragestellung." Weswegen Paion seine
       Solulin-Forschung jetzt zunächst als Mittel gegen die Bluterkrankheit
       vorantreibt.
       
       Zwar eruieren das US-Militär, die Weltraumbehörden Nasa und ESA sowie
       Strahlenmediziner und Pharmahersteller weltweit seit Jahrzehnten immer
       wieder, wie die Heilungschancen nach einer Schädigung durch ionisierende
       Strahlung oder nach der Aufnahme radioaktiver Partikel in den Körper
       gesteigert werden könnten. Doch das Problem: Bislang forscht jeder für
       sich, Kooperationen sind selten, ihre Finanziers knauserig.
       
       Das liegt nicht nur an den unterschiedlichen Lobbyinteressen. Es liegt auch
       daran, erklärt der Strahlentherapeut Peter Huber, dass die
       Erfolgsaussichten frustrierend sind: "Wenn Ihr Körper durchstrahlt wird,
       etwa weil Sie in unmittelbarer Umgebung eines havarierten AKWs leben, wenn
       also ein Schwall partikelloser Strahlungen durch Sie hindurchtritt, dann
       schützt Sie gar nichts. Dann führt das zu Multiorganversagen und zum Tod."
       
       7 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heike Haarhoff
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Atomkraft
       
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