# taz.de -- Der CDU-Landrat von der Elektro-Tankstelle: Suche nach der grünen Republik
       
       > Wo wächst das grüne Deutschland? Längst nicht nur da, wo die Grünen
       > gewählt werden. Auf einer Spurensuche - vom Hunsrück bis zum Ökodorf.
       
 (IMG) Bild: Wo wird in Deutschland grün gebaut?
       
       BERLIN taz | Baden-Württemberg hat einen Grünen Ministerpräsidenten, CDU
       und FDP stellen den zurückgenommenen Atomausstieg wieder her, die Lösung
       des Energie- und Klimaproblems ist in breiteren Teilen der Gesellschaft
       Wahl- und Wertefaktor geworden. Wird die Republik tatsächlich grün - und
       wenn ja, wodurch?
       
       Die Spurensuche führt in den Hunsrück. Bertram Fleck kommt im kurzärmligen
       Hemd persönlich zur Tür des Landratsamtes. War abgeschlossen; die
       Mitarbeiter sind alle schon im Feierabend. Vielleicht genießen sie die
       milde Abendsonne. "Der Chef hat immer zu tun", sagt Fleck. Wir sind im
       Simmern, 8.000-Einwohnermetropole des Rhein-Hunsrück-Kreises im Bundesland
       Rheinland-Pfalz. Wenn man sagt, dass man noch nie hier war, winkt der
       Landrat ab. Kaum einer war je hier.
       
       Fleck, 62, hat graues, volles Haar, trägt Seitenscheitel, eine randlose
       Brille. Sein Kreis produziert jetzt schon 60 Prozent der Energie, die er
       verbraucht, selbst und erneuerbar. Hauptsächlich mit Windanlagen. Die
       Mittelgebirgslage des Hunsrück ist dafür prädestiniert. Ende des letzten
       Jahrhunderts war man noch bei null. Spätestens 2013 will Fleck 154 Prozent
       der benötigten Energie erneuerbar im Landkreis produzieren. Und damit zum
       Stromexporteur werden.
       
       Fleck redet nicht über drohende Klimakriege oder schmelzende Polkappen. Er
       hat wunderbare Schaubilder, auf denen er zeigt, dass durch Stromimporte
       jährlich 200 Millionen Euro aus dem strukturschwachen Kreis abflössen.
       "Warum das Geld Putin geben oder nach Saudi-Arabien?", pflegt er zu sagen.
       Dann horchten die Leute auf. Ja, warum eigentlich, wenn es nicht sein muss?
       
       Fleck behindert den Ausbau der Windenergie nicht, wie es etwa die
       abgewählte CDU-Regierung in Baden-Württemberg tat, er organisiert ihn. Die
       Verwaltung sei in der Pflicht, voranzugehen, sagt er. Und saniert daher
       energetisch, wirbt mit Banken bei Hauseigentümern für Fotovoltaikanlagen
       und installiert auch Nahwärmeverbünde in Schulzentren. Er hat jetzt sogar
       eine Elektrotankstelle hingestellt - direkt neben dem Landratsamt. Noch
       tankt niemand.
       
       ## Energiewende selber machen
       
       Den Beschleunigungsgrat der Energiewende, das ist Flecks These, entscheiden
       nicht Kanzlerin Merkel und Umweltminister Röttgen. Sondern Kommunen und
       Kreise. Fleck hat sich für maximale Beschleunigung entschieden. Er ist
       übrigens CDU-Politiker. Oder besser gesagt: Er ist in der CDU. Die Grünen
       spielten im Rhein-Hunsrück-Kreis lange keine Rolle. Bei Landtagswahl im
       März wurde der Wahlkreis von der CDU gewonnen. Auch das ist ein Beispiel
       dafür, dass die Energiemoderne nicht unbedingt mit Hegemonie der Grünen
       Partei deckungsgleich sein muss.
       
       Wer Simmern für abgelegen hält, der sollte aus dem ICE in Wolfsburg in die
       Regionalbahn nach Oebisfelde umsteigen, dann eine Stunde mit dem Bus durch
       Sachsen-Anhalt bis zu dem Flecken Poppau gurken und den letzten Kilometer
       an Maisfeldern vorbei zu Fuß gehen. Dann ist man in Sieben Linden, das sich
       offiziell "Ökodorf" nennt. Hier leben etwa 130 Menschen auf zwei Hektar
       Bauland und versuchen seit 1997 - genossenschaftlich organisiert - ein
       basisdemokratisches, nachhaltiges Leben in Gemeinschaft zu führen, in
       energieeffizienten Häusern, auf auto- und mobiltelefonfreiem Gelände,
       möglichst autark, vom weitgehend selbstproduzierten Solarstrom bis zum
       weitgehend selbstangebauten Bio-Gemüse.
       
       Michael Würfel, 38, wollte früher als Filmemacher in Berlin berühmt werden
       und viel Geld verdienen. Irgendwann wollte er nicht mehr erklären, was er
       schon immer fand: Dass Fliegen unsozial sei und Bio-Essen sozial. Er hatte
       Sieben Linden kennen gelernt, als er darüber den Dokumentarfilm "Leben
       unter Palmen" gedreht hatte. Nun wollte er ganz dort leben, wo ein Mensch
       im Schnitt für 2,5 Tonnen Kohlendioxid verantwortlich ist, rund ein Viertel
       des deutschen Durchschnitts - etwaige Flüge nicht eingerechnet. Ein
       herausragender Wert - und immer noch zweieinhalbmal soviel wie der eines
       Inders. Die üblichen Projektionen kennen alle im Dorf: Sekte? Tagdiebe?
       Hippies? Die geduldige Antwort: Weder noch. Sie wollen Leute sein, die
       zeigen, dass man gut leben kann, wenn man radikal downsized.
       
       ## Funktionierendes soziales Netzwerk
       
       Wenn Würfel einer damit kommt, dass man mit Gemüsezucht am Waldrand die
       globale Erderwärmung auch nicht in den Griff kriegt, hat er damit kein
       Problem. "Es geht mir gut, wenn ich mache, was alle machen sollten", sagt
       er. Und zwar unabhängig davon, ob die anderen es auch machen. Er sagt, er
       könne hier weder Karriere machen noch richtig Geld verdienen und lebe
       dennoch "im Luxus". Das ist etwa der Verzicht auf einen konventionellen
       Zehn-Stunden-Arbeitstag. Vielleicht auch, dass es ihm seine
       Patchwork-Arbeit und das soziale Netz ermöglicht, seine kranke Mutter hier
       zu pflegen.
       
       In Sieben Linden wählt man Grüne oder Linke, wobei die einen von den Grünen
       noch etwas erwarten, die anderes nichts mehr. Das größte Missverständnis
       besteht für Würfel darin, dass Leute denken, es handele sich um einen
       egozentrierten Rückzug aus der Gesellschaft. Das Gegenteil sei der Fall.
       
       Auf Individualität konditioniert, müssten die Leute lernen, in einer
       antihierarchischen Ordnung, Vereinbarungen zum gemeinsamen Wohl zu treffen.
       Ganz schön zäh, ganz schön hart. Aber darum gehe es auch im globalen Kampf
       für einen erträglichen Klimawandel. Im Gegensatz zu einem urbanen
       Ökoquartier könne er hier direkt mitbestimmen, sagt Würfel. "Und nicht nur
       abstrakt als Promillebruchteil bei einer Bürgermeisterwahl."
       
       Wo Baden-Württembergs Umweltminister Untersteller den taz-Reporter auf der
       Suche nach der grünen Moderne hinschickt, warum der hohenlohische
       Öko-Unternehmer zu aufgeregten Wirtschaftskollegen sagen muss: "I bin koi
       Linker", und warum Popstar Dieter Thomas Kuhn kein Problem hat, wenn beim
       Straßenfest im grünendominierten Französischen Viertel von Tübingen um 22
       Uhr die "Bullen" kommen, lesen Sie in der aktuellen sonntaz.
       
       11 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Unfried
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Atomkraft
 (DIR) Schwerpunkt Atomkraft
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Hermann Gröhe über den Atomausstieg: "Auf Schmerzgrenzen achten"
       
       Die AKW-Laufzeiten sind kein Grundpfeiler christdemokratischer Politik,
       sagt CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. Und gibt vorsichtig Fehler der
       Atompolitik zu.
       
 (DIR) Energiekonzept der Bundesregierung: Atomkraft? Das war's!
       
       Mit dem schnellen Ausstieg hat sich Umweltminister Röttgen gegen die FDP
       und Teile der Unions-Fraktion durchgesetzt. Die Frage ist nun: Wer
       profitiert? Und wer muss zahlen?
       
 (DIR) Große Kraftwerke werden bevorteilt: Ökostrom lohnt sich für Konzerne
       
       Das Erneuerbare-Energien-Gesetz wird novelliert. Zum Ärger der kleinen
       Ökostromanbieter werden die großen Anlagen der Energiekonzerne bevorzugt.
       
 (DIR) taz-Serie Berlin 2020 (Teil 7): Mobilität: Jenseits der Spritschlucker
       
       Mobilität in der Zukunft heißt mehr als Elektroautos. Pkws werden von
       (fast) allen geteilt, es gibt immer mehr Radfahrer - und wer mit dem Wagen
       ins Zentrum will, muss zahlen.