# taz.de -- Agrarmarkt soll transparenter werden: Spekulationen mit dem Hungertod
       
       > Eine Datenbank soll für Transparenz auf dem Agrarmarkt sorgen. Fraglich
       > ist nur, ob die Konzerne mitmachen. Und die Zahl der Hungernden soll auf
       > eine Milliarde anwachsen.
       
 (IMG) Bild: Weizenernte in Indien: Die Nachfrage nach Getreide wird immer größer.
       
       BERLIN taz | Es war auch die Angst vor Hunger, die die Menschen auf die
       Straßen trieb: Mindestens 100.000 Inder demonstrierten Ende Februar in
       Neu-Delhi gegen Arbeitslosigkeit – und gegen die stark gestiegenen
       Lebensmittelpreise.
       
       Die Inder sind nicht allein: In Bolivien organisierten Gewerkschaften einen
       Generalstreik unter anderem gegen die höheren Kosten für Nahrungsmittel.
       Und den Unruhen in den arabischen Ländern gingen ebenfalls oft starke
       Preissteigerungen voraus.
       
       "Wir steuern auf eine Nahrungsmittelpreiskrise wie 2007 und 2008 zu, als es
       schwere Hungerrevolten in Entwicklungsländern gab", warnt Marita
       Wiggerthale, Agrarexpertin der Entwicklungsorganisation Oxfam. Denn derzeit
       kosteten Lebensmittel weltweit im Schnitt sogar noch mehr als während der
       Krise, so dass sich viele Arme nicht mehr genügend Nahrung leisten könnten.
       
       Trotzdem werden die Agrarminister der 20 führenden Industrie- und
       Schwellenländer (G 20) bei ihrem Treffen am Mittwoch und Donnerstag in
       Paris diese tickende Zeitbombe wohl nicht entschärfen.
       
       Wie dringend das Problem ist, belegt der Lebensmittelpreis-Index der
       UN-Agrarorganisation FAO: Vergangenen Mai war er 14 Prozent höher als im
       Mai 2008. Und Fachleute jeglicher politischen Couleur sind sich einig, dass
       die Preise hoch bleiben werden.
       
       Wiggerthale rechnet deshalb damit, dass die Zahl der Hungernden von 925
       Millionen im Jahr 2010 auf eine Milliarde in diesem Jahr wachsen wird.
       
       ## Fleischverbrauch nimmt zu
       
       Dass die Preise langfristig steigen, liegt laut FAO zum Beispiel am
       Wachstum der Weltbevölkerung und des Wohlstands. Chinesen etwa können immer
       mehr Fleisch bezahlen, für dessen Produktion besonders viel Getreide nötig
       ist. Zusätzlich nimmt der Verbrauch von Agrarrohstoffen zum Zweck der
       Energieerzeugung zu.
       
       Außerdem haben viele Investoren besonders nach der Finanzkrise ab 2007
       Kapital aus den Aktienmärkten abgezogen und in Agrarrohstoffe gesteckt -
       und auf diese Weise die Nachfrage erhöht. Eine Studie im Auftrag der
       Welthungerhilfe kam zu dem Schluss, dass Kapitalanleger 2008 für etwa 15
       Prozent des Preisniveaus von Getreide verantwortlich waren.
       
       Ein Symptom der zunehmenden Spekulation ist, dass die Preisausschläge vor
       allem nach oben immer größer werden.
       
       Die G-20-Agrarminister wollen diese Schwankungen vor allem mit mehr
       Information bekämpfen: Ein Entwurf für die Abschlusserklärung des
       Ministertreffens sieht ein neues Agrarmarkt-Informationssystem (Amis) vor.
       In diese Datenbank sollen die G-20-Staaten einspeisen, wie viel Weizen,
       Mais, Reis und Sojabohnen sie verbrauchen, lagern und erzeugen.
       
       ## Die Daten fehlen
       
       Verlässliche Informationen sollen es Spekulanten erschweren, Preise in die
       Höhe zu treiben, obwohl eigentlich genug Getreide auf dem Markt ist. Bisher
       gibt es aus zahlreichen Ländern nur Schätzungen, deren Zuverlässigkeit
       umstritten ist.
       
       Deshalb unterstützen Organisationen wie Oxfam die Amis-Idee. "Aber
       wahrscheinlich werden die G 20 die privaten Getreidehändler nicht zwingen,
       die nötigen Informationen preiszugeben", sagt Wiggerthale. Weltweit
       marktbeherrschend sind die Firmen Cargill, ADM, Bunge und Louis Dreyfus.
       
       Für einen Misserfolg von Amis sprechen die schlechten Erfahrungen mit einem
       ähnlichen Informationssystem für Rohöl. Tatsächlich wollten sich die
       US-Unternehmen Cargill und ADM nach einer taz-Anfrage nicht darauf
       festlegen lassen, Amis mit Daten zu füttern.
       
       Selbst in den Reihen der G 20 gab es zuletzt noch Widerstand - zum Beispiel
       aus China, wie aus deutschen Regierungskreisen zu erfahren war. Die
       Chinesen argumentierten, es sei angesichts der Größe des Landes schwierig,
       schnell zuverlässige Marktinformationen zu bekommen. Deutschlands
       Agrarministerin Ilse Aigner (CSU) hat sich dagegen mehrfach für größere
       Transparenz ausgesprochen.
       
       ## Spekulationen einschränken
       
       Doch selbst wenn Amis gut funktionieren würde, könnte es Kritikern zufolge
       nur einen kleinen Beitrag gegen Preissteigerungen leisten. Das katholische
       Hilfswerk Misereor verlangt deshalb von den G 20, nicht nur die
       Markttransparenz zu erhöhen, sondern die Spekulation mit Lebensmitteln
       strenger zu regulieren - dafür sind aber die Finanzminister zuständig, die
       bei dem Treffen in Paris am Mittwoch nicht dabei sind.
       
       Großbritannien lehnt außerdem den Vorschlag Frankreichs ab, die Menge von
       Agrarrohstoffen in der Hand eines Investors zu begrenzen.
       
       Zusätzlich appelliert Misereor an die Staaten, Agrartreibstoffe nicht
       weiter zu fördern. Einer Studie von Internationalem Währungsfonds, Weltbank
       und verschiedenen UN-Organisationen zufolge habe sich die Produktion von
       Agroethanol zwischen 2000 und 2009 vervierfacht, die von Agrodiesel sogar
       verzehnfacht, "so dass Agrartreibstoffe eindeutig zu den wichtigsten
       Preistreibern gehörten". Doch von Maßnahmen gegen Agrosprit sind die G 20
       weit entfernt.
       
       21 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jost Maurin
 (DIR) Jost Maurin
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Landwirtschaft
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Studie über Weizenpreise und Hunger: Spekulation soll nicht so schlimm sein
       
       Wetterextreme und Handelspolitik seien die wichtigsten Treiber der
       Weizenpreise, schreibt das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.
       
 (DIR) Weltbevölkerung: Mensch Nr. 7.000.000.000 geboren
       
       Auf den Philippinen wurde symbolisch der siebenmilliardste Erdenbürger
       gekürt. Vor 12 Jahren wurde der Sechstmilliardeste von der UN groß gefeiert
       - er lebt heute in Armut.
       
 (DIR) Autos, Schiffe, Flugzeuge: Alle sollen weniger schlucken
       
       Die Bundesregierung legt sich erstmals auf Reduktionsziele für den
       Verkehrssektor fest. 10 Prozent sollen bis 2020 durch effizientere Motoren
       gespart werden.
       
 (DIR) Weiter Streit um Agrosprit: BUND für sofortigen E10-Stopp
       
       Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) spricht sich für
       einen sofortigen Stopp der Beimischung aus. Der Sprit mache Nahrungsmitteln
       Konkurrenz.
       
 (DIR) Getreide bleibt teuer: Das dunkle Ende der Wurst
       
       Die Nachfrage nach Getreide, auch als Viehfutter, treibt die Preise. Und
       das wird bis Ende des Jahres nicht anders, warnt die Ernährungsorganisation
       der UNO.
       
 (DIR) Markus Henn zu Regulierung von Spekulation: "Bei den Rohstoffen platzt die Blase"
       
       Spekulationen auf dem Rohstoffmarkt haben zu Preissteigerungen geführt,
       sagt Markus Henn von der Entwicklungsorganisation Weed. Jetzt geht es
       wieder abwärts. Trotzdem will die EU regulieren.