# taz.de -- Urteil über Tunesiens Ex-Staatschef Ben Ali: Zweifel hatten keinen Platz
       
       > Ben Ali wurde in Abwesenheit zu 35 Jahren Gefängnis verurteilt. Doch
       > Kritik kommt nicht nur von seinem Anwalt, sondern auch von
       > Menschenrechtsaktivisten.
       
 (IMG) Bild: Die Demonstrantinnen haben lange auf das Verfahren gegen Ben Ali gewartet. Ob sie nun zufrieden sind?
       
       MADRID taz | "Vor Gericht, vor Gericht", sangen die Demonstranten in den
       Tagen der Revolution gegen Tunesiens Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali
       immer wieder. Am Montag war es dann endlich so weit: Während der gestürzte
       ägyptische Staatschef Husni Mubarak im Krankenhaus auf sein Verfahren
       wartet, gewann Ben Ali - wie bereits beim Sturz - erneut das Rennen um den
       ersten Platz in den Geschichtsbüchern. Zusammen mit seiner Gemahlin Laila
       Trabelsi wurde der Expräsident in Tunis zu 35 Jahren Haft und einer
       Geldstrafe von rund 46 Millionen Euro verurteilt.
       
       "Sie haben die öffentlichen Gelder als ihr Eigentum betrachtet", erklärte
       der Chefankläger und sprach von "gemeinen Verbrechen". Als Beweis dienten
       "große Geldsummen in tunesischen Dinars und Devisen sowie große Mengen
       wertvollen Schmucks", die in einem der Paläste vor den Toren der Hauptstadt
       Tunis gefunden worden waren. Das Urteil kam überraschend schnell. Die
       Richter brauchten gerade einmal einen Tag für das Verfahren.
       
       Weitere Verfahren wegen dem Wirtschaftsimperium, das die Familien von Ben
       Ali und Trabelsi aufgebaut haben, illegalem Waffen- und Drogenbesitz sowie
       der blutigen Repression gegen die Proteste, die zu seinem Sturz führten,
       werden folgen. Trotzdem müssen die Verurteilten nicht befürchten, dass sie
       ihre Strafen antreten müssen: Sie leben in Saudi-Arabien im Exil.
       
       ## "Akt der politischen Liquidierung"
       
       Der libanesische Anwalt des Expräsidenten, Akram Azoury - der Frau Trabelsi
       nicht vertrat -, hatte erfolglos eine Verschiebung des Verfahrens
       beantragt, um sich besser vorbereiten zu können. "Einfach lächerlich … ein
       Hohn", protestierte er nach dem Urteil und bezichtigte die Verurteilung in
       Abwesenheit der Angeklagten als "einen Akt der politischen Liquidierung".
       Sein Mandant habe alle Vorwürfe in einer schriftlichen Erklärung
       bestritten. Ben Ali habe sich niemals bereichert, die Waffen und der
       Schmuck seien "Geschenke ausländischer Würdenträger" gewesen und die Drogen
       habe die Polizei deponiert, um den Ruf des Ex-Staatschefs zu schädigen.
       
       "Eigentlich ist das Urteil eine gute Nachricht, denn kein europäisches
       Gericht kann es anerkennen, da es gegen alle Rechtsprinzipien verstößt", so
       Azoury weiter. Er werde Ben Ali empfehlen, Saudi-Arabien zu verlassen und
       sich in der Europäischen Union niederzulassen, wo er vor einer Auslieferung
       sicher sei.
       
       Nicht nur Ben Alis Rechtsbeistand ist empört, auch tunesische
       Menschenrechtler sprechen von "einer Farce". Nicht etwa, weil sie gegen die
       Verfolgung der Korruption sind, sondern weil sie gerne diejenigen vor
       Gericht sähen, "die im Lande weilen und für die Repression,
       Menschenrechtsverletzungen, Tote und Verletzte verantwortlich sind", so
       Menschenrechtsaktivistin Sihem Bensedrine. "Die Schnelligkeit dieses
       Verfahrens wirft ernsthafte Fragen auf", schließt sich die Expertin für
       internationale Strafgerichtsbarkeit von Amnesty International, Leonie von
       Braun, den kritischen Stimmen an. "In Abwesenheit hat ein Angeklagter nicht
       die erforderlichen Möglichkeiten, sich zu verteidigen."
       
       "Vorsicht mit der Politisierung der skandalösen Tatsachen, das wäre zu viel
       der Ehre für die Angeklagten", versucht die tunesische Zeitung Le Temps die
       Debatte zu beruhigen und gibt ihren Lesern einen Ratschlag mit auf den Weg:
       "Vergessen wir nicht, die Texte, die zum Urteil gegen Ben Ali führten, sind
       dieselben, die seine Gerichte für ihre Justizparodien einsetzten."
       "Gerechtigkeit und Revolution gehen nur selten gut zusammen", urteilt auch
       die französische Tageszeitung Le Monde - und hofft, dass der Prozess gegen
       Mubarak in Ägypten respektvoller mit dem Gesetz umgehen wird.
       
       21 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reiner Wandler
       
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