# taz.de -- Holger Schultze, Intendant des Osnabrücker Theaters: Der Aufbau-Arbeiter
       
       > Als Intendant in Osnabrück hat Holger Schultze sein Haus aus der
       > künstlerischen Bedeutungslosigkeit geholt. Nach sechs Jahren furioser
       > Arbeit wechselt er zum Ende der Spielzeit nach Heidelberg.
       
 (IMG) Bild: Kontrovers und erfolgreich: Johann Kresniks Inszenierung von Christoph Klimkes Theaterstück "Felix Nussbaum" in Osnabrück.
       
       OSNABRÜCK taz | Holger Schultze schleppt einen Stapel Akten aus seinem
       Büro, wuchtet ihn auf den Schreibtisch der Sekretärin, dann erst bittet er
       ins Intendanten-Zimmer. Der Konferenztisch ist übersät mit Zetteln, Mappen
       und Papieren - schwer, Platz für die zwei Gläser Wasser zu finden. Viel
       Arbeit, so eine Intendanz, auch in ihrer Schlussphase.
       
       Denn Schultze geht. Nach Heidelberg. Sechs Jahre lang hat Holger Schultze
       das Osnabrücker Theater geleitet. Nein, viel mehr als das: 2005 kam er aus
       Augsburg, wo er Oberspielleiter gewesen war, und hatte "Lust, ein Theater
       zu machen". Die Ausgangsbedingungen waren nicht eben optimal. Sein
       Vorgänger Norbert Hilchenbach hatte frustriert das Handtuch geworfen, als
       sein Etat wieder um eine Viertelmillion Euro gekürzt worden war. Danach
       wollte die Stadt nur einen kaufmännischen Geschäftsführer die Bühnen
       verwalten lassen. Und verpflichtete dann doch einen Nachfolger: Schultze.
       
       Und der? Statt auf Schadensbegrenzung zu setzen, kam er an mit dem Ehrgeiz,
       aus Osnabrück ein Zentrum für zeitgenössisches Theater zu machen. "Wir
       möchten einer neuen Generation von Theaterschaffenden ein Forum bieten",
       kündigte er damals in der taz an. Es gehe darum, "die Grenzen der Provinz
       auszutesten", sagte er, "im positiven Sinn". Die Folge: Hatte bis zu seiner
       Ankunft kaum jemand über das Drei-Sparten-Haus in der
       160.000-Einwohner-Stadt gesprochen, bekam es plötzlich regelmäßig
       überregionale Aufmerksamkeit. Zugleich stieg die Zuschauerauslastung. Auf
       durchschnittlich 80 Prozent ist Schultz in seinen sechs Jahren gekommen.
       Ein Kunststück.
       
       Wie haben Sie das gemacht, Herr Schultze? "Ich bin jemand, der gern
       aufbaut", sagt der 49-Jährige. In Osnabrück hat er Projekte angestoßen und
       Inszenierungen, wie es sie bis dahin nicht gegeben hatte. Schultze holte
       namhafte Regisseure wie Jürgen Bosse, Cornelia Crombholz oder Altstars wie
       Johann Kresnik ans Haus. Er beauftragte Autoren wie Rebekka Kricheldorf und
       Dirk Laucke, für das Stadttheater in der Provinz zu schreiben. Auch das
       Musiktheater hatte Aufregendes zu bieten, Uraufführungen wie die Oper "Neda
       - Der Ruf" des iranischen Komponisten Nader Mashayekhi, oder deutsche
       Erstaufführungen wie "Adriana Mater" der Finnin Kaija Saariaho wurden
       gezeigt.
       
       Anfangs waren Holger Schultze und sein Team sich nicht sicher, ob ihr
       Spielplan in der Stadt angenommen würde. "Alle waren der Meinung, es gibt
       zwei Möglichkeiten", erinnert er sich: "Entweder die jagen uns in 14 Tagen
       wieder aus der Stadt, oder wir nehmen sie im Sturm." Und genau darauf hat
       er gesetzt. Denn noch vor den Beginn seiner ersten Spielzeit, als
       Paukenschlag zur Eröffnung, hatte er das Spieltriebe-Festival gesetzt: Auf
       drei Routen quer durch die ganze Stadt wurden zwölf Stücke gezeigt -
       ausschließlich Uraufführungen, auf der Straße, vor Zufallspublikum. Viele
       waren verblüfft. Manche fühlten sich vor den Kopf gestoßen. Aber die
       meisten waren begeistert. Und das Feuilleton geweckt: Kritiker aus ganz
       Deutschland kamen, um Osnabrücks kleines Theaterwunder zu bestaunen.
       
       Schultzes Nachfolger Ralf Waldschmidt wird das Spieltriebe-Festival
       übernehmen, das seither alle zwei Jahre stattfindet. "Ich glaube, da haben
       wir eine Marke gesetzt", sagt der scheidende Intendant. Denn Schultze hat
       das Konzept weiter verfolgt, 2007 legten er und sein Team es als
       Zweitaufführungs-Festival auf, 2009 gab es Erstaufführungen europäischer
       Stücke.
       
       Die künstlerischen Leistungen des Osnabrücker Theaters blieben nicht
       unbeachtet. So gab es 2007 den Preis der Deutschen Theaterverlage für den
       Spielplan. Zweimal wurde in Osnabrück außerdem das Siegerstück des
       Kleist-Förderpreises uraufgeführt: 2007 war das "alter ford escort
       dunkelblau" des damals noch völlig unbekannten Dirk Laucke. Das Stück wurde
       zu den Mühlheimer Theatertagen und dem Heidelberger Stückemarkt eingeladen.
       Allein im Osnabrücker Emma-Theater gabs 30 Vorstellungen.
       
       Besonders stolz ist Holger Schultze aber auf das Kinder- und Jugendtheater
       Oskar. Das hat er als vierte Sparte etabliert. Wieder etwas, wo er etwas
       aufgebaut hat. Und wo er etwas Neues geschaffen hat. Denn Oskar war das
       erste Kinder- und Jugendtheater in Deutschland, das über einen Verein,
       statt durch öffentliche Mittel finanziert wird. Drei Schauspieler konnte er
       so engagieren. Aus seinem eigenen Budget wäre das unmöglich gewesen: Mit 16
       Millionen Euro arbeitet das Theater am unteren Limit. Gekürzt, betont
       Holger Schultze gern, wurde in seinen sechs Jahren trotz aller Sparzwänge
       nicht.
       
       Denn was auch immer Schultzes Team in den vergangenen sechs Jahren auf die
       Bühne brachte, das Publikum machte fast alles mit. Klar, ziemlich zu Anfang
       sorgte eine "Nabucco"-Inszenierung für Aufruhr. Die verlegte Verdis Oper in
       den Nahen Osten. "Die einen waren total dafür, die anderen beschimpften
       einen", so Schultze. Doch ansonsten kamen selbst Provokateure wie Johann
       Kresnik gut weg, der Christoph Klimkes "Felix Nussbaum" inszenierte, mit
       nackten Darstellern und viel Schlamm. Vier zusätzliche Vorstellungen
       mussten angesetzt werden, wegen der großen Nachfrage. Das, sagt Schultze,
       hätte er nicht erwartet.
       
       Einen neuen Publikums-Liebling hat er zuletzt mit Choreografin Nanine
       Linning als Tanzchefin nach Osnabrück geholt. Die Niederländerin, in ihrer
       Heimat ein Star, sorgt regelmäßig für ein ausverkauftes Haus. Auch sie
       folgt Holger Schultze nach Heidelberg, wie so viele andere. Und in
       Osnabrück stellt sich die bange Frage: Was bleibt? Wird der Neue Schultzes
       Erfolge fortsetzen? Versinkt das Theater wieder in der Bedeutungslosigkeit?
       
       Schultze wird am neuen Arbeitsplatz erst einmal improvisieren müssen. Denn
       in Heidelberg entsteht derzeit ein neues Theater, in seinem ersten Jahr am
       Neckar kann er ein Opernzelt bespielen, ein Theaterkino und eine
       Studiobühne. Es ist, wie ganz von vorne anfangen, etwas völlig Neues
       aufbauen. Aber das liegt ihm ja.
       
       Am Samstag, 2. Juli, gibt es eine Abschiedsgala für Schultze
       
       30 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anne Reinert
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kunstmarkt
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