# taz.de -- Ruanda-Völkermordprozess in Frankfurt: Wie in einem schlechten Mafia-Film
       
       > "Sag den Weißen, dass ich Hunger habe!" Einige skurile und sich
       > widersprechende Aussagen - mehr hat die Videovernehmung im Ruanda-Prozess
       > nicht ergeben.
       
 (IMG) Bild: Der wegen Völkermords angeklagte Onesphore Rwabukombe (l.) und Rechtsanwältin Natalie von Wistinghausen im Oberlandesgricht Frankfurt am Main.
       
       FRANKFURT taz | Fidele K. hat das Blatt Papier zu einem langen Streifen
       zusammengefaltet. Manchmal schlägt er damit vor sich auf den Tisch,
       manchmal schlägt er damit auf seinen kahl geschorenen Kopf. Später faltet
       er den Zettel auf. Es ist seine Ladung: Er soll im Völkermordprozess gegen
       den ruandischen Ex-Bürgermeister Onesphore Rwabukombe aussagen. Deshalb
       sitzt er am Mittwoch in rosa Häftlingskleidung vor einem Fernseher in der
       ruandischen Staatsanwaltschaft in Kigali.
       
       Weil Fidele N. selbst wegen Völkermords im Gefängnis sitzt, darf er nicht
       nach Deutschland kommen, was dem Gericht lieber gewesen wäre. Einen
       entsprechenden Antrag des Senats wollte das Bundesjustizministerium nicht
       an die ruandischen Behörden weiterleiten: Deutschland könne nicht
       garantieren, dass die Zeugen auch wirklich wieder nach Ruanda
       zurückgeschickt werden können.
       
       Auch wenn an diesem Mittwoch und Donnerstag, anders als eine Woche zuvor,
       die Verbindung nach Kigali gut ist, bringt die Videovernehmung das Gericht
       der Wahrheit kaum näher. Das Gericht steht augenscheinlich unter Zeitdruck.
       Der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel bittet Anklage, Nebenklage und
       Verteidigung, sich auf das Wesentliche zu beschränken. "Die Leitung wird
       immer schlechter", sagt Sagebiel am Mittwoch. "Wir müssen zusehen, dass wir
       die Aussage rechtzeitig im Kasten haben."
       
       Doch nicht nur die Technik setzt das Gericht unter Druck, auch der Zeuge
       Fidele K. will augenscheinlich endlich zum Ende kommen. Er spricht den
       Dolmetscher direkt an: "Sag den Weißen, dass ich Hunger habe. Ich habe seit
       gestern nichts gegessen." Zudem fordert er eine Gegenleistung: "Ich helfe
       Ihnen den ganzen Tag. Was bekomme ich dafür?" Er macht auch Vorschläge: Ein
       Stück Seife oder etwas Zucker fände er als Entlohnung angemessen.
       
       Als Rwabukombes Verteidigerinnen den Richter darum bitten, die Befragung zu
       unterbrechen und dem Zeugen in Kigali etwas zu Essen zu geben, lehnt
       Sagebiel ab: "Stellen Sie jetzt Ihre Fragen." Die Anwältinnen wirken
       irritiert. "Ich werde den Zeugen in diesem Zustand nicht befragen", sagt
       Natalie von Wistinghausen. "Sie haben doch auch eine Fürsorgepflicht."
       Sagebiel lässt daraufhin ins Protokoll aufnehmen, dass die Verteidigung auf
       ihr Fragerecht verzichtet.
       
       ## Probleme mit der Wahrheitsfindung per Video
       
       Der Vorfall zeigt die Schwierigkeiten der Videovernehmung. Das Gericht hat
       im Prinzip keinen Einfluss auf die äußeren Umstände. Zudem fehlt offenbar
       die Zeit, die eigentlich nötig wäre, um die Zeugen so umfassend zu
       befragen, dass die Richter wirklich klären können, wann die Zeugen die
       Wahrheit sagen und wann nicht.
       
       Fidele N. hatte dem BKA während der Ermittlungen gesagt, er habe
       Rwabukombne bei dem Kirchenmassaker von Kiziguro gesehen. Laut der Anklage
       und zweier Zeugen, die in Frankfurt ausgegsagt haben, soll Rwabukombe
       damals die Ermordung von Tutsi befohlen haben. Doch heute widerruft Fidele
       N. seine Aussage vor Gericht. Er habe sich geirrt, sagt er, und Rwabukombne
       damals mit jemandem verwechselt, der inzwischen gestorben sei.
       
       Es gibt zwei mögliche Erklärungen für den Sinneswandel: Er hat Rwabukombe
       vor zwei Jahren belastet, weil er sich davon versprochen hat, dann selbst
       kürzer im Gefängnis bleiben zu müssen. Inzwischen wurde in einem
       Berufungsverfahren seine Strafe jedoch von 30 Jahren auf lebenslänglich
       erhöht. "Ich sitze im Gefängnis und warte auf den Tod", sagt Fidele N. über
       sich selbst.
       
       Möglicherweise hat er aber auch Angst vor seinen Mithäftlingen. Er sitzt
       zusammen mit 8.900 anderen Menschen in der Haftanstalt N'Sinda. Mehrere von
       ihnen sollen noch per Video-Konferenz in dem Frankfurter Prozess aussagen.
       Sie wüssten auch, sagt Fidele N., dass er selbst am Donnerstag aussage. Für
       diese Variante spricht auch seine angebliche Verwechslung. "Das erinnert
       schon an einen schlechten Mafia-Film", sagt Dieter Magsam, der Anwalt der
       Nebenklage. "Weil er niemanden belasten will, belastet er einen Toten."
       
       ## Wer aussagt, bekommt nichts zu trinken
       
       Servien K., der am Donnerstag vernommen wird, sagt sogar aus, er habe Angst
       Rwabukombe zu belasten. Das Gericht bittet er daher darum, sich um die
       Sicherheit seiner Familie zu kümmern. "Wir können da nichts machen",
       antwortet Richter Sagebiel. Servien K. schildert daraufhin, wie er mal in
       der Haft kein Wasser bekommen habe, weil man ihm vorgeworfen hatte,
       Rwabukombe belastet zu haben.
       
       Seine Aussage ist entsprechend. Er berichtet, Rwabukombe habe seine
       Gemeinde kurz nach Beginn des Völkermords zu Ruhe aufgerufen. Sie sollten
       sich nicht einmischen. Auch sei der Angeklagte wütend auf Bürger gewesen,
       die sich den Morden beteiligt hatten.
       
       Doch der Zeuge sagt nach zahlreichen Nachfragen auch aus, dass Rwabukombe
       schon 1991 die Schieß-Ausbildung von etwa 350 Bürgern angeordnet und
       unterstützt habe. Zudem habe Rwabukombe am 7. April 1994, quasi dem ersten
       Tag des Völkermords, Gewehre an diese speziell ausgebildeten Bürger
       verteilt. Servien K. sagt, auch er selbst habe eines dieser Gewehre
       bekommen und damit einen Tutsi wegen dessen ethnischen Herkunft erschossen.
       
       Der Prozess wird nach der Sommerpause am 1. August mit weiteren
       Video-Vernehmungen fortgesetzt.
       
       1 Jul 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Kraft
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Völkermord in Ruanda
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