# taz.de -- Ethikrat-Mitglied Lübbe zu Organspende: "Respekt vor der freien Entscheidung"
       
       > Die Zustimmung zu einer Organspende muss eine freie Entscheidung bleiben,
       > sagt Weyma Lübbe, Philosophin und Mitglied im Deutschen Ethikrat. Sie ist
       > gegen die "Entscheidungslösung".
       
 (IMG) Bild: In Deutschland gibt es zu wenige Spenderorgane.
       
       taz: Seit Inkrafttreten des Transplantationsgesetzes 1997 reißt die Klage
       über die mangelnde Organspendebereitschaft der Deutschen nicht ab. Nun soll
       das Gesetz geändert werden. Sehen Sie tatsächlichen Handlungsbedarf? 
       
       Weyma Lübbe: Der Handlungsbedarf hängt nicht nur vom steigenden Organbedarf
       ab, sondern auch davon, ob es rechtlich und ethisch vertretbare
       Möglichkeiten gibt, an mehr Organe zu kommen. Diese sind allerdings
       eingeschränkt, und ich habe Bedenken bei dem, was derzeit in der
       Öffentlichkeit zirkuliert.
       
       Das sind zwei Vorschläge: die Widerspruchslösung, bei der alle hirntoten
       Patienten als potenzielle Spender in Frage kommen, wenn sie zuvor nicht
       widersprochen haben. Und die wohl konsensfähigere Entscheidungslösung.
       Danach soll jeder Bürger ein Mal im Leben aufgefordert werden, sich zur
       Organspende zu erklären. Ist das nicht ganz vernünftig? 
       
       Bereits das Transplantationsgesetz sieht vor, dass Bürger regelmäßig durch
       ihre Krankenkasse nach ihrer Spendebereitschaft gefragt werden sollen.
       Insofern wäre erst einmal zu klären, inwieweit die geforderte neue Regelung
       darüber hinausgeht. Bei der sogenannten Entscheidungsregelung wird
       vorgeschlagen, dass man an einen amtlichen Vorgang anknüpft, zum Beispiel
       an die Ausgabe des Personalausweises oder des Führerscheins. Der Bürger
       kann dann nicht mehr selbst entscheiden, zu welchem Zeitpunkt er über diese
       Fragen nachdenken will. Die Erklärung wird auf einem amtlichen Dokument
       fixiert. Einen Organspendeausweis kann man auch einfach wieder zerreißen,
       den Führerschein nicht.
       
       Ein 18-Jähriger, der seinen Führerschein abholt, hat wahrscheinlich auch
       etwas anderes im Sinn, als darüber nachzudenken, ob er nach einem Unfall
       Organspender werden will. 
       
       Das ist richtig. Außerdem muss er seine Haltung zur Organspende öffentlich
       machen, was bisher nicht der Fall war.
       
       Meinen Sie, dass das Einfluss auf die Entscheidung hat? 
       
       Das muss nicht sein, aber ganz unwahrscheinlich ist es nicht, dass dann
       auch sozial erwünschte Antworten gegeben werden. Gerade weil Organspende in
       der Öffentlichkeit sehr einseitig diskutiert wird und Gründe, die
       dagegensprechen, kaum kommuniziert werden, könnten Hemmungen vorhanden
       sein, sich öffentlich dagegen auszusprechen. Zumal der Personalausweis oder
       der Führerschein im Alltag in viele Hände gerät und eine eigentlich private
       Entscheidung damit für jedermann sichtbar wird.
       
       In der Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages sagte Bischof
       Huber, es gebe eine "ethische Entscheidungspflicht" jedes Einzelnen, die
       von der Gesellschaft einzufordern sei. Halten Sie das für legitim? 
       
       Das hängt davon ab, was mit Pflicht gemeint ist. Normalerweise sind
       Pflichtverletzungen mit Sanktionen verbunden. Erstaunlicherweise ist davon
       aber nicht die Rede, niemand fordert etwa, dass der Führerschein nicht
       ausgegeben wird, wenn man sich nicht zur Organspende erklärt. Ich vermute,
       man spürt, dass die Antwort auf eine solche Frage, für die man Zeit und
       vielleicht auch einen persönlichen Anlass benötigt, nicht mit Zwang
       einzufordern ist. Möglicherweise spekuliert man vielleicht aber auch
       darauf, die sozial erwünschte Antwort zu erhalten, wenn die Frage
       anlässlich eines bürokratischen Akts gestellt wird.
       
       Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wirbt derzeit mit einer
       Wanderausstellung für "Organpaten" unter dem Motto "Du bekommst alles von
       mir. Ich auch von dir?" Das beruht auf dem Prinzip des Gabentausches.
       Halten Sie das im Hinblick auf die Organspende für angemessen? 
       
       Personen, die sich für Organspende einsetzen möchten, können natürlich so
       fragen. Ich selbst finde, dass der Satz etwas Forderndes hat. Man sagt ja
       auch nicht: "Ich mach dir ein Geschenk. Du mir auch?", sondern man schenkt,
       wenn man das Bedürfnis hat zu schenken. Wer seine Organe nur an Menschen
       spenden will, die ihre ebenfalls abgeben wollen, der rückt die Organspende
       in die Sphäre des Tauschs. Wenn man diese Richtung einschlägt, ist es nur
       noch schwer zu erklären, warum Personen, die ihre Organe abgeben wollen,
       nicht bevorzugt werden sollten, wenn sie selbst welche brauchen.
       
       Derzeit besitzen nur 17 Prozent der Bevölkerung einen Spenderausweis, aber
       90 Prozent würden im Bedarfsfall auf ein gespendetes Organ zurückgreifen.
       Ist das nicht ein Widerspruch? 
       
       Die goldene Regel besagt, dass man das, was man selbst von anderen
       erwartet, auch anderen angedeihen lassen sollte. Personen, die eine
       Organspende annehmen würden, "erwarten" aber ja gar nicht, dass gespendet
       wird, das heißt, sie fordern es nicht ein. Sie respektieren die freie
       Entscheidung der anderen, wie immer sie ausfällt. Genau das erwarten sie
       auch für ihre eigene Entscheidung. Ich sehe da gar keinen Widerspruch. Was
       wechselseitig sein muss, ist der Respekt vor der freien Entscheidung zu
       diesem Thema, nicht die Spendebereitschaft. Wer das Zweite fordert, gibt
       das Erste auf.
       
       Könnte der politische Aktivismus, vom steigenden Organbedarf einmal
       abgesehen, auch damit zu tun haben, dass Ärzte und Angehörige entlastet
       werden sollen? 
       
       Im Klinikalltag ist Organspende eine problematische Angelegenheit. Wenn
       vermutet wird, dass der Patient hirntot ist, beginnt der Prozess, um die
       Organe zu retten. Dann verschiebt sich der Blick vom zu behandelnden und zu
       pflegenden Patienten hin zum Patienten als Ressource. Er wird zum Mittel
       für die Rettung anderer. Das fällt den behandelnden Ärzten und
       Pflegekräften nicht leicht und erst recht nicht den Angehörigen. Das ist
       aber doch kein "psychologisches" Problem, das man irgendwie umgehen sollte.
       In solchen Gefühlen zeigt sich, was an der Organspende wirklich heikel ist.
       Deswegen finde ich es ganz richtig, dass die Angehörigen um ihre Zustimmung
       gefragt werden müssen. Übrigens geschieht das in der Praxis auch in
       Ländern, wo die Widerspruchslösung gilt.
       
       Wir sind zur Solidarität mit dem Not leidenden Griechenland bereit. Weshalb
       nicht auch zur Solidarität mit kranken Menschen, denen wir helfen könnten? 
       
       Ich persönlich möchte lieber in einer Gesellschaft leben, in der es im
       Hinblick auf den Körper und seine Teile keine Solidaritätspflichten gibt.
       Wenn man das weiterdenkt, könnten wir irgendwann verpflichtet werden, eine
       unserer beiden Nieren zu spenden - zu Lebzeiten. Vom politischen Diskurs
       erwarte ich, ganz unabhängig von der Anzahl der täglich Versterbenden, dass
       klar und ohne Doppelbotschaften gesagt wird, was man mit der
       Entscheidungslösung erreichen will: dass die Menschen sich erklären oder
       dass sie sich zur Spende bereit erklären. Man kann nicht den strikten
       Respekt vor der freien Entscheidung postulieren und gleichzeitig
       moralischen Druck ausüben, Organe zu spenden. Das passt einfach nicht
       zusammen.
       
       8 Jul 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrike Baureithel
       
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