# taz.de -- Arme ziehen an Stadtrand: Die Berliner Mischung kippt
       
       > Erstmals gibt es Zahlen, die belegen, dass Hartz-IV-Empfänger in die
       > Randbezirke verdrängt werden. SPD und Grüne fordern unterschiedliche
       > Mietzuschüsse je nach Bezirk.
       
 (IMG) Bild: Wer nicht zahlen kann, muss Umzugskartons packen.
       
       Lang gärte die Vermutung, die nun erstmals durch Zahlen belegt ist: Mieter,
       die wenig bezahlen können, werden aus den Innenstadtlagen in die
       Randbezirke verdrängt. Das gilt zuallererst für Hartz-IV-Empfänger und ihre
       seit Jahren gleich gebliebenen Zuschüsse für die Unterkunft.
       
       378 Euro Mietzuschuss gibt es vom Jobcenter für einen Einpersonenhaushalt.
       Für solche Preise öffnen Vermieter allenfalls die Pressspantüren zu den
       Wohnsiedlungen am Stadtrand. Genau dorthin, das belegen nun die von der
       Arbeitsagentur zusammengestellten Statistiken, ziehen Hartz-IV-Empfänger zu
       Hunderten. So sind 2011 nach Marzahn-Hellersdorf 776 mehr
       Hartz-IV-Empfänger gezogen, als den Bezirk verlassen haben. Ein deutlicher
       Trend: Noch im Jahr 2008 stagnierte die Anzahl der Hartz-IV-EmpfängerInnen
       im Bezirk. Ähnliches lässt sich für Spandau, Reinickendorf und Lichtenberg
       beobachten. Auffällig ist: Die Zuzügler kommen vor allem aus Mitte,
       Friedrichshain-Kreuzberg und Pankow.
       
       "Das gesamte innerstädtische Sozialgefüge gerät in eine nicht mehr zu
       korrigierende Schieflage", sagt Diakonie-Direktorin Susanne Kahl-Passoth
       und warnt vor ghettoähnlichen Zuständen in den Randbezirken.
       DGB-Vorsitzende Doro Zinke prangert die Zwangsumzüge an, bei denen Menschen
       ungewollt aus ihrem Lebensumfeld gerissen werden. Denn wer trotz amtlicher
       Aufforderung bleiben will, muss in der Regel die Differenz zwischen Miete
       und Zuschuss selbst zahlen - von dem Geld, das eigentlich für die
       Lebenserhaltung gedacht ist. "Es wird am Essen gespart, um die Wohnung zu
       halten", so Zinke.
       
       Spätestens seit dem Erscheinen des Mietspiegels Ende Mai wird auch im Senat
       um Lösungen für die steigenden Mietkosten gerungen. Ülker Radziwill,
       sozialpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, fordert eine Regionalisierung
       der Zuschüsse je nach Stadtgebiet. Seit einem neuen Urteil des
       Bundessozialgerichts könnten innerhalb einer kreisfreien Stadt verschiedene
       Richtwerte angesetzt werden. "Nur da, wo es Engpässe gibt, müssen die
       Richtwerte erhöht werden", sagt Radziwill. Also in teuren Bezirken wie
       Mitte, Pankow und Friedrichshain-Kreuzberg. Zwar müsse man die Menschen vor
       Zwangsumzügen bewahren, würden aber in der ganzen Stadt mehr
       Unterkunftskosten gewährt, wäre dies ein Anreiz für die Vermieter in den
       Randbezirken, die Mieten hochzusetzen.
       
       So sieht es auch der Spandauer Sozialstadtrat Martin Matz (SPD), dessen
       Bezirk zu den Verlierern der Gentrifizierung gehört. "Bei uns stagnieren
       die Mieten für einfache Wohnungen seit Jahren, während sie in den
       Innenstadtlagen um bis zu 10 Prozent gestiegen sind", so Matz. Kein Wunder
       also, dass sich in Spandau im Vergleich zum Vorjahr die Anzahl der
       Hartz-IV-EmpfängerInnen durch Zuzüge um 809 erhöht hat. "Sie ziehen vor
       allem in Gebiete wie West-Staaken und Falkenheimer Feld, wo es billigen
       Wohnraum gibt. Aber dort liegt der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit
       Transferleistungen ohnehin schon bei 50 bis 65 Prozent", sagt Matz. 108
       Millionen Euro fielen jährlich in seinem Bezirk für die Zuschüsse zu
       Unterkunftskosten an, in ganz Berlin seien es 1,5 Milliarden Euro. "Eine
       pauschale Erhöhung der Zuschüsse für die Unterkunftskosten wäre
       rausgeschmissenes Geld", so der Stadtrat.
       
       Auch die Grünen wollen bei den Richtwerten für die Unterkunftskosten
       Unterschiede machen, und zwar nicht nur nach Bezirken, sondern auch nach
       dem Sanierungsstand. "Auch Hartz-IV-Empfänger sollen Zugang zu energetisch
       sanierten Wohnungen haben", sagt Fraktionsvorsitzende Ramona Pop. Außerdem
       müsse es mehr Neubauten geben. "Aber bislang hat der Senat da nichts
       erreicht, und bis zur Wahl passiert da auch nix mehr", wahlkämpft Pop.
       
       Zumindest hat man in der für die Unterkunftskosten zuständigen
       Senatsarbeitsverwaltung eine Arbeitsgruppe für die Überarbeitung der
       Richtwerte gebildet, die noch im Sommer Ergebnisse liefern soll. Eine
       Sprecherin von Senatorin Carola Bluhm (Die Linke) ließ vorab schon einmal
       wissen: Die Richtwerte werden angehoben, aber "eine Unterscheidung nach
       Bezirken wird mit Sicherheit nicht passieren".
       
       13 Jul 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Manuela Heim
       
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