# taz.de -- Norwegischer Politiker über Attentate: "Ein Angriff auf unsere Demokratie"
       
       > Die Anschläge sind besonders quälend für die Menschen, weil sie aus dem
       > Inneren der Gesellschaft kamen. Gespräch mit dem norwegischen
       > Ex-Parlamentsvizepräsident Inge Lønning.
       
 (IMG) Bild: "Unter den politischen Parteien herrscht Konsens darüber, zum Rechtsradikalismus auf Distanz zu gehen", sagt Inge Lønning.
       
       taz: Herr Lønning, was war Ihre erste Reaktion auf die Anschläge am
       vergangenen Freitag? 
       
       Inge Lønning: Ich war im Schockzustand. Zuerst dachte ich, dass es sich um
       einen gezielten Versuch handelt, Mitglieder der Regierung ums Leben zu
       bringen. Das heißt, ein politisches Attentat. Als dann die Nachrichten von
       dem Sommerlager auf der Insel kamen, wurde sofort klar, dass beide
       Ereignisse in Zusammenhang stehen.
       
       Hätten Sie sich vor einer Woche vorstellen können, dass so etwas in
       Norwegen passiert? 
       
       Nein, das war völlig undenkbar. Zuerst dachten natürlich alle in Norwegen,
       dass das das Werk internationaler Terroristen sein könnte - aber nicht so
       etwas, wie wir es jetzt erfahren haben. Vergessen Sie nicht, dass sich die
       Norweger in Afghanistan und Libyen militärisch engagieren. Die ersten
       Theorien, die unmittelbar aufkamen, konstruierten ja auch so einen
       Zusammenhang.
       
       Wie wirken sich die Anschläge auf die norwegische Gesellschaft aus? 
       
       Wir sind immer noch alle wie gelähmt, weil alles so unwirklich ist. Immer
       noch gibt es Vermisste und Schwerverletzte. Insgesamt könnten die Anschläge
       am Ende sogar über 100 Menschen das Leben gekostet haben. Die Erfahrung
       dieser Art von blinder Gewalt, das ist für die Menschen in Norwegen
       vollkommen neu. Doch was das Ganze besonders quälend macht, ist die
       Tatsache, dass diese Anschläge aus dem Inneren unserer Gesellschaft heraus
       erfolgt sind. Gegen Feinde von außen kann man sich wehren, aber gegen
       Feinde von innen ist das unmöglich.
       
       Inwieweit sind Ansichten wie die des norwegischen Attentäters in der
       norwegischen Gesellschaft verbreitet? 
       
       Das ist ein Randphänomen. Es gibt nicht viele junge Menschen, die so
       denken. Früher haben wir einige Rechtsextremisten beobachten können, aber
       in nicht so einer dramatischen Form.
       
       Noch einmal anders gefragt: Wie empfänglich ist die norwegische
       Gesellschaft für derart xenophobes Gedankengut? 
       
       Ich glaube, unsere Gesellschaft ist dafür immer noch weniger empfänglich
       als die meisten anderen europäischen Länder.
       
       Trotzdem wird mit derart kruden Theorien Politik gemacht. Grenzen sich die
       etablierten Parteien ausreichend davon ab? 
       
       Unter den politischen Parteien herrscht Konsens darüber, zum
       Rechtsradikalismus auf Distanz zu gehen.
       
       Und zur Fortschrittspartei? Immerhin diktiert ihr dänisches Pendant, die
       Dänische Volkspartei, der Regierung in Kopenhagen die Preise, wie man an
       der Wiedereinführung der Grenzkontrollen sehen kann. 
       
       Der Fortschrittspartei wird ja immer wieder vorgeworfen,
       Fremdenfeindlichkeit zu propagieren. Diese Kritik ist berechtigt. Aber der
       Vorwurf, mit Neonazismus und dieser Art fundamentalistischem Extremismus
       punkten zu wollen, trifft nicht zu. Da ist die Fortschrittspartei
       moderater. Anders hätte es ausgesehen, wenn es ein islamistisches Attentat
       gewesen wäre. Wir stehen am Anfang des Wahlkampfes und das hätte dann der
       Fortschrittspartei unweigerlich in die Hände gespielt.
       
       Wurde in Norwegen die Gefahr derartiger Abschläge also unterschätzt? 
       
       Diese Frage muss ich eindeutig mit Ja beantworten. Man hätte mehr
       Aufmerksamkeit auf dieses Phänomen lenken sollen. Deshalb sind die jüngsten
       schrecklichen Ereignisse für uns auch so eine Art Lehrstunde. Die
       Verantwortlichen haben sich viel zu sehr mit dem internationalen
       Terrorismus befasst, die Gefahren, die jedoch von innen drohen, wurden
       nicht ernst genug genommen.
       
       Das heißt, auch die sozialdemokratische Regierung hat Fehler gemacht? 
       
       Bestimmt, aber dieser Angriff, das muss man sehen, war auch eindeutig gegen
       die etablierte Sozialdemokratie gerichtet. Aber nicht nur das. Alle
       etablierten Parteien empfinden das so, dass das ein Angriff auf die
       norwegische Demokratie als solche war.
       
       Wie sollten die Politik auf diesen Angriff auf die Demokratie antworten? 
       
       Solche Angriffe stellen ja gerade die Demokratie auf die Probe. Ob die
       Qualitäten, auf die so ein System sich stützt, weiter zum Tragen kommen.
       Eben eine offene Gesellschaft, die Gleichberechtigung aller Bürger und
       moralische Verpflichtung aller Bürger, sich zu engagieren. Das ist die
       wirklich große Herausforderung.
       
       Und wie sollte man mit dieser Herausforderung umgehen? 
       
       Die große Mehrheit der Getöteten sind ja ganz junge Leute. Sie
       repräsentieren die Zukunft der Gesellschaft. Daher muss die Antwort sein:
       Wir lassen uns nicht erschrecken. Wir werden auch in Zukunft jungen Leuten
       politische Aufgaben übertragen und sie dazu ermutigen, Verantwortung für
       die Gesellschaft zu übernehmen. Jetzt ist es besonders wichtig, dass die
       politischen Parteien ihre Jugendorganisationen mobilisieren. Der Leiter der
       sozialdemokratischen Jugendorganisation hat nach den Anschlägen gesagt:
       Jetzt sind alle Norweger Mitglieder dieser Organisation.
       
       25 Jul 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Oertel
       
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