# taz.de -- 100. Wagner-Festspiele in Bayreuth: Applaudiert und ausgebuht
       
       > Sebastian Baumgarten löst in seiner Bayreuther Inszenierung den Anspruch
       > nicht ein, die Konflikte des "Tannhäuser" in den Konflikten der Gegenwart
       > zu spiegeln.
       
 (IMG) Bild: Lars Clevemann als Tannhäuser und Camilla Nylund als Elisabeth während einer Probe im Juli.
       
       BAYREUTH taz | Am Ende ist man vor allem von der Musik überzeugt und
       berührt von dem Gesang. Nicht aber von dem, was die Inszenierung des
       Regisseurs Sebastian Baumgarten und seines Bühnenbildners Joep von Lieshout
       sich vorgenommen hatte: nämlich die Konflikte Tannhäusers, seine
       Getriebenheit zwischen der Welt der Entgrenzung im Venusberg und der Welt
       der Wartburg in den Konflikten der Gegenwart zu spiegeln.
       
       Über das Drama des Künstlers sollten sich andere Bilder legen, von einem
       ökologisch effizienten und korrekten System des kontrollierten
       Stoffwechsels, in dem die Triebe genauso sauber und ressourcenschonend in
       neue Energie verwandelt werden wie die Exkremente der Beteiligten. Das
       klang schon vorweg etwas zu gewollt. Aber viel mehr als viele leuchtend
       bunte Tanks, die auf der Bühne herumstehen, ist davon nicht zu sehen.
       
       Mit Wagners "Tannhäuser" haben die 100. Richard-Wagner-Festspiele in
       Bayreuth begonnen. Das ist Anlass für eine interne Feier, öffentliche
       Zeremonien aber spart man sich für 2013 auf, wenn Wagners 200. Geburtstag
       und 130. Todestag zu einem Doppeljubiläum Anlass geben. Aber selbst das
       "business as usual" führt im Nordbayrischen Kurier zu vier Seiten mit
       Wagner und Bayreuth, inklusive Gästeliste. Die Bayreuther, eine
       Buchhändlerin etwa, haben Baumgartens Inszenierung schon in der
       Generalprobe gesehen und schauen die vorfreudigen Premierengäste etwas
       mitleidig an.
       
       ## Wagner, Wagner, Wagner
       
       Jede Menge Krimis mit Wagner-Bezug liegen auf dem Krimi-Tisch, auch der
       Sänger René Kollo hat einen geschrieben, "Die Morde des kleinen
       Tannhäuser". Nike Wagner war ebenfalls in der Stadt, bei der Eröffnung
       einer Ausstellung mit Liszt-Klavieren und einer Buchvorstellung über
       Wieland Wagner, während gleichzeitig Katharina Wagner und Eva
       Wagner-Pasquier ihren Presseempfang abhalten. Auf Plakatwänden konkurrieren
       die Köpfe von Liszt und Wagner, Vorträge, Konzerte und parodistische
       Theaterstücke werden annonciert, als ginge es noch immer um nichts anderes
       in dieser Stadt.
       
       Vor dieser Wand aus Traditionsbewusstsein und Wagner-Marketing tatsächlich
       wieder Lust am Kern der Opern und eine eigene Befragung der Thematik zu
       entwickeln, ist nicht einfach. Der Regisseur Sebastian Baumgarten schien
       dafür schon der richtige Mann. Denn seine Lust am intellektuellen Diskurs
       ist oft ebenso groß wie sein Gespür für das sinnliche Potenzial in der
       Musik, das hat er in Opern- und Theaterinszenierungen und auch in
       experimentelleren Formaten bewiesen.
       
       Im Mai ließ er in Berlin in der Akademie der Künste das Libretto von
       Schauspielern der Volksbühne lesen, um sich dann im Gespräch mit seinem
       Dramaturgen Carl Hegemann und dem Philosophen Christoph Menke über die
       Klippen der Inszenierung zu unterhalten: dass man zum Beispiel den Skandal,
       das Verbrechen Tannhäusers, sein Beharren auf der Sinnlichkeit, für das er
       von der moralisch empörten Wartburggesellschaft verjagt wird, kaum noch
       nachvollziehen kann.
       
       ## Festspielbratwürste und Volksfeststimmung
       
       Allein die Ebene der Reflexion darüber, was an Bedeutung verloren gegangen
       ist und neu wiederhergestellt werden müsste, sie bleibt auf der Bühne bloße
       Behauptung. Das ist schade, denn den heutigen Begriff von Freiheit auf
       seine Lebbarkeit abzuklopfen und die Kontrahenten kenntlich zu machen, wäre
       ein lohnenswertes Unternehmen. Doch so werden Begriffe zwar eingeblendet,
       ohne sich aber mit Inhalt zu füllen. In der ersten Pause wird das
       Bühnenbild erklärt, das eine große Maschine darstellen will, die den
       Menschen zu einem von ihr abhängigen Detail degradiert - aber da hört kaum
       jemand zu. Draußen locken Bayreuther Festspielbratwürste und eine
       Volksfeststimmung, der die Vorbehalte gegen die Inszenierung keinen Abbruch
       tun.
       
       Die musikalische Leitung hat Thomas Hengelbrock, der sich das Faksimile
       einer Partitur, nach der schon Richard Wagner dirigiert hat und die mit
       handschriftlichen Korrekturen versehen ist, auf das dafür extra
       verbreiterte Pult hat legen lassen. Die historische Sorgfalt kommt der
       musikalischen Erzählung zugute, nie bügelt der Orchesterklang die Stimmen
       unter, und auch die Momente des Innehaltens, der Bestürzung, wenn
       Tannhäusers alte Freunde in ihm nicht mehr den wiedererkennen, den sie so
       lange vermissten, sind spürbar, sichtbar und fühlbar schon, bevor die Musik
       sie bestätigt und verstärkt. Hengelbrock lässt den Figuren allen Raum, sich
       zu entfalten.
       
       Und das wissen die Sänger zu nutzen. Michael Nagy, der mit der zarten
       Zurückhaltung und aufopferungswilligen Hilfsbereitschaft mit seiner Rolle
       des Wolfram von Eschenbach verschmilzt, und Günther Groisböck, der einen
       athletischen, ein bisschen nach Superman modellierten Landgrafen von
       Thüringen singt, bekommen am Ende den heftigsten Applaus. Ausgebuht, ganz
       furchtbar ausgebuht, wird dagegen Stephanie Friede, die Sängerin der Venus,
       die aggressiv ihre Liebe verteidigt in ihrer Venusgrotte, einem in rotes
       Licht getauchten Käfig: Allein diese Verteilung von Sympathie und
       Antipathie scheint einer zu großen Identifikation der Darsteller mit ihrer
       Rolle geschuldet.
       
       Lars Clevemann dagegen, der sich als Tannhäuser ja weder bei Venus noch auf
       der Wartburg zu Hause fühlt und mit verschlungenen und verwirrenden
       Melodien stets von seiner Umgebung abweicht, fand nur kühle Aufnahme. Das
       Regieteam wurde niedergemacht, der Chor dagegen, indem sich eine gewachsene
       Kompetenz über die Jahre ausgebildet hat, am meisten gefeiert. Zweifellos
       schlug da Heimatstolz zu: wir können unseren Wagner eben doch am besten.
       
       26 Jul 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Bettina Müller
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Klassik
       
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