# taz.de -- Trauer in Norwegen: Ein Meer aus Blumen
       
       > Sie sind nicht wütend, sie sind nicht laut, aber sie sind da: Die
       > Norweger demonstrieren in der Trauer Geschlossenheit - und den Willen, an
       > ihrem Lebensstil festzuhalten.
       
 (IMG) Bild: Keine Ordnungsmacht, kein lauter Protest. Ein Land trauert.
       
       OSLO taz | "Das hat er nicht gewollt. Und darauf sind wir stolz." Arvid
       Fussholm steht am Rande des Osloer Domplatzes. Er zeigt auf den immensen
       Blumenteppich, der den Innenstadtverkehr zum Erliegen gebracht hat. Die
       tausenden Menschen um ihn herum, die immer noch dastehen, obwohl der
       Gedenkzug längst zu Ende ist. Das Polizeiauto, das mit Blumen überhangen
       ist.
       
       "Schauen Sie sich das an", sagt der 49-Jährige, der aus der Umgebung von
       Oslo stammt. "Er hat nichts gekriegt von dem, was er wollte." Keine
       Ordnungsmacht, kein lauter Protest. Stattdessen stille Präsenz.
       
       Die meisten reden von "ihm", wenn sie auf den Attentäter vom Freitag
       angesprochen werden. Ein Versuch, sich zu distanzieren: Auf dem Papier war
       Anders B. Breivik Norweger. Seine Taten aber, das Gedankengut dahinter -
       das habe mit dem Selbstverständnis des Landes nichts zu tun. "Es wäre
       leichter gewesen, zu protestieren, wenn es jemand von außen gewesen wäre",
       sagt Karl Kristian Indreeide, der mit seinem Sohn ebenfalls vor den Dom
       gekommen ist. "Jetzt bleibt nur, hier zu sein und so unsere Demokratie zu
       zeigen."
       
       Etwa zweihunderttausend Menschen sind am Montagnachmittag durch die
       Innenstadt gezogen, das ist jeder dritte Osloer. Alle haben sie Blumen in
       der Hand. Eine Gruppe Palästinenser ist dabei, sie wird beklatscht.
       Besucher aus Schweden haben eine eigene Blumeninsel am Rande des Domplatzes
       gelegt, in die sie Zettel mit handschriftlichen Botschaften gelegt haben.
       Vor den Blumengeschäften haben sich lange Schlangen gebildet, jeden Tag
       seit dem Doppelanschlag vom Freitag geht das nun so. Geschäfte schließen am
       Montag vorzeitig, auch McDonalds macht zu. Man will den Mitarbeitern die
       Teilnahme am Gedenkzug und einer Feier unten am Wasser ermöglichen.
       
       "Wir wollen Hass mit Zusammenhalt beantworten", ruft Kronprinz Haakon
       später, und er spricht von Straßen, die "mit Liebe gefüllt" sind. Zum
       Abschluss halten die Trauernden ihre Blumen in die Höhe, ohne spezielles
       Signal, spontan. Das ist vielleicht das stärkste Bild dieses Gedenktags:
       Blumen statt Plakate oder Parolen. "Jeder kennt irgendjemanden, der
       betroffen ist", sagt die junge Frau Viktoria Mekkevik. "Wir können nichts
       anderes machen, als jetzt geschlossen aufzutreten."
       
       ## "Es wird bestimmt wieder wie früher."
       
       Die Menschen stehen dicht, aber nicht gedrängt. Der Ministerpräsident Jens
       Stoltenberg spricht, Künstler treten auf. Die Polizisten halten sich im
       Hintergrund. Auch tagsüber ist weder Militär noch Polizei in den Straßen zu
       sehen. Bis auf das eine, mit Blumen bestückte Polizeiauto ist kein
       Einsatzfahrzeug in der Innenstadt zu sehen.
       
       Ein Teil des Regierungsviertels ist nach wie vor abgesperrt, vor diesen
       Absperrgittern stehen Wachleute. Von den Scherben und Trümmern dahinter
       können Passanten fast nichts sehen. In die Gitter sind von oben bis unten
       Blumen gesteckt.
       
       Karl Kristian Indreeide wohnt mit seiner Familie ganz in der Nähe des
       Regierungsviertels. Er hat die Explosion gehört und gespürt. Das Leben gehe
       weiter, sagt er. Und zuversichtlich, fast trotzig fügt er hinzu: "Es wird
       bestimmt wieder wie früher." Angst und Sorge drückt der junge Vater
       höchstens indirekt aus: "Man weiß jetzt mehr als vorher, was alles möglich
       ist."
       
       Die enorme Präsenz der Menschen auf den Straßen, das gemeinsame Gedenken -
       vielen stiftet all das auch Halt. Zu unfassbar ist das Geschehene noch für
       das nicht gerade bevölkerungsreiche Land, das so sehr am Image der
       Friedliebenden hängt. "Alle schreiben jetzt, dass Norwegen so ein gutes
       Land sei", sagt Bengt Fors, ein 30-jähriger Osloer. "Jetzt wollen wir
       wirklich so sein, und daran glauben, auch deswegen sind so viele da."
       
       26 Jul 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kristina Pezzei
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Debatte Attentate in Oslo: Prima Klima für Einzeltäter
       
       Populisten und andere Islamfeinde wollen mit der schrecklichen Tat aus
       Norwegen nichts zu tun haben. Lasst sie damit bloß nicht davonkommen, sagt
       Robert Misik.
       
 (DIR) Selbststilisierung des Attentäters: "Dahinter steckt Männlichkeitsideologie"
       
       An Anders Behring Breivik ist nichts typisch Norwegisches. Er sieht sich
       als heroischen Einzelnen, der die Welt retten wollte. Davon ist die
       Skandinavien-Expertin Stefanie von Schnurbein überzeugt.
       
 (DIR) Norwegens Landesvater Stoltenberg: Stellvertretender Mitmensch
       
       Jens Stoltenberg ist eigentlich nicht dafür bekannt, besonders warmherzig
       zu sein. Nach der Katastrophe in Oslo aber sind alle voll des Lobes für den
       Ministerpräsidenten.
       
 (DIR) Auf Bauernhof von Breivik: Polizei zündet Sprengstoff
       
       Auf der Farm des Attentäters von Oslo hat die Polizei weiteren Sprengstoff
       gefunden. Derzeit fahnden die Ermittler nach einem gewaltbereiten
       Breivik-Verehrer. Breivik gilt als suizidgefährdet.
       
 (DIR) Kommentar Norwegen: Linke Versäumnisse
       
       Norwegens Sozialdemokraten haben eine ideologische Auseinandersetzung mit
       den Rechtspopulisten dem Jugendverband überlassen. Das muss sich dringend
       ändern.
       
 (DIR) Blogger zu Norwegen: "Blind vor Aktionismus"
       
       Nach den grauenvollen Ereignissen in Norwegen wurden von vielen "Experten"
       voreilige Schlüsse gezogen. Blogger üben nun Kritik und nur das ZDF weiß
       sich zu wehren.
       
 (DIR) Manifest von Anders Behring Breivik: Massaker als Marketing-Instrument
       
       Das Manifest des norwegischen Massenmörders Anders Behring Breivik ist
       komplett irre: Ein manisch zusammengeschustertes Plagiat.
       
 (DIR) Nach Anschlägen in Norwegen: "Freiheit ist stärker als Angst"
       
       Norwegen erwägt Strafverfolgung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
       Kronprinz Haakon ruft zu Nähe und Liebe auf. Die Britische Polizei prüft
       Kontakte des Attentäters nach UK.
       
 (DIR) Nach den Anschlägen in Norwegen: Im Netz der Trauer
       
       Das Web wird in Norwegen dazu verwendet, die Anschläge zu verarbeiten.
       Wildfremde Menschen bieten bei Facebook Hilfe an, andere organisieren
       Lichterumzüge.
       
 (DIR) Offene Gesellschaft in Norwegen: Freiheit gibt es nicht gratis
       
       In Norwegen ist es nicht außergewöhnlich, mit einem Minister an der
       Supermarktkasse zu plaudern. Wird das nach dem Massaker so bleiben?