# taz.de -- Der Terror in Norwegens Medien: "Keine Plattform für kranke Ansichten"
       
       > Norwegens Medien haben besonnen über die Anschläge berichtet. Nun wird
       > diskutiert, wie viel Raum künftig der üppigen Eigen-PR von Behring
       > Breivik gegeben werden soll.
       
 (IMG) Bild: Blumenmeer statt geschockte Überlebende: Auch Norwegens TV-Sender berichteten zurückhaltend.
       
       STOCKHOLM taz | "Ich glaube, wir haben gut und richtig reagiert", meint
       Espen Egil Hansen, Redakteur der Osloer Tageszeitung Verdens Gang: "Ich bin
       nicht nur vom Einsatz unserer eigenen Redaktion beeindruckt, sondern
       generell von der gesamten norwegischen Presse." Tatsächlich haben sich die
       norwegischen Medien in den letzten Tagen gut gehalten: Selbst die
       Boulevardzeitungen haben bewiesen, dass man - anders als ausländische
       Tabloids - ohne blutige Fotos, Überschriften wie "Hier fliehen die Kinder
       vor dem Attentäter" oder Charakterisierungen wie "Bestie" oder "Teufel"
       auskommen kann.
       
       Allerdings wurden auch Fehler gemacht und Falschmeldungen verbreitet.
       Beispielsweise die, dass neben dem Attentäter auch eine weitere, mit Messer
       bewaffnete Person auf Utøya wüte, oder Regierungschef Stoltenberg beim
       Bombenanschlag verletzt worden sei. "Bedauerlich, aber so gut wie
       unvermeidlich bei einem 24-Stunden-Medium", meint Hansen. Auch Jan Ove
       Årsæther vom privaten Fernsehsender TV2 ist sich "nahezu sicher", dass man
       fehlerhafte Informationen gesendet habe.
       
       Falls man bei der Berichterstattung über das Doppelattentat von einem
       Gewinner sprechen kann, so geht dieser Titel eindeutig an den
       öffentlich-rechtlichen Sender NRK. Der stellte aus dem Stand eine fast
       durchgängige zweieinhalbtägige Dauersendung auf die Beine, die nicht etwa
       immer wieder die gleichen Videoclips wiederholte, sondern ständig neue
       Gesprächspartner und Blickwinkel fand.
       
       ## Der Mut, zu verzichten
       
       Beeindruckend war auch der Mut von NRK, dort, wo das nicht angebracht war,
       auf eine Liveberichterstattung zu verzichten. Es ging kein Live-Interview
       mit geschockten Überlebenden der Bluttat von Utøya über den Sender. Und
       laut Per Arne Kalbakk von NRK werden auch viele der aufgezeichneten
       Interviews nie ausgestrahlt werden, weil man das angesichts der Verfassung
       der Interviewten nicht verantworten könne. Auch wenn manche dieser
       Jugendlichen oder ihre Eltern ihre Geschichte unbedingt hätten erzählen
       wollen, sei man vorsichtig gewesen, so Kalbakk: "Die Herausforderung für
       uns bestand darin, eine Balance zu finden zwischen ihrem Wunsch zu
       kommunizieren, was passiert war, und unserer Einschätzung ihrer psychischen
       Verfassung. Wir wollten nicht einfach Schock weitergeben, aber durchaus
       deren Trauer vermitteln."
       
       Diskussionen hatte die zunächst recht unkritische Übernahme der Eigen-PR
       des Terroristen Breivik in vielen norwegischen Medien entfacht. Der
       verfolgte eine sorgfältige Medienstrategie, die deren Funktionsmechanismen
       richtig einschätzte: Auf seiner Facebook-Profilseite gab es vorteilhafte,
       hochaufgelöste Fotos, die direkt publiziert werden konnten. Es gab Angaben
       zu seinen Hobbys und Vorlieben, mit denen er das Bild eines eigentlich ganz
       sympathischen Menschen vermitteln wollte.
       
       "Alle Informationen, die die Printmedien am 23. Juli über ihn
       veröffentlichten, stammten von seiner eigenen Facebook-Seite", kritisiert
       der schwedische Journalist Emanuel Karlsten: "Wir haben alles geschluckt.
       Wir haben unser Bild von ihm ausgehend von den Prämissen gezeichnet, die
       dieser kaltblütige Mörder selbst im Detail vorbereitet hatte." Diese Bilder
       und diese Informationen hätten eigentlich nicht direkt weiterkommuniziert
       werden dürfen, meint Tore Slaatta, Professor für Kommunikation an der
       Universität Oslo.
       
       ## Medien brauchen Bilder
       
       Man sei sich in seinem Sender durchaus bewusst gewesen, dass Breivik
       "selbst Regie geführt" habe, sagt Jan Ove Årsæter von TV2. Aber Medien
       bräuchten Bilder – und man habe eben keine anderen Bilder und Informationen
       gehabt.
       
       Schon jetzt diskutieren norwegische JournalistInnen das nächste Dilemma in
       der Berichterstattung: Wie sollen sie mit dem Prozess umgehen, für den
       Attentäter Breivik schon angekündigt hat, ihn zu einer PR-Show in eigener
       Sache machen zu wollen? "Wir dürfen uns nicht zu nützlichen Idioten machen
       lassen", warnt Eva Sannun von der Journalistengewerkschaft PFU.
       
       Auch Per Edgar Kokkvold, Generalsekretär des norwegischen Presseverbands
       Norsk Presseforbund, sonst ein eifriger Verteidiger größtmöglicher
       Öffentlichkeit, spricht von einer "speziellen Situation": "Es ist nicht
       erforderlich, Breivik eine Plattform für seine kranken Anschauungen zu
       geben. Das hat nichts mit Meinungsfreiheit zu tun."
       
       Nils E. Øy, Generalsekretär der Redakteursvereinigung Norsk
       Redaktørforening, würde es allerdings für falsch halten, wenn sich
       Norwegens Medien auf eine solche Linie einigen würden. Natürlich könne jede
       Redaktion selbst entscheiden, ob sie Breivik einen "Maulkorb" verpassen. Er
       verstehe auch das Unbehagen von Journalisten, die Botschaften Breiviks zu
       verbreiten. Bei früheren Debatten über die Veröffentlichung rassistischer
       Äußerungen sei man aber zu dem Schluss gekommen, dass es falsch sei, solche
       Aussagen vollständig zu verschweigen: "Man sollte sie lieber ans Licht
       kommen lassen, um ihnen dann mit Worten und Argumenten zu begegnen."
       Breiviks Manifest sei inzwischen ohnehin schon so weit verbreitet, dass ein
       öffentliches Interesse daran bestehe, das auch zu vertiefen. "Womit ich
       aber keine unbegrenzte Propaganda meine", betont Øy.
       
       28 Jul 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reinhard Wolff
       
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