# taz.de -- Kommentar Fukushima: Viele Japaner wollen es nicht wissen
       
       > "Messen, messen, messen", hat ein unabhängiger Energieexperte den
       > Japanern als Reaktion auf Fukushima vorgeschlagen. Doch das reicht nicht.
       
       Was kann man noch essen? Genau wie damals nach Tschernobyl dreht sich auch
       in Japan alles um die Frage nach unverseuchten Nahrungsmitteln. Und so
       zeigt der Streit zwischen zwei Tokioter Biolebensmittel-Kooperativen, wie
       schwer der ach so coolen japanischen Gesellschaft der Umgang mit der
       radioaktiven Dauerkatastrophe fällt.
       
       Die einen wollen ihren Kunden am liebsten nur noch mit eigener Hand
       kontrollierte Ware verkaufen, um wirklich sicher zu sein, dass sie nicht
       radioaktiv verseucht ist. Die Gegenseite ist weniger kategorisch und
       informiert ihre Kunden regelmäßig über die neuen, unzähligen Probleme ihrer
       meist landwirtschaftlichen Hersteller. Sie fordern die Solidarität zwischen
       Bauern der verseuchten Gegenden und Konsumenten.
       
       Zwar wird Tepco, der AKW-Betreiber in Fukushima, heute von allen Teilen der
       Gesellschaft wegen seiner Geheimhaltungspraxis kritisiert. Doch selbst wenn
       Tepco heute, knapp fünf Monate nach dem Atomunfall, die am meisten
       verseuchten Teile der Atomanlage in Fukushima entdeckt, werden viele
       Japaner nicht darüber erleichtert sein, dass man endlich ein Stück mehr von
       dem vollen Ausmaß der Katastrophe erfährt.
       
       Viele werden sofort an die gefährdeten Arbeiter in der Atomanlage denken
       und dass ihnen die neuen Messwerte nur noch mehr Angst machen müssen. Sie
       werden an die Bauern der Umgebung denken und an ihren Schaden für die
       ausstehende Reisernte - denn inzwischen gilt auch Reis als verseucht.
       
       Vielen Japanern geht es einfach darum, den nächstliegenden Schaden
       abzuwenden. Das entspricht ihrer sympathischen Gegenwartsphilosophie. Zudem
       wollen sie etwas Praktisches für die sichtbarsten Opfer der Krise tun:
       indem sie zum Beispiel Reis aus der Präfektur Fukushima essen. Aufklärung
       aber kommt dabei zu kurz.
       
       "Messen, messen, messen", hat der unabhängige Pariser Energieexperte Mycle
       Schneider jetzt in der Zeitschrift Sekai den Japanern als bestmögliche
       Reaktion auf die Krise vorgeschlagen. Alle sollten die Radioaktivität
       messen: Tepco, die Regierung, die Kommunen, die Schulen, jeder einzelne
       Bürger. Sicher hat Schneider recht. Aber die Sache liegt vielen Japanern
       nicht: Denn jeder Messwert könnte irgendwem Schwierigkeiten bringen. Sie
       sind es so gewöhnt, auf alle Rücksicht zu nehmen.
       
       2 Aug 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Georg Blume
       
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