# taz.de -- Ausbau der Mauergedenkstätte: Spuren der gelöschten Stadt
       
       > Zum 50. Jahrestag des 13. August 1961 eröffnet am Samstag mit einem
       > Staatsakt der erweiterte Teil der Gedenkstätte Berliner Mauer. Thematisch
       > wird hier "Die Zerstörung der Stadt" sichtbar gemacht.
       
 (IMG) Bild: Brandwand mit historischem Flucht-Bild an der Gedenkstätte Bernauer Straße
       
       Die rostigen Stäbe als Zeichen des einstigen Mauerverlaufs entlang der
       Bernauer Straße bilden seit 2010 ein Markenzeichen in der Berliner
       Gedenklandschaft. Die abstrakte Gestaltung des Postenwegs oder des
       Signalzauns sowie die Infostelen mit Bild- und Tondokumenten sind es
       gleichfalls. Doch was bedeuten die vielen ins Gras eingelassenen
       Stahlschienen, die wie ein Schnittmusterbogen kreuz und quer von der
       Ackerstraße über die Kapelle der Versöhnung bis hinauf zur Brunnenstraße
       reichen?
       
       "Die Zerstörung der Stadt" nennt die Stiftung Gedenkstätte Berliner Mauer
       den jetzt fertiggestellten zweiten Bauabschnitt (siehe Grafik, Sektor B und
       C) auf dem ehemaligen Grenzstreifen. Dieser wird am Samstag zum 50.
       Jahrestag des Mauerbaus 1961 im Beisein von Bundespräsident Christian Wulff
       und Kanzlerin Angela Merkel (beide CDU) eröffnet. 2005 hatten der Bund und
       Berlin das 20 Millionen Euro teure Gedenkkonzept beschlossen, 2010 war der
       erste Abschnitt an der Bernauer Straße fertiggestellt worden, 2013 soll der
       dritte und letzte Teil der 1,5 Kilometer langen Mauer-Gedenkmeile übergeben
       werden.
       
       Mit dem Titel "Die Zerstörung der Stadt" erklären sich auch die in den
       Boden eingelassenen schmalen Schienen der nun um 425 Meter erweiterten
       Gedenkstätte. Die Gedenkstätte "erhält ihre besondere Prägung durch die
       Nachzeichnung der Grundrisse von über 20 abgerissenen Wohnhäusern", betont
       Direktor Axel Klausmeier. Will sagen: Hatte der Mauerbau quasi die
       "Löschung" der einst dicht bebauten Bernauer Straße auf der östlichen Seite
       konstituiert, feiert diese nun ihre Renaissance als Chiffre.
       
       Dass mit der Fertigstellung des zweiten Teilabschnitts das sogenannte
       Herzstück der Gedenkstätte eröffnet, untermauert nicht nur der Staatsrummel
       mit Wulff und Merkel. Wichtiger für die Bedeutung der Gedenkstätte
       erscheint jedoch, dass sich an dieser Stelle die west-östliche Welt- und
       Stadtgeschichte sowie beispielhaft Lebensschicksale im Berlin zur Zeit des
       Kalten Krieges in besonderem Maße konzentriert haben. "Die Dichte der
       dramatischen Ereignisse, die vielen Geschichten von Menschen der Straße
       machen die Auswirkungen der Mauer auf Familien, Freunde, Nachbarn
       deutlich", so Klausmeier zur Eröffnung des neuen Erinnerungssektors.
       
       Wie sehr die Mauer damals zugeschlagen hat, lässt sich anhand der Fülle der
       Grundrisse erahnen: Die Mauer entlang der Bernauer Straße verschlang ganze
       Bereiche lebendiger Stadtgeschichte, Häuser und Wohnblocks, eine Kirche,
       Geschäfte, Kneipen und Kultureinrichtungen. Sie alle wurden nach 1961 peu à
       peu entmietet, verbarrikadiert, abgerissen und ihre Bewohner von der
       DDR-Staatsmacht umgesiedelt.
       
       Während im ersten Gedenkstreifen (A) von der Bergstraße bis zur Ackerstraße
       die Geschichte der immer dichter werdenden Sperranlagen und die des
       Sofienfriedhofs erzählt wird, dokumentiert der zweite Bauabschnitt den
       brutalen Schnitt mitten durch eine Straße. Zugleich erinnert er an die
       vielen Opfer des Mauerbaus vor Ort und zeigt den Widerstand gegen das
       Grenzsystem.
       
       In der Nacht zum 13. August 1961 wurden die Bewohner auf der Ostberliner
       Seite der Bernauer Straße von der Absperrung überrascht. Zwar belegen
       neueste Quellen der westlichen Geheimdienste, dass diese seit Anfang August
       1961 im Bilde waren über "kommende Maßnahmen an der Sektorengrenze".
       Niemand aber an der Bernauer Straße rechnete mit Stacheldraht und schon gar
       nicht damit, dass eine Mauer errichtet werden sollte. Als die Bauarbeiter
       begannen, Türen und Fenster zur Bernauer Straße zu vermauern, entschlossen
       sich viele Anwohner der Häuser Nummer 3 bis 12 zur Flucht. Von dieser
       Stelle stammen die berühmten Bilder von Menschen, die aus den Fenstern in
       den Westen sprangen.
       
       Nach der Flucht und der Mauer kamen ab 1963 die Abrisse. Tonaufnahmen des
       RIAS, die an den sieben Video- und Infostelen nachzuhören sind, geben einen
       atmosphärischen Eindruck von den Zerstörungen. "Achtung, Achtung, hier
       spricht die Polizei. An die Hausbewohner der Grundstücke Bernauer Straße
       und Ackerstraße. Nach Mitteilung der Behörden aus dem sowjetischen Sektor
       wird das Wohnhaus Ackerstraße 42 am 29. 12. 1965 zwischen 11 und 15 Uhr
       gesprengt", tönt es aus einer Stele.
       
       Nachlesen kann man zudem, wie Westberliner zwischen der Acker- und
       Brunnenstraße bis 1963 vier Fluchttunnel gruben, durch die mehr als 200
       Menschen aus dem Ostteil entkamen. 300 Fluchtversuche und 10 Mauertote hat
       es bis 1989 hier gegeben. Die Stasi errichtete ebenfalls ein Tunnelsystem.
       1985 wurde die Versöhnungskirche gesprengt. Der Todesstreifen war
       "bereinigt", wie es in schönstem DDR-Sprech hieß.
       
       Es sei vollkommen richtig, "dass dieser Ort ein besonderes Augenmerk in der
       Stadt- und Mauergeschichte erhalten hat", sagte der Regierende
       Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) bei seinem Rundgang am Dienstag über das
       Gelände. Richtig ist auch, dass sich die Stiftung und Klausmeier auch hier
       im Streit über die Gestaltungsart durchgesetzt haben.
       
       Bis auf die mit archäologischen Methoden freigelegten Grundmauern des 1965
       abgerissenen Wohnblocks Bernauer Straße 10 A und Rundfunkberichte in der
       aufgeregten Sprache Kalter Krieger wurde das ebenso schlichte wie
       wirkungsvolles Konzept - aus Grün und Stahl - zum Gedenken weitergeführt.
       Mit "abstrakten Mitteln", wie Klausmeier meint, werde die
       zeitgeschichtliche Bedeutung der einstigen Schnittstelle zwischen Ost- und
       Westberlin "auf andere, neue Weise sichtbar" gemacht. Die Erinnerung an die
       tiefe, breite Wunde an der Bernauer Straße werde durch das zurückhaltende,
       assoziative Gedenkkonzept nicht emotional aufgeladen. Selbst die schon 2000
       realisierte Kapelle der Versöhnung strahlt diese unprätentiöse Botschaft
       aus.
       
       ## Authentischer Ort
       
       Wie notwendig dieser aufklärerische und reflektierte Umgang mit der
       Mauergeschichte ist, war beim Ortstermin am Dienstag mit
       Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) erlebbar. Neumann, der einst die
       Rekonstruktion originaler Mauerteile an der Bernauer Straße befürwortet
       hatte, um die vermeintliche Erlebbarkeit des Todesstreifens besser
       versinnlichen zu können, hat in seiner Rede den Furor des
       "menschenverachtenden Monstrums Mauer" an diesem "authentischen Ort des
       Unrechts und Schreckens" verbal deutlich wieder aufflackern lassen.
       
       Zwar haben Neumann und der Bund sich mit 8,5 Millionen Euro an dem
       Gedenkabschnitt beteiligt. Auch bemerkenswert ist, dass der Staatsminister
       den flächendeckenden Verlust der Mauer aus den Zeiten des Abrisstaumels
       1989 und 1990 beklagte. Dennoch wirft der markige Unterton seines Beitrags
       - und sicherlich noch der anderer Reden am Samstag bei den
       Gedenkfestivitäten - die Frage auf, worum es beim Thema Erinnerung an 50
       Jahre Mauerbau gehen sollte: gegen das Vergessen. Aber um Emotionalisierung
       in der Sprache des Kalten Krieges sicher nicht.
       
       12 Aug 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rolf Lautenschläger
       
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