# taz.de -- Die Verbraucher zahlen drauf: Kein Zuckerschlecken
       
       > Schlechte Ernten und die Bioethanol-Produktion sorgen für hohe Preise.
       > Bislang nur an der Grenze zu Polen rationiert, wird billiger Zucker jetzt
       > auch andernorts knapp.
       
 (IMG) Bild: Nicht mehr genug billiger Zucker, um Saft aus Himbeeren zu machen – so sieht's aktuell aus.
       
       BERLIN taz | Im Sommer kocht Wolfgang Strölin Himbeersirup und verkauft ihn
       in seiner Apotheke in Esslingen. Seit Jahrzehnten macht er das, genauso,
       wie es vor ihm sein Vater und sein Großvater gemacht haben: Die Himbeeren
       werden vergoren, der Saft ausgepresst und filtriert. Früher habe man den
       wohlschmeckenden Sirup Pillen oder Hustensaft beigemischt, heute werde er
       so verkauft, sagt Strölin.
       
       Für sechs Liter Saft braucht Strölin 11,14 Kilogramm Zucker, macht bei 150
       Kilogramm Himbeeren 225 Kilogramm Zucker. Sobald die Himbeeren vom
       Großhändler bei dem Apotheker eingetroffen waren, machte er sich auf den
       Weg zum örtlichen Großhändler, einem Metro-Markt, um Zucker zu kaufen. Und
       erlebte sein blaues Wunder.
       
       Neun Säcke à 25 Kilogramm seien viel zu viel, beschied man ihm, höchstens
       vier Säcke dürfe er kaufen, und zwar im Monat. In vier Wochen könne er
       wiederkommen, neuen Zucker kaufen.
       
       ## Edeka, Lidl, Kaufland
       
       Entlang der Grenze zu Polen kennen die Bewohner solche Antworten schon
       länger. Im vergangenen halben Jahr hatten Supermärkte wie Edeka, Lidl oder
       Kaufland dort immer mal wieder Zucker rationiert. In Deutschland ist der
       nämlich deutlich billiger als im Nachbarland Polen. Dort setzt der Handel
       auf die Strategie, den süßen Rohstoff kurzfristig einzukaufen. So kann er
       bei niedrigen Preisen schnell zugreifen – und wird aber auch von stark
       steigenden Preisen unangenehm überrascht.
       
       Genau das war an den von starken Schwankungen geprägten Rohstoffmärkten im
       vergangenen Winter geschehen: Ein Zyklon in Australien, eine schlechte
       Ernte in Brasilien, dazu die Spekulationslust der Anleger - die Preise
       kletterten behende aufwärts. In Deutschland hat der Handel eine andere
       Taktik. Konzerne wie Metro oder Edeka schließen mit den Zuckerfabrikanten
       wie dem Branchenprimus Südzucker langfristige Lieferverträge. So sind sie
       vor rapiden Preisschwankungen besser geschützt. Darum stiegen zwar auch
       hierzulande die Preise, aber nicht so stark wie in Polen. Entlang der
       deutsch-polnischen Grenze hatte das zu einem regen Import-Export-Geschäft
       geführt, das die Handelsketten schließlich durch Mengenbegrenzungen
       unterbanden.
       
       ## Nun wird Zucker auch in Esslingen knapp
       
       Nun liegt Esslingen der polnischen Grenze fern. Billiger Zucker wird aber
       auch dort langsam knapp. Der Grund dafür liegt in Brüssel und eben in
       Brasilien. In Europa ist der Zuckermarkt - wie im Rest der Welt - streng
       reglementiert. Die Bauern in Deutschland, Frankreich oder Polen dürfen mit
       ihren Rüben nur 85 Prozent der europäischen Nachfrage bedienen. Die
       restlichen 15 Prozent müssen Industrie und Handel auf dem Weltmarkt
       einkaufen. Größte Anbieter dort sind Brasilien - das Zuckerrohrland steuert
       fast die Hälfte der globalen Jahresproduktion bei - sowie Thailand und
       Australien.
       
       Dort und in Brasilien fährt man dieses Jahr wieder durchschnittliche bis
       schlechte Ernten ein. Der Verband der australischen Zuckerrohrbauern
       rechnet in diesem Jahr mit einer Ernte von rund 30 Millionen Tonnen
       Zuckerrohr, im Schnitt sind es etwa 33 Millionen Tonnen. Und der
       brasilianische Zuckerrohrverband Unica warnte schon vor Wochen vor einer
       schlechten Ernte, weil es erst zu heiß und trocken, danach zu regnerisch
       und kalt war.
       
       ## Zucker in den Tank
       
       Zudem wird der Zucker, den es auf dem Weltmarkt gibt, nicht gänzlich
       verspeist. Ein großer Teil wandert inzwischen als Ethanol in die Tanks
       brasilianischer und US-amerikanischer Autos. Auch die Industrie schätzt
       Zucker als Rohstoff. Was das Angebot für Leckermäuler weiter einschränkt.
       
       Ein knappes Angebot über den langen Zeitraum von einem Jahr - das klingt
       nach hohen Preisen. So war Zucker auch einer der wenigen Agrarrohstoffe,
       der in den vergangenen Tagen an den Börsen nicht abstürzte. Mit einer
       Verzögerung wird das nun auch im deutschen Einzelhandel ankommen. Die
       Zucker-Rationierung in Esslingen war ein Warnzeichen: günstiger Zucker ist
       nicht mehr massenhaft zu haben. Die langfristigen Verträge laufen aus und
       werden neu verhandelt. Auch wenn die Rübenbauer in Europa zufrieden auf die
       Saison blicken, wird der Zucker in den Läden ab Herbst angesichts der
       Weltmarktpreise wohl teurer werden.
       
       Apotheker Strölin konnte – nach langen Debatten mit der halben
       Marktbelegschaft – schließlich doch noch neun Säcke Zucker zu einem
       günstigen Preis mit nach Hause nehmen. Und hat daraus 500 Flaschen
       Himbeersirup gekocht. Wie jedes Jahr.
       
       12 Aug 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heike Holdinghausen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Getreide bleibt teuer: Das dunkle Ende der Wurst
       
       Die Nachfrage nach Getreide, auch als Viehfutter, treibt die Preise. Und
       das wird bis Ende des Jahres nicht anders, warnt die Ernährungsorganisation
       der UNO.
       
 (DIR) Agrarsubventionen aus Europa: Bauerngeld fließt an Konzerne
       
       Rund 60 Milliarden Euro Agrarsubventionen vergibt die EU im Jahr. Eine neue
       Datenbank zeigt: Firmen wie Südzucker, Bayer und RWE haben davon einen
       großen Anteil erhalten.
       
 (DIR) Spekulation auf Nahrungsmittel: Mit dem Zucker spielt man nicht
       
       Spekulation verschärft die Steigerung bei den Lebensmittelpreisen um ein
       Fünftel - sagen Ökonomen. Ministerin Aigner erwägt nun eine bessere
       Regulierung.