# taz.de -- Junge deutsche Singer-Songwriter: Liedermacher 2.0
       
       > Polit-Barden wie Hannes Wader oder Konstantin Wecker haben Nachwuchs
       > bekommen. Junge deutsche Singer-Songwriter feiern Publikumserfolge.
       
 (IMG) Bild: "Liedermacher, das ist so altbacken", findet Max Prosa.
       
       BERLIN taz | Der alte Mann liest stoisch in einem Buch. Ein zweiter alter
       Mann sitzt einen Sessel weiter und gewährt sich derweil ein Bierchen.
       Draußen tobt ein Gewitter. Drinnen, im Foyer des Stadthotels Oranienburg,
       warten Hannes Wader und Konstantin Wecker, dass der Regen aufhören möge.
       Eigentlich sollten sie längst auf der Bühne stehen, wenige Minuten entfernt
       im Hof des barocken Schlosses.
       
       Noch bleibt Zeit, das Buch zu lesen und sich Gedanken zu machen, wie es um
       den Status des Liedermachers bestellt ist. Wader liest. Er blickt selbst
       dann nicht auf, als Wecker in dröhnendem Bayerisch deklamiert, er habe den
       Begriff Liedermacher früher als "hässlich" empfunden. Aber heute sei ihm
       die Bezeichnung "eine Ehre". Denn, sagt Wecker, "der Liedermacher steht
       auch für eine politische Haltung. Nicht nur dafür, dass er seine eigenen
       Texte und seine Musik schreibt."
       
       Hört Philipp Poisel die Bezeichnung Liedermacher, dann lacht der sonst so
       nachdenkliche junge Mann laut auf. "Na ja", sagt er dann, "ich mach'
       Lieder." Mit ihnen hat Poisel ein erstaunlich großes Publikum erreicht. Der
       Schwabe ist der erfolgreichste Vertreter eines neuen Phänomens.
       
       Die alten Liedermachergarde, seit den frühen siebziger Jahren pausenlos
       unterwegs, füllt zwar immer noch die Stadthallen in der Provinz. Bis vor
       Kurzem aber fehlte der Nachwuchs - vor und auf der Bühne. Nun aber gibt es
       eine ganze Reihe junger deutscher Folk-Sänger und Sängerinnen, die man, so
       wie sie den Text in den Vordergrund rücken, mit Fug und Recht als
       Liedermacher bezeichnen könnte.
       
       Auch wenn sie selbst dieser Bezeichnung ablehnend gegenüber stehen: Gisbert
       zu Knyphausen, Tim Bendzko, Maike Rosa Vogel, Johanna Zeul, Norman Sinn,
       Illute, Anna Depenbusch, Felix Meyer, Hans Unstern, Dota Kehr oder Moritz
       Krämer.
       
       Manche von ihnen packt ein Radiosender in die Schublade "Neue
       DeutschPoeten". Aber Liedermacher? "Das Wort gefällt mir nicht, das klingt
       so klingonisch hart", hat unlängst der ehemalige Rapper Clueso erzählt, der
       sich inzwischen ebenfalls in dieses Muster fügt, "Lied-er-mach-er, das
       klingt wie Bauarbeiter."
       
       Auch Philipp Poisel will lieber Singer/Songwriter genannt werden. Der
       28-Jährige, aufgewachsen in Ludwigsburg, lebt heute in Stuttgart und kommt
       zum verabredeten Treffpunkt, einem Berliner Café, eine Dreiviertelstunde zu
       spät. Der Mann aus der Provinz hat sich verlaufen im Prenzlauer Berg, der
       vielen anderen aus dem Schwäbischen zum neuen Heimatdorf geworden ist.
       
       Poisels Album "Bis nach Toulouse" stieg im vergangenen Jahr bis in die Top
       Ten auf. Früher hat er "Reinhard Mey und so" gehört. Dann ist er bei der
       Musikprüfung an der Hochschule durchgefallen. Seit ihn Herbert Grönemeyer
       vor vier Jahren entdeckte, lebt er von der Musik. Von den Künstlern, die
       der Superstar für sein Label Grönland unter Vertrag genommen hat, ist
       Poisel der bei Weitem erfolgreichste.
       
       ## Sehnsucht Einfachheit
       
       Denn Poisel sieht nicht nur aus, als würde er in einer Boygroup singen, er
       erreicht, wenn auch mit musikalisch völlig anderen Mitteln, ein ähnliches
       Publikum. Da mag die FAZ anlässlich seines letzten Albums den
       "Nuschelgesang" und die "Wolf-Wondratschek-Dichtung" bemängeln, junge
       Mädchen lieben Poisel für sein weiches Gesicht, seine einfühlsame Stimme
       und die gefühligen Texte, in denen viel lieb gehabt wird, mal euphorisch,
       oft traurig.
       
       Poisel weckt Beschützerinstinkte bei seinen Fans, und wenn man sich
       unterhält mit ihm, fallen immer mal wieder Formulierungen wie "sich
       finden". In seinen Texten, sagt er, "geht es immer nur um mich - was
       anderes könnte ich gar nicht". Menschen bevölkern die Texte, die einfach am
       Ufer herumsitzen, Kekse essen, in die Gegend gucken.
       
       Seinen Erfolg erklärt sich Poisel mit einer Sehnsucht nach Einfachheit, die
       immer virulenter wird angesichts eines Overkills an Castingshows und
       Scripted Reality. Er erzählt, dass er eigentlich nur Musik macht, aber
       selbst kaum noch welche hört. Zu Hause in Stuttgart fahre er am liebsten
       Fahrrad. Poisel wirkt schon provozierend entspannt, wenn er vor einem
       sitzt. Wie einer, der gerne erbauliche Lieder schreibt, in denen sich
       andere wiederentdecken können.
       
       Lieder, wie sie die alte Garde schon gemacht hat? "Ich sehe durchaus die
       Parallelen", gibt Poisel zu, benennt aber auch einen Unterschied: "Ich
       vertrete bestimmte politische Ansichten, aber darüber hätte ich noch kein
       Lied schreiben wollen. Ich will mich nicht so wichtig nehmen." Tatsächlich
       ist der Umgang mit der Politik die augenfälligste Diskrepanz zwischen den
       Alten und den jungen Hüpfern.
       
       Wo früher das DKP- oder wenigstens SPD-Parteibuch Mindestvoraussetzung war,
       halten es Poisel und seine Kollegen wie ihre Altersgenossen, die sich
       punktuell engagieren und dieses Engagement über soziale Netzwerke
       individuell organisieren.
       
       Symptomatisch die Berliner Songwriterin Maike Rosa Vogel, die radikal
       autobiografische Texte schreibt, gerade weil ihr das Private der wichtigste
       Raum der Politik ist. Sind Songwriter die neuen Liedermacher, so, wie
       Kabarett heute nur noch Comedy heißt? Kabarett musste politisch sein, die
       Comedy scheut sich allzu oft und oft auch ausdrücklich davor.
       
       Konstantin Wecker kann nicht verstehen, dass junge Musiker "auf Facebook
       posten, wie oft sie onaniert haben", aber es zur Privatsache erklären, ob
       sie wählen. "Diese Generation wurde durch zwanzig Jahre Neoliberalismus
       gehirngewaschen. Davon müssen die sich erst mal befreien. Die haben es viel
       schwieriger als wir." Poisel spielt bei Konzerten ganz ohne politische
       Absichten als Zugabe regelmäßig das Lieblingslied seiner Mutter. Es heißt
       "Heute hier, morgen dort".
       
       In der Oranienburger Hotellobby starrt der Komponist dieses Songs weiter
       stoisch in sein Buch. Die Unterhaltung, die wenige Meter entfernt
       stattfindet, interessiert Hannes Wader anscheinend nicht. Kollege Wecker
       gesteht derweil, die Namen des Nachwuchses kenne er nur, "wenn mir jemand
       etwas empfiehlt".
       
       ## Natürlich Dylan gehört
       
       Daher wird er auch nicht den Berliner Max Prosa kennen, dessen eigentlich
       für August vorgesehenes Debütalbum um einige Monate verschoben worden ist.
       Prosa orientiert sich nur an den Allergrößten: Dylan, Cohen, Waits.
       
       An solchen Vorbildern muss der 21-Jährige scheitern. Aber wie er scheitert,
       das ist durchaus charmant. Geschickt wiederbelebte Prosa, nicht nur in
       einem Song wie "Abgründe der Stadt", das klassische Bild vom
       herumstromernden Hobo: "Nimm mich mit irgendwohin". Und wenn sich Prosa
       aufmacht auf die "Straße nach Peru", dann sind nur akustische Gitarre und
       Mundharmonika mit dabei auf der Reise.
       
       "Liedermacher, das ist so altbacken", stöhnt er. Dann weist er darauf hin,
       dass sich hinter Max Prosa eine ganze Band versteckt. Im Zentrum stehen
       aber die Lieder von Prosa, der sich zwar lieber Singer-Songwriter nennt,
       aber sich auch als Teil eines Trends zu mehr Innerlichkeit begreift: "Das
       macht vielleicht diese neue Generation aus: Dass die Leute sich von ihnen
       berühren lassen wollen. Ich habe natürlich viel Dylan gehört, das ist mein
       Versuch, so etwas ins Deutsche zu übertragen."
       
       Mit seinen Locken, einem kecken Mützchen und Halstuch erinnert Prosa schon
       äußerlich an Dylan in jüngeren Jahren. Und wie dieser leistet er sich in
       seinen Songs gern einen romantisch verklärten Existenzialismus, dank dem
       sich "mein Grund" auf "Dein roter Mund" reimt.
       
       Angesichts der englischsprachigen Vorbilder hat Prosa nie groß in der
       heimischen Popgeschichte gekramt, selbst die Hamburger Schule war ihm immer
       "zu selbstmitleidig und ironisch". Es gehe ihm eher "um Texte, in denen
       sich die Leute wiederfinden können" und um "eine Nacktheit in der Sprache".
       Deshalb verehrt er Rio Reiser und erinnert sich dann daran, dass seine
       Mutter die einschlägigen deutschen Barden gehört hat. "Von Wecker hat mich
       schon einiges gekriegt", erzählt er, "aber Wader, das war nie meine Welt."
       
       Der Regen hat inzwischen aufgehört und Konstantin Wecker und Hannes Wader
       müssen doch noch auf die Bühne. Wader klappt sein Buch zu, Wecker lässt
       sein halb ausgetrunkenes Pils stehen. "Das hätte ich nicht trinken sollen",
       lacht er. "Ja, das haut jetzt rein", sagt Wader bierernst. Es wird ein
       tolles Konzert.
       
       ## Live: "Die neuen DeutschPoeten" am 3. 9. im IFA Sommergarten in Berlin
       mit Philipp Poisel, Max Prosa u. a.
       
       18 Aug 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Winkler
 (DIR) Thomas Winkler
       
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