# taz.de -- Hungerstreik in Indien: Der Triumph des Anna Hazare
       
       > Der gegen Korruption kämpfende Sozialaktivist Anna Hazare hat das
       > Gefängnis verlassen und lässt sich in Delhi feiern. Im ganzen Land gibt
       > es Kundgebungen.
       
 (IMG) Bild: Jubelnd empfängt die Menge in Delhi den Aktivisten Anna Hazare.
       
       DELHI taz | Da sitzt Anna Hazare: zurückgelehnt auf die Handflächen
       gestützt, die eine Ferse nach vorn zum Publikum gestreckt, die andere
       unterm Gesäß angewinkelt. Leicht bewegt sich sein Haupt im Takt der Musik.
       Sein Blick geht gen Himmel. So sieht ein entspannter Mensch aus. Dabei
       starrt gerade ganz Indien auf ihn. Alle Nachrichtensender des Landes zeigen
       am Freitag fast ununterbrochen Bilder, wie Hazare einfach dasitzt - auf
       einer alten Bühne auf dem Festplatz vor Delhis berühmtem Roten Fort.
       
       Er sitzt dort allein vor einem großen Foto von Mahatma Gandhi. Vor ihm,
       eine Bühnenstufe tiefer, sind Musiker und Redner aktiv. Noch weiter unten,
       in Schlamm und Pfützen des Platzes, steht das Volk der Hauptstadt, trägt
       indische Fahnen und weiße Kopfbänder mit der Aufschrift: "Ich bin Anna."
       Gerade sagt ein Redner: "Bis heute hat in der langen indischen Geschichte
       niemand gesagt: Ich bin Anna. Aber unsere Generation ist anders. Wir sagen:
       Ich bin Anna."
       
       Das Volk jubelt, schwenkt die Fahnen, tanzt und klatscht. Die Menschen sind
       völlig durchnässt vom Monsun. Doch das merken sie gar nicht, so gut ist
       ihre Stimmung. Fast alle Redner auf der Bühne singen auch. Dann stimmen die
       Musiker ein, und Tausende singen mit. Bollywood könnte es nicht besser. Sie
       singen das alte Lieblingslied Mahatma Gandhis, das jeder Inder fast kennt.
       Eine alte Volksweise: "An den Lippen das Wasser des Ganges, in den Händen
       unsere Fahne!" Über allem, ganz oben, sitzt Hazare. Er hat die
       ausgestreckte Ferse wieder zurückgezogen und klatscht jetzt mit.
       
       ## Plötzlich ein neuer Gandhi
       
       Der alte Mann mit dem weißen Schiffchen auf dem Kopf und den weißen
       Baumwollkleidern ist offensichtlich ein Phänomen. Der frühere
       taz-Korrespondent Bernhard Imhasly schrieb mal ein wunderbares Indienbuch
       namens "Abschied von Gandhi". Der Abschied schien endgültig. Doch jetzt
       sitzt da plötzlich ein neuer Gandhi, nennt sich Anna ("Großer Bruder"), und
       es scheint, als läge ihm das ganze Land zu Füßen. Denn auch in anderen
       Städten finden Proteste statt.
       
       Hazare fastet gerade. Das ist die von Gandhi erprobte Form des Protests. Er
       fastet schon seit vier Tagen und protestiert so gegen ein zahnloses
       Antikorruptionsgesetz, das die Regierung vor ein paar Wochen im Parlament
       einbrachte. "Verabschiedet das Antikorruptionsgesetz!" steht als Slogan auf
       Hazares Bühne. Er meint ein viel strengeres Gesetz, als die Regierung es
       will. Mit dieser Forderung hat er Erfolg. Am Dienstag, als Hazare ohne
       polizeiliche Erlaubnis seinen Hungerstreik beginnen wollte, nahm ihn die
       Polizei fest. Zwar durfte er schon wenige Stunden später das Gefängnis
       wieder verlassen, doch er weigerte sich zunächst und stellte selbst
       Bedingungen.
       
       Mit seiner Festnahme hatte die Protestbewegung Fahrt aufgenommen. So viele
       Fernsehkameras, wie jetzt auf dem Festplatz Hazare filmen, waren in Indien
       noch nie versammelt. Es sind die Kameras der neuen Sender, die erst in den
       letzten Jahren der liberalen Reformen zum Zuge kamen. Die neuen Stationen
       bedienen die neue Mittelklasse. "Es ist das erste Mal, dass diese
       Mittelklasse so auf die Straße geht", sagt Praveen Donthi, Sozialreporter
       des Magazins Caravan, der auch auf den Festplatz gekommen ist. Ist Anna wie
       Gandhi? "Nein", sagt Donthi, "die Hälfte Indiens, die hungert, ist hier
       nicht vertreten. Der echte Gandhi aber vertrat gerade sie." Das sehen die
       Demonstranten an diesem Tag ganz anders.
       
       19 Aug 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Georg Blume
       
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