# taz.de -- Erzbischof Woelki über die Lage der Kirche: "Wir leben nicht authentisch genug"
       
       > Ein Gespräch mit Berlins neuem Erzbischof Rainer Maria Woelki über Opus
       > Dei, das Zölibat, seinen Umzug in den Wedding und den 1. FC Köln.
       
 (IMG) Bild: "Ich mag das Wort Krise nicht": Rainer Maria Woelki wird neuer Erzbischof in Berlin.
       
       taz: Herr Woelki, wissen Sie schon, wohin Sie nach Berlin ziehen? 
       
       Rainer Maria Woelki: Voraussichtlich in den Wedding, dort sollen nicht nur
       die Wohn-, sondern auch meine Diensträume sein.
       
       Dann ist es zu den sozialen Brennpunkten nicht weit. 
       
       Zumindest ist es mitten unter den Menschen. Außerdem ziemlich nahe der
       früheren Mauer. Das ist ein ganz guter Wohnort für einen Bischof, der
       verbinden und Einheit stiften soll.
       
       Hat man als Bischof noch mit normalen Menschen Kontakt? 
       
       Mein bester Freund ist verheiratet und hat zwei Kinder.
       
       Haben Sie Berührung mit Menschen, die in irgendeiner Weise nicht das Leben
       leben, das sich die Kirche vorstellt? 
       
       Ich habe Cousinen und Cousins, die von Arbeitslosigkeit betroffen, deren
       Ehen geschieden sind, die wieder geheiratet haben …
       
       Und dann nicht zur Eucharistie dürfen? 
       
       Die dürfen dann nicht zur Eucharistie, obwohl ich gar nicht weiß, ob sie
       regelmäßig in die Kirche gehen. Ich habe keine Berührungsängste. Ich komme
       als Bischof, egal wohin.
       
       Ihr Vorgänger Kardinal Sterzinsky hat sich viel für die Armen und Schwachen
       eingesetzt. Wollen Sie das auch tun? 
       
       Ich glaube, eine Kirche, die die Caritas, die Hilfe für die Notleidenden,
       aus dem Blick verliert, ist nicht mehr die Kirche Jesu Christi.
       Gleichgültig, ob das nun Migranten, Flüchtlinge oder Arbeitslose sind.
       
       Dann sind Sie ja im Wedding am rechten Ort. 
       
       Ja, etwa 300 Meter von meiner neuen Wohnung entfernt ist eine Armenküche
       der Caritas, das ist für einen Bischof ein guter Platz. Schließlich war der
       Bischof im Mittelalter auch immer der Pater pauperum, der Vater der Armen.
       
       Werden Sie dort auch einmal speisen? 
       
       Natürlich. Ich muss ja mittags auch mal was essen. Vielleicht haben die da
       eine Suppe übrig. (lacht) 
       
       Sie sind vor kurzem nach Berlin gezogen. Das Wenige, was man über Sie weiß,
       ist, dass Sie in Rom an einer Universität des Opus Dei studiert haben,
       einer katholischen Vereinigung, die sehr konservativ ist, um es vorsichtig
       zu sagen. Warum haben Sie gerade dort studiert? 
       
       Das ging über persönliche Kontakte, die ich über damalige
       Priesteramtskandidaten aus Köln dorthin hatte. Außerdem interessierten die
       sich für mein geplantes Dissertationsthema, die Pfarrei. Das hat sich
       einfach so ergeben.
       
       Aber man hat doch seinen Stempel weg, wenn man an solch einer Universität
       studiert. 
       
       Darüber habe ich nicht viel nachgedacht. Und wenn ich jetzt bei einer
       Universität der Benediktiner oder an der Gregoriana der Jesuiten studiert
       hätte - hätte ich dann einen benediktinischen oder jesuitischen Stempel?
       
       Das Opus Dei hat dennoch einen ganz eigenen Klang. 
       
       Das Opus Dei ist eine Gruppierung in der Kirche. Wir haben in Köln ein
       unverkrampftes Verhältnis zu dieser Organisation.
       
       Gleichzeitig ist es natürlich eine besondere Vereinigung, nicht zuletzt,
       weil das Opus Dei in der Regel eine Geheimnistuerei veranstaltet, wer nun
       eigentlich dazugehört. 
       
       Ich kann das nicht entkräften, bin aber kein Mitglied des Opus Dei.
       
       Sie tragen keinen Bußgürtel des Opus Dei? 
       
       Nein, und das (greift sich an den Bauch) ist ein anderer Gürtel. Ich habe
       andere Leidenswerkzeuge, etwa den 1. FC Köln.
       
       Aber das Opus Dei steht schon für den streng papsttreuen und konservativen
       Flügel der Kirche. Und wenn Sie dort studieren, ist das schon eine Aussage. 
       
       Dass Opus Dei den Papst unterstützt, das haben die Jesuiten auch getan. Die
       Jesuiten haben ja auch ein viertes Gelübde, eben einen speziellen
       Gehorsamseid auf den Papst. Ich habe aber weder den "Weg" des
       Opus-Dei-Gründers Josemaria Escriva gelesen, noch ist das meine Form der
       Spiritualität.
       
       Aber Sie haben schon eine Predigt über Escriva gehalten, und das in der
       Kölner Opus-Dei-Kirche St. Pantaleon. 
       
       Das haben auch andere getan, auch viele Bischöfe. Und Escriva ist
       heiliggesprochen worden.
       
       Die Kirche befindet sich derzeit in der Krise. Nur noch ein kleiner
       Prozentsatz der Katholiken identifiziert sich mit dem, was Rom predigt. Wie
       wollen Sie dazu beitragen, dass es wieder mehr werden? 
       
       Es ist ja nicht alles verkehrt, was Rom predigt oder sagt. Es geht dem
       Papst nicht darum, Menschen klein zu machen oder als Moralapostel mit
       erhobenem Zeigefinger aufzutreten.
       
       Aber das tut er doch. 
       
       Bei den Weltjugendtagen, ob in Köln oder Sydney oder jetzt in Madrid, trat
       er nicht auf und hat gesagt, ihr dürft das oder das nicht, etwa die Pille
       nehmen. Ich glaube, er hat einen nüchternen Blick dafür, was draußen los
       ist.
       
       Die Dogmen der Kirche schrecken viele Menschen ab. 
       
       Da muss man unterscheiden. Das Pillenverbot ist ja kein Dogma. Ich bin
       dagegen, eine Kirchenkrise einfach herbeizureden. Die Kirche hat es
       gegenwärtig jedenfalls schwer.
       
       Aber bei 180.000 Kirchenaustritten allein im vergangenen Jahr ist das doch
       eine Krise. Wie soll man das anders bezeichnen? 
       
       Ich mag das Wort Krise nicht, allenfalls von dessen Wurzel her: "crisis",
       also Entscheidung - darin ruft diese Krise hinein, eine Entscheidung für
       Christus. Das Schlimme ist, dass wir manchmal nicht authentisch genug
       leben, so dass sich manche gegen die Kirche entscheiden. Da wirken wir
       abstoßend. Wir müssen uns dazu bekennen, wo wir schuldig werden.
       
       Wegen dieser Krise wurde in Deutschland der Dialogprozess der Bischöfe mit
       den Laien initiiert. Dabei hat das Zentralkomitee der deutschen Katholiken
       (ZdK) gefordert, man müsse hier auch über das Zölibat reden. Finden Sie das
       auch? 
       
       Es kommen ja dazu oder dagegen seit Jahren keine neuen Argumente. Diese
       Lebensform hat Jesus gelebt. Es ist angemessen und gut, wenn Priester diese
       Lebensform praktizieren.
       
       Paulus aber hat gesagt, der Bischof sollte verheiratet sein. 
       
       Das steht in seinen Briefen, aber neuere wissenschaftliche Arbeiten zeigen,
       dass es schon in sehr früher Zeit Bischöfe gab, die zwar verheiratet waren,
       aber mit dem Tag der Priesterweihe enthaltsam lebten.
       
       Das Zdk fordert auch, darüber nachzudenken, ob nicht Frauen Diakoninnen
       werden können. 
       
       Was wir in der frühen Kirche als Diakonissinnen hatten, war etwas anderes
       als das, was wir heute unter dem Diakonat verstehen. In dieser Frage fühlt
       sich die Kirche an den Stifterwillen Jesu gebunden, deshalb sollen diese
       Ämter nur Männern vorbehalten sein.
       
       Bei Ihrer Verabschiedung aus Köln hat Ihr bisheriger Vorgesetzter, Kardinal
       Meisner, vor einer fortschreitenden "Babylonisierung" der Gesellschaft
       gewarnt. Sehen Sie auch eine Babylonisierung? 
       
       Wofür steht Babylon? Für Gottlosigkeit? Das sehe ich nicht. Aber es gibt
       keine Gesellschaft ohne Gott. Denn er ist da, selbst wo es nur einen gibt,
       der an ihn glaubt. Eine babylonische Sprachverwirrung allerdings haben wir,
       wenn wir beobachten, wie wir oft nicht miteinander, sondern aneinander
       vorbeireden.
       
       Babylon steht auch für Sittenverfall. 
       
       Dass Sitten verfallen, das bekommen wir ja mit. Zum Beispiel wenn ich sehe,
       wie wir mit Geld umgehen, und nicht nur an der Börse. Oder wenn manche zwei
       oder drei Jobs brauchen, um über die Runden zu kommen. Da muss man ja nicht
       nur auf die Sexualmoral schauen.
       
       Sie haben nach Ihrer Ernennung zum Erzbischof das Gesprächsangebot des
       Lesben- und Schwulenverbandes in Berlin angenommen. Diese Vereinigung ist
       jedoch zugleich eine der Organisationen, die die große Demonstration gegen
       den anstehenden Papstbesuch in Berlin veranstaltet. Haben Sie ein Problem
       damit? 
       
       Nein, wir leben in einer offenen, freien Gesellschaft, das
       Demonstrationsrecht gehört zu unserem demokratischen Staat. Das finde ich
       völlig in Ordnung, dass der Verband dort demonstriert. Ich hoffe nur, dass
       es in einer fairen, guten Weise geschieht, ohne Krawall. Dass man sich
       nachher auch offen und fair begegnen kann, ohne Verletzungen.
       
       21 Aug 2011
       
       ## AUTOREN
       
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