# taz.de -- Montagsinterview Mit Tacheles-Künstler: "Das Tacheles ist eine Utopie"
       
       > 330.000 Euro wurden ihm geboten, damit er seine Metallwerkstatt im
       > Tacheles verlässt. Doch Hüseyin Arda will um keinen Preis aufgeben.
       
 (IMG) Bild: Hüseyin Arda in seiner Metallwerkstatt im Tacheles
       
       taz: Herr Arda, ganz schön trostlos hier auf dem Hinterhof.
       Patrouillierende Sicherheitsmänner, eine Mauer versperrt die Toreinfahrt,
       von Baggern plattgewalzte Steppe, wo früher Künstlerhütten standen … 
       
       Hüseyin Arda: Toll, nicht?! Das Kapital zeigt seine Zähne! Man versucht,
       uns zu bedrohen und zu drangsalieren. Nachdem man auf dem Rechtsweg nicht
       gegen uns angekommen ist, wird jetzt mit halblegalen Aktionen versucht, das
       Tacheles zu eliminieren und die Leute zu vertreiben. Sie haben uns Wasser
       und Strom abgestellt, jeden Tag gibt es Ärger mit den Securities.
       
       Und die letzten Buden, inklusive Ihrer Metallwerkstatt, wurden von der
       Sicherheitsfirma mit einem Zaun umstellt. 
       
       Den Zaun finde ich gar nicht mal schlecht. Er ist ja auch ein Eingeständnis
       unserer Gegner: Bis hierhin erstreckt sich ihr Eigentum, dahinter haben sie
       nichts zu suchen.
       
       Seit April haben sich mehrere Nutzer aus dem Haus kaufen lassen, allein die
       Gastronomie-Leute um das Café Zapata haben eine Million Euro erhalten. Wie
       viel hat man Ihnen geboten? 
       
       Zuerst 100.000 Euro, am Ende warens 330.000 Euro. Für mich war das von
       Anfang an ein unmoralisches Angebot. Ich hab dem Anwalt und seinen
       Bodyguards gesagt, sie sollen verschwinden.
       
       Mal ehrlich: Haben Sie nie geschwankt, das viele Geld abzulehnen? 
       
       Wenn ich im rein privaten Interesse hier wäre, müsste ich dumm sein, das
       Geld nicht anzunehmen. Wir stehen hier aber für ein öffentliches Interesse,
       weil wir einen künstlerischen Freiraum erhalten wollen. Ein
       Gesamtkunstwerk, das so sonst nirgendwo auf der Welt existiert und dessen
       Atmosphäre man nicht einfach wieder herstellen könnte. Ich werde für kein
       Geld der Welt gehen! Ich machs nicht. Wenn ich die Werkstatt hier verkaufen
       würde, empfände ich das als korrupt. Ich würde mich schämen.
       
       Andere Ihrer Kollegen haben das Geld genommen. 
       
       Im Grunde hätten sie es nicht gedurft. Denn das Tacheles ist ein
       öffentlicher Ort, der allen gehört, nicht Einzelnen. Aber die Kanzlei hat
       die Leute einzeln angesprochen und gegeneinander ausgespielt. Sie wurden
       erpresst und in ihrer Not ausgenutzt. Man darf ja nicht vergessen: Nicht
       alle, aber der überwiegende Teil der Künstler hier ist ziemlich arm. Ich
       will die Leute nicht verurteilen. Und ich weiß, dass keiner, der gegangen
       ist, wirklich glücklich geworden ist mit seiner Entscheidung. Es ist, meine
       Meinung, einfach illegal und menschenverachtend, wie mit ihnen umgegangen
       wurde.
       
       Wer steckt hinter den Geldzahlungen? 
       
       Darüber kann ich nur spekulieren. Der Anwalt hat nie gesagt, wen er hier
       eigentlich vertritt. Aber egal, ob die HSH Nordbank oder irgendein Investor
       - es ist jemand, dem Kunst und diese Stadt scheißegal sind. Denen gehts nur
       um neoliberale Profite, die wollen eine seelenlose Stadt. Sie haben null
       Respekt vor der Arbeit des Tacheles.
       
       Warum sind Sie standhafter als Ihre Kollegen? 
       
       Was wäre eine Gesellschaft ohne Idealisten? (lacht) Man muss Utopien auch
       leben, dafür kämpfen. Es gibt halt keinen, der das für einen macht.
       Vielleicht sinds auch emotionale Gründe. Ich liebe das Tacheles. Einfach
       ein wunderschöner Ort, immer wieder faszinierend. Und es wäre doch ziemlich
       undankbar, jahrelang hier alles mitzunehmen, einen auf netten Besetzer zu
       machen und dann, wenns ein bisschen eng wird, die Kohle zu nehmen und
       abzuhauen, oder? Ich finde, es sagt viel, dass man sich für so eine Haltung
       verteidigen muss.
       
       Die Politik scheint das Tacheles schon aufgegeben zu haben. Wie lebt es
       sich in einem öffentlich bereits beerdigten Projekt? 
       
       Beerdigt? Das wollen wir erst mal sehen. Das Tacheles ist seit 20 Jahren
       bedroht, sollte schon ein Dutzend Mal geräumt werden. Und ist immer noch
       da. Ich bin immer noch sehr optimistisch.
       
       Trotzdem: Erstmals seit Jahren sind Teile des Tacheles geräumt - fast ohne
       Gegenprotest. Fühlen Sie sich allein gelassen? 
       
       (kurzes Schweigen) Manchmal ist das in der Tat so. Wenn selbst Freunde
       kommen, gute Freunde, und sagen, was machst du denn eigentlich noch hier?
       Such dir doch ein anderes Atelier! Dann denkst du, okay, irgendwie scheinen
       wir falsch zu kommunizieren. Wir müssen den Menschen klarmachen, dass wir
       für sie hier stehen, für eine lebenswerte Stadt. Wenn das nicht gelingt,
       macht der ganze Kampf keinen Sinn.
       
       Warum gehen die Leute nicht fürs Tacheles auf die Straße? 
       
       Wir hatten ja eine Demonstration mit 500 Menschen.
       
       In einer 3,5-Millionen-Einwohner-Stadt. 
       
       Ich weiß auch nicht. Zum einen gibt es ja Bürgerprotest - in der
       Kastanienallee oder beim Wasservolksbegehren. Aber beim Thema Stadtpolitik
       scheinen die Menschen erstaunlich depolitisiert. Ich habe schon das Gefühl,
       dass die Berliner das Tacheles behalten wollen. Wir kriegen ja viel
       positives Feedback. Aber dafür kämpfen? Da herrscht eher die Einstellung:
       Ach, die machen das schon, das wird schon nicht geräumt.
       
       Wie wollen Sie die Bürger auf Ihre Seite ziehen? 
       
       Wir müssen alle mobilisieren: die Öffentlichkeit, Politiker, NGOs. Es muss
       klar werden, dass jeder Einzelne diese Stadt mitzugestalten hat. Ich hoffe
       ja, dass sich demnächst wieder eine sachlichere Debatte übers Tacheles
       entwickelt. Noch läuft da eine riesige Diskreditierungskampagne gegen uns:
       "Das sind nur noch Spinner. Das Tacheles ist nicht mehr das, was es mal
       war." Natürlich nicht! Auch das Tacheles entwickelt sich weiter, ist doch
       schön.
       
       Die Kritik lautet eher: Der Touri-Kommerz steht im Tacheles längst im
       Vordergrund. 
       
       Es ist wirklich interessant, dass die bestbesuchte Ausstellung der Stadt
       stigmatisiert wird, weil die Menschen, die hierherkommen, Touristen sind,
       mit denen man offenbar nichts zu tun haben will. Eine tolle,
       kosmopolitische Stadt ist das! Und womit wird denn hier Kommerz gemacht? Es
       gibt keinen Eintritt. Und die paar Schmuckverkäufer und Barleute? Das
       gehört doch zu alternativer Kultur dazu! Der hochangesehene Künstler und
       der Penner an einem Ort - ist doch faszinierend.
       
       Haben künstlerisch nicht andere Institutionen längst dem Tacheles den Rang
       abgelaufen? 
       
       Wer denn? Based in Berlin? Kein Hahn kräht danach, sorry. Das ist eine
       künstlich inszenierte Geschichte. So läuft Kunst nicht. Man kann
       Kreativität nicht erzwingen. Aber man kann dafür eine bestmögliche
       Atmosphäre schaffen, so wie hier im Tacheles.
       
       Welcher Künstler, welches Werk aus dem Tacheles hat zuletzt wirklich
       Akzente gesetzt? 
       
       Wenn ein junger Künstler nach Berlin kommt, kommt er zuerst ins Tacheles.
       Im Sommer sind wir hier über 100 Künstler, allein bei uns auf dem Hinterhof
       sind wir 23. Das transportiert sich auch nach außen. Wir haben Projekte und
       Kunstwerke in der Türkei, in Italien, in Frankreich. Jedes Jahr kommen eine
       halbe Million Besucher hierher, Minimum. Ich weiß nicht, welche Ausstellung
       das schafft. Was sollen wir noch mehr machen?
       
       Kommen die Leute wirklich wegen der Kunst oder eher wegen der Atmosphäre? 
       
       Das lässt sich ja nicht voneinander trennen. Ich war vor Kurzem in einer
       Galerie in der Friedrichstraße, drinnen Warhol und was weiß ich. Die
       Menschen trauen sich in so was gar nicht rein! Die gucken kurz durch die
       Tür und sind dann wieder weg. Im Tacheles wird Kunst fürs Volk gemacht.
       Nicht elitär, sondern für alle erfahrbar.
       
       Trotzdem ist das Tacheles in Berlin nicht unumstritten. Würde es heute
       besser dastehen, wenn die Künstler nicht notorisch zerstritten wären? 
       
       Ich fürchte ja. Es ist unser Schwachpunkt, dass wir nicht mehr wie am
       Anfang eine geschlossene Gruppe haben, sondern ein Künstlerkollektiv aus
       Individualisten, die es im Moment nicht schaffen, sich neu zu organisieren.
       Es muss unser Ziel sein, wieder eine gemeinsame Sprache zu finden.
       
       Wie kommt ein Mediziner wie Sie eigentlich zur Kunst? 
       
       Ich war ja nur Medizinstudent, in der Türkei, und wollte 1989 mein Studium
       in Berlin fortsetzen. Aber dann, die Liebe! (lacht) Die Mutter meines
       Sohnes ist Tänzerin. Wir haben in Westberlin gelebt und schon nach wenigen
       Monaten war mir klar, dass ich nicht einfach weiterstudieren will, sondern
       zur Kunst muss. Dafür waren diese Stadt und diese Frau einfach zu
       inspirierend! Wir sind nach Japan, ich habe dort Tanz studiert, Butoh. Dann
       fiel die Mauer und wir sind zurück, um diese Zeit nicht zu verpassen.
       
       Und im Februar 1990 wurde das Tacheles besetzt? 
       
       Bei der Besetzung selbst war ich noch nicht dabei. Aber im Mai wurden wir
       mit unserer Tanzgruppe in den Theatersaal des Tacheles eingeladen. Da haben
       wir gesehen, dass das auch ein wunderschöner Ort zum Proben wäre, und sind
       geblieben. Und als im Café Zapata Interieur benötigt wurde, habe ich
       angefangen mit Metall zu experimentieren.
       
       Warum weiß die Politik das Tacheles nicht zu schätzen? 
       
       Ich glaube, dass sie sich gar nicht richtig mit dem Tacheles und der Idee
       dahinter beschäftigt haben. Die denken, schmeiß die Spinner raus, dann
       machen wir schön unsere institutionalisierten Galerien und unser
       Atelierförderprogramm. Ein Tacheles-Plagiat. Aber das wäre zum Scheitern
       verurteilt. Weil es mit der Freiheit, die unsere Gäste bewundern, nichts
       mehr zu tun hat.
       
       Was wäre Ihr Gegenvorschlag? 
       
       Die Politik darf nicht weiter weggucken und diese Stadt von Investoren
       überrennen lassen. Das Tacheles ist ja kein Einzelfall. Wir sind in einer
       Zeit angekommen, in der sich die Menschen gegen die Übernahme ihrer Stadt
       wehren und organisieren müssen. Wenn wir unsere Stadt nicht wahrnehmen,
       dann werden es die Kapitalisten tun. Es kann doch nicht sein, dass obwohl
       das Tacheles-Grundstück noch nicht verkauft ist, hier alles für ein
       fiktives Spekulationsvorhaben schon mal plattgemacht werden soll. Schon
       1998 sollte hier gebaut werden, 2005 wollten sie fertig sein. Nichts ist
       passiert, außer den Künstlern hat hier niemand investiert. Und weiß man
       denn, wer heute hier was bauen will? Ich habe noch kein Konzept gesehen.
       
       Die HSH Nordbank sagt: Sind die Künstler geräumt, finden sich die
       Kaufinteressenten. 
       
       Pfff. Schöne, neoliberale Träume. Die Menschen aus ihrer Stadt vertreiben,
       Traditionen zerstören. Darum gehts. Was ist, wenn verkauft wird und hier
       wieder zehn Jahre nichts passiert?
       
       Das Gelände ist das letzte unbebaute Filetstück in der Gegend. 
       
       Das war es 1998 auch schon. Inzwischen fordert selbst der Bund der
       Steuerzahler, den damaligen Verkauf rückabzuwickeln.
       
       Bald ist Wahl: Auf wen hoffen Sie bei der Tacheles-Rettung? 
       
       Momentan sehe ich niemanden, der offensiv für uns eintritt. Aber wer die
       Weltoffenheit dieser Stadt preist, sollte auch die Institutionen
       unterstützen, die für diese Weltoffenheit stehen.
       
       Glauben Sie wirklich, dass es noch mal eine große Rettungskampagne fürs
       Tacheles gibt? 
       
       Heute scheint das vielleicht utopisch. Aber das Tacheles ist schon immer
       eine Utopie.
       
       Sie arbeiten seit 21 Jahren auf dem Gelände. Haben Sie eigentlich Angst,
       dass Ihr Lebenswerk scheitert? 
       
       Lebenswerk? Doch, das ist hier ein Lebenswerk. Sehr große Teile meines
       künstlerischen Schaffens wurden hier ermöglicht, ich bin ein Kind des
       Tacheles. Aber ich mache das Haus nicht von meiner Person abhängig. Das
       Tacheles sollte auch ohne mich funktionieren, sonst wäre es kein Freiraum.
       
       Wo würden Sie Kunst machen, wenn es das Tacheles nicht mehr gäbe? 
       
       Als Künstler bin ich nicht an einen Ort gebunden. Du kannst überall Kunst
       machen, und sei dein Atelier nur dein Koffer. Ich pendele ja heute schon
       zwischen Berlin und Istanbul, habe dort ein Atelier und eine Dozentenstelle
       an der Uni. Aber ich würde mir auf jeden Fall wieder ein Atelier in Berlin
       suchen. Ich liebe diese Stadt, ich habe meinen Sohn und meinen
       Lebensmittelpunkt hier. Aber über so was mache ich mir gerade keine
       Gedanken, weil ich mich lieber auf das Jetzt konzentrieren möchte.
       
       Könnte heute nicht ein anderer Ort die Tacheles-Idee viel mehr
       widerspiegeln? 
       
       Unsere Kunst könnten wir natürlich auch überall sonst machen. Darum gehts
       nicht. Es geht nicht um unser kleines, privates Atelier, sondern um den
       Erhalt der Idee von wirklich freier Kunst, an diesem Standort. Mein Sohn
       ist 19 Jahre, ich finde, auch seine Generation hat es verdient, einen
       Freiraum wie diesen zu erleben. Aktuell gibt es eine Anfrage aus Paris, von
       einem Filmproduzenten (Pierre Ange Le Pogam), der im Sechsten
       Arrondissement eine Art Tacheles aufbauen möchte. Sehen Sie, anderswo
       versucht man die Tacheles-Idee zu kopieren, in Berlin versucht man sie
       plattzumachen. Das ist absurd!
       
       22 Aug 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Konrad Litschko
       
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