# taz.de -- Borkenkäfer-Plage: Bürgerkrieg im Böhmerwald
       
       > Tschechische Umweltschützer wollen das Baumabholzen verhindern. Bürger
       > protestieren gegen die Aktivisten. Nun hat sich ein mächtiger
       > Schiedsrichter eingeschaltet.
       
 (IMG) Bild: In diesem Sommer diskutiert nahezu jeder Stammtisch in Tschechien über den Käfer.
       
       MODRAVA taz | Als der Baum fällt, kommt erst das Entsetzen. Dann die Wut.
       "Der hätte mich erschlagen können", ruft der Mann mit Bart und blauem
       Anorak dem Holzfäller zu. Doch der nimmt nicht mal seinen Ohrenschutz ab,
       bevor er beim nächsten Baum ansetzt.
       
       Ein paar hundert Meter weiter haben sich zwei junge Männer um einen Baum
       gekettet. Über die Kette haben sie eine Rolle aus hartem Plastik
       gezogen,womit das Aufschneiden erschwert werden soll. Vor den Absperrungen
       und Warnschildern haben sich Demonstranten versammelt. "Ihr dürft hier
       nicht fällen", rufen sie den Waldarbeitern zu. Immer wieder, obwohl sie
       wahrscheinlich genauso wenig gehört wie erhört werden.
       
       Die Polizei, die einen Kordon zwischen den Demonstranten und den
       Holzfällern bildet, schaut dem Treiben schweigend zu. Das Reden überlässt
       sie den Damen vom Anti-Konflikt-Team in ihren leuchtgelben Westen. Nur wenn
       es einem der Demonstranten gelingt, den Kordon zu durchbrechen und sich,
       wie der bärtige Mann im blauen Anorak, den Waldarbeitern zu nähern,
       schwärmen sie aus in das Dickicht des Waldes, aus dem sie erst wieder
       auftauchen, wenn sie den Ausreißer im festen Polizeigriff haben.
       
       ## Kreischende Sägen gegen den Borkenkäfer
       
       Sommer im Böhmerwald. Das 190 Kilometer lange Mittelgebirge zwischen
       Böhmen, Bayern und Oberösterreich, besungen im "Freischütz" und im
       "Musikantenstadl", nennen die Tschechen "Sumava" - "Die Rauschende". Doch
       es ist nicht das Rauschen der Fichten, das diesen Sommer das Leben im Wald
       bestimmt. Sondern das Kreischen der Sägen.
       
       Tausende von Bäumen hat die Böhmerwald-Verwaltung zur Abholzung
       freigegeben. Anders, so die Begründung, komme man der Plage nicht mehr bei,
       die den Wald wie auch das internationale Ansehen der Tschechischen Republik
       langfristig gefährdet: der Borkenkäfer. Der millimetergroße Käfer hat es in
       diesem Sommer in Tschechien zu besonderer Berühmtheit gebracht. Kein
       Stammtisch, an dem nicht über ihn diskutiert wird, kein Tscheche, der nicht
       weiß, wie man dem Borkenkäfer am besten beikommt: Fällen oder nicht fällen,
       das ist die Frage.
       
       Fällen, sagen laut Umfragen etwa zwei Drittel der Tschechen. Sie machen
       eine verfehlte Ökopolitik für die jetzige Borkenkäferplage verantwortlich.
       Als im Jahre 2007 der Orkan "Kyrill" über den Böhmerwald hinwegfegte,
       beschloss der damalige Umweltminister, der Grüne Martin Bursik, die Bäume,
       die der Orkan geschädigt hatte, einfach im Wald liegen zu lassen. Bursik
       träumte davon, den Böhmerwald zum grünen Dach Mitteleuropas, zu einem
       neuzeitlichen Urwald zu machen. Nur: Die beschädigten Bäume konnten sich
       nicht mehr gegen den Borkenkäfer wehren, unberührt von Baumharz,
       Menschenhand oder Staatsgrenzen.
       
       Denn irgendwann, etwa im Jahre 2008, war der tschechische Borkenkäfer dann
       auch in Österreich angelangt, da, wo der Böhmerwald zum Mühlviertel und der
       Nationalpark zur Waldwirtschaft wird. Und was des einen Ökosystem ist des
       anderen Schädling: Schon vor zwei Jahren hat Österreich Tschechien mit
       Schadensersatzforderungen in Höhe von 1,2 Millionen Euro gedroht, falls die
       Tschechen nicht rasanter gegen den Borkenkäfer vorgehen.
       
       ## Demonstrationen und Infostände gegen das Abholzen
       
       "Nicht fällen", sagt Vratislav Voznik, Sprecher der Naturschützer von
       "Hnuti duha", zu Deutsch "Regenbogenbewegung". Zusammen mit etwa 40
       Aktivisten lebt er schon die vierte Woche im Wald. Mit Demonstrationen,
       Infoständen und Blockaden versuchen sie die Holzfäller aufzuhalten. "Wo es
       Fichten gibt, gibt es den Borkenkäfer. Damit müssen wir uns abfinden," sagt
       der studierte Ökologe Vratislav, der extra aus dem fernen Brünn zum
       Demonstrieren in den Böhmerwald gekommen ist.
       
       Der Borkenkäfer, Untergattung Ips Typographus, vulgo Buchdrucker, gehört
       zum Böhmerwald wie der Luchs, der Wanderfalke und der Fischotter. Kein
       Wunder, denn seitdem hier vor 250 Jahren, lange bevor der Wald 1991 zum
       Nationalpark erhoben wurde, aus wirtschaftlichen Gründen hauptsächlich
       Fichten gepflanzt wurden, findet der Buchdrucker im Böhmerwald so etwas wie
       ein All-you-can-eat-Buffet. Unterkunft inklusive.
       
       Hat sich ein Buchdrucker erst einmal in die Rinde eines Baumes gebohrt und
       seine Buchdruckerin angelockt, dann dauert es nicht mehr lange, bis
       hunderte, wenn nicht tausende kleine Larven ihre Gänge durch die Rinde des
       Baumes fressen. Die Gänge der Larven zerstören die Wasserzufuhr des Baumes.
       Der vertrocknet. Aus den Larven, die in einem Baum leben, werden genug
       Käfer, um weitere zehn Bäume anzugreifen. Was übrig bleibt, sind kahle
       Baumstümpfe, deren fahle, graublau anmutende Farbe fast gruselig wirkt.
       
       ## Die Blockierer blockieren
       
       "Natürlich sieht sich niemand gern solche kaputten Baumstümpfe an", weiß
       Ökologe Vratislav. Aber man müsse die Natur einfach gewähren lassen, die
       helfe sich nämlich selber, erklärt er überzeugt. Die Baumreste, die der
       Borkenkäfer an vielen Stellen des Waldes hinterlassen hat, die toten Hügel,
       die sich über den Hochmooren und Gletscherseen des Mittelgebirges
       erstrecken, seien für den Kreislauf des Ökosystems Böhmerwald
       lebenswichtig. "Wenn der Mensch hier eingreift, hinterlässt er ein Chaos,
       in dem sich die Natur nur noch schwer zurechtfinden wird", sagt Vratislav.
       
       Das Schlachtfeld, das Vratislav und die Aktivisten von Hnuti duha für ihren
       Kampf auserkoren haben, ist ein Waldstück, das eigentlich "Zum Verlorenen"
       heißt. Die Aktivisten haben dem Waldstück inzwischen den ungleich
       PR-tauglicheren Namen "Vogelbach" gegeben.
       
       "Sie nennen es 'Vogelbach' und behaupten, es handele sich hier um eine Art
       Urwald", sagt Antonin Schubert, Bürgermeister des Dörfchens Modrava, zu
       dessen Gemarkung der umkämpfte Wald gehört, und lacht bitter. "Dabei wurden
       die Bäume vor 70 Jahren für den Holzabbau gepflanzt", sagt der gelernte
       Forstwirt. Wie alle in Modrava und Umgebung ist Schubert ein überzeugter
       Gegner der Aktivisten und ihrer Blockade. "Der Borkenkäfer hat sich in den
       letzten Jahren enorm vermehrt", sagt er. So sehr, dass er zu einer Gefahr
       geworden ist. "Wir müssen 5.000 Bäume fällen, um 50.000 vor dem Borkenkäfer
       zu retten."
       
       Mit Ablehnung hatten die Ökoaktivisten nicht gerechnet. Noch vor Beginn der
       Blockade hatte ihnen eine Meinungsumfrage bestätigt, dass 62 Prozent der
       Tschechen mit ihren Forderungen übereinstimmen. Doch kaum in Modrava
       angekommen, stehen sie nicht nur im Wald, sondern auch auf verlorenem
       Posten.
       
       ## Widerstand der Einheimischen
       
       Der Widerstand der Einheimischen äußert sich auf Transparenten, mit denen
       sie ihrem Unmut über die Ökoaktivisten deutlich Ausdruck verleihen. "Hnuti
       duha, hau ab" steht da drauf. Oder: "Wir sind unter Besatzung". Manche
       greifen gar zu härteren Mitteln: Sie schütten Eimer voller Borkenkäfer auf
       die Aktivisten und versuchen ihnen den Weg in den Wald mit Autos und
       Traktoren zu blockieren. "Wir blockieren die Blockierenden", freut sich
       Bürgermeister Schubert. Andere wählen eine ruhigere Form des Widerstands:
       Die Zahnärztin Regina Peliskova ist aus Protest gegen die Protestierenden
       in den Hungerstreik getreten. "Ich hoffe, wenn sie schon so vehement tote
       Bäume verteidigen, werden die auch Gnade mit einem lebenden Menschen
       haben", erklärt Peliskova.
       
       In den Wochen der Waldblockade sind die Emotionen heißgelaufen. Und die
       Spekulationen. Beide Seiten trauen sich gegenseitig nur das Schlimmste zu.
       "Es ist gut möglich, dass rein wirtschaftliche Interessen hinter dem Fällen
       der Bäume stehen", glaubt Vratislav von Hnuti duha. "Aber die gefällten
       Bäume werden auf 4,10 Meter gekürzt, das ist die Länge, wie sie auf einen
       Lastwagen passen." Die Aktivisten seien alle bezahlt, lautet dagegen die
       Überzeugung im Dorf. Sechshundert Kronen, so wird im Dorf gemauschelt,
       sollen sie pro Tag bekommen. 600 Kronen, das sind 24 Euro oder, in
       tschechischen Verhältnissen, zehn Stunden kellnern. Beweise hat weder die
       eine noch die andere Seite.
       
       Inzwischen hat sich jedoch ein mächtiger Schiedsrichter eingeschaltet:
       Mutter Natur hat sich entschieden, die befürchtete Borkenkäferkatastrophe
       nun doch nicht stattfinden zu lassen. Zumindest nicht in diesem Sommer. Der
       Dauerregen hat die natürlichen Feinde des Buchdruckers auf den Plan
       gerufen: Pilze, Parasiten, Viren. Die verhärteten Fronten im Böhmerwald
       wird er kaum aufweichen.
       
       24 Aug 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sascha Mostyn
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Stuttgart 21
       
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