# taz.de -- Langer Krimi-Abend im Ersten: Mehrfach belichtet
       
       > Ein Kriminalfall, drei Filme: Die ARD zeigt das ambitionierte
       > Krimi-Triptychon "Dreileben". Ab 20.15 Uhr am Montag sind die drei Folgen
       > zu sehen, hintereinander.
       
 (IMG) Bild: Viel Wein, viel reden: Um Verbrecherjagd geht es in Dominik Grafs Film nur am Rande.
       
       BERLIN taz | 1973, da durfte ein "Tatort" auch noch Überlänge haben. So wie
       Samuel Fullers Film "Tote Taube in der Beethovenstraße", 102 statt knappe
       90 Minuten lang. So was erscheint heute undenkbar, muss doch die
       sonntägliche Talkshow von Sabine Christiansen respektive Anne Will
       respektive Günther Jauch ausnahmslos und zwangsläufig um Punkt 21.45 Uhr
       beginnen. Die Welt des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Deutschland ist
       eine mit festgefügten Programmschemata.
       
       Aber es geschehen noch Zeichen und Wunder. Am Montag zeigt die ARD drei
       Spielfilme in Erstausstrahlung in Folge, unterbrochen nur von den
       ausnahmsweise auf 23.15 Uhr verschobenen "Tagesthemen". Und die Filme
       gehören auch noch zusammen.
       
       Wer also die ganze Geschichte sehen, braucht Sitzfleisch - muss sich von
       20.15 Uhr bis 1.00 Uhr vor der Mattscheibe einrichten.
       
       "Dreileben" heißt das ganze Projekt, wie der Ort, den es wirklich gibt, nur
       nicht im Thüringer Märchenwald. Wo die Filmhandlungen sich an einigen
       Spätsommertagen zutragen. Viel mehr als diese zeitliche und örtliche
       Koinzidenz scheint die stilistisch sehr unterschiedlichen Filme von drei
       hochrenommierten Regisseuren, alle auch mindestens Co-Autoren der
       Drehbücher, nicht zu verbinden.
       
       Sie laufen parallel zueinander, gelegentlich berühren sie sich.
       Verbindendes Element aller drei Filme: Ein verurteilter Straftäter (Stefan
       Kurt) ist entflohen. Was man ihm vorwirft, erklärt Jo (Jeanette Hain),
       Hauptfigur des zweiten Films, ihrer kleinen Tochter so: "Man könnte sagen,
       vor vielen Jahren nahm er sich das schönste Mädchen der Stadt, und als er
       es wieder hergab, da war es bleich wie Schnee."
       
       Die Reihenfolge der Filme ist keine zwingende, trotzdem strahlt die ARD sie
       in genau der Folge aus, in der sie in diesem Jahr schon in der
       "Forum"-Sektion der Berlinale gezeigt wurden. Es ist bestimmt auch nicht
       falsch, den packendsten, anrührendsten der drei Filme zuerst zu zeigen.
       
       ## "Berliner Schule"
       
       Er stammt von Christian Petzold, quasi dem Nestor jener jüngeren deutschen
       Filmemacher, denen man die Etiketten "Berliner Schule" und "Nouvelle Vague
       Allemande" aufgedrückt hat. Weil sie angeblich so spröde und streng und
       ereignisarm und unzugänglich erzählen, wie es Christoph Hochhäusler, der
       auch dieser Gruppe zugerechnet wird, im dritten Film des Abends dann
       tatsächlich durchexerziert.
       
       Schemenhaft geistert der Entflohene durch die ersten beiden Filme, erst bei
       Hochhäusler geht es dann so richtig um ihn selbst. Darum, wie es ist, der
       menschliche Fuchs in einer Treibjagd zu sein. Ein von den Suchmannschaften
       der Polizei durch den Wald Gehetzter.
       
       Einer, dessen kurzes Glück darin besteht, auf der dunklen Seite des Mondes
       ein paar Waldbeeren zu finden, und der als Gesprächspartner nur sich selbst
       hat. Das ist unterm Strich so einleuchtend wie anstrengend. Der Film heißt
       "Eine Minute Dunkel", dauert knapp neunzig Minuten - gefühlt aber deutlich
       länger.
       
       Wie viel leichter macht es da Christian Petzold. "Bis dass der Tod" strengt
       kein bisschen an. Im Zentrum der Geschichte steht Johannes (Jacob
       Matschenz), der seinen Zivildienst im Krankenhaus ableistet. Seine
       Antriebslosigkeit ist tatsächlich typisch "Berliner Schule".
       
       ## Tödlicher Verlauf
       
       Das Mädchen, das er begehrt, die Blonde, die Tochter des Chefarztes, kann
       er nicht haben, also hält er sich an die Dunkelhaarige, an Ana (wunderbar:
       Luna Mijovic), das Zimmermädchen, das ihn begehrt. Die Konstellation ist
       die aus Vincente Minnellis "Some Came Running". Nicht ganz, denn Johannes
       begehrt Ana ja wirklich, sie ist für ihn nicht bloß zweite Wahl. Denkt er.
       Denkt sie. Bis die Chefarzttochter plötzlich nicht mehr so unerreichbar
       ist. Bis das Schicksal seinen tödlichen Lauf nimmt.
       
       Petzolds Film fährt Liebesszenen auf, die zart und echt und eigen sind.
       Etwa wenn Johannes auf seinem PC - zufällig - den Arthur-Hamilton-Standard
       "Cry Me A River" abspielt, ihm dessen Sentiment peinlich ist, er ihn
       schnell wegdrücken möchte. Ana will das Lied aber hören. Will dazu mit
       Johannes tanzen. Will, dass Johannes ihr den englischen Text während des
       Tanzens übersetzt.
       
       Erst sträubt er sich, dann ergibt er sich, ergibt sich Ana. Der Song wird
       im Film noch einmal zu hören sein, ganz am Ende, dann möchte man Flüsse
       weinen. Die Behauptung, es gehe der "Berliner Schule" um ein Kino fern des
       Melodrams, trifft auf niemanden weniger zu als auf Christian Petzold.
       
       Den Mittelteil des Abends bestreitet Dominik Graf, er überrascht. Er war es
       doch, der das deutsche Krimi-Genre in den vergangenen Jahrzehnten geprägt
       hat. Der den "Fahnder" erfunden und bei zahlreichen "Tatorten" und
       "Polizeirufen" Regie führte - gerade erst Matthias Brandt als neuen
       "Polizeiruf"-Kommissar eingeführt hat. Grafs Liebe gehört dem
       amerikanischen und europäischen Genrefilm.
       
       ## Ein neues Quartier
       
       Und nun nimmt er die ihm mit dem entlaufenen Sträfling gebotene Vorlage
       nicht auf, baut seine Geschichte zwar um die als Polizeipsychologin mit dem
       Fall befasste Jo auf, doch erledigt die ihren Job im Angesicht des
       Verbrechens eher en passant, ist viel mehr mit ihrem Privatleben
       beschäftigt. Sie quartiert sich in einer gerade renovierten
       Gründerzeit-Villa ein, bei ihrer alten Studienfreundin Vera (Susanne Wolff)
       und deren Schriftsteller-Gefährten Bruno (Misel Maticevic).
       
       Beide Frauen waren einmal in denselben Mann verliebt, beide soll er
       verlassen haben mit den Worten, denen der Film seinen Namen verdankt: "Komm
       mir nicht nach." Es wird viel geraucht und Wein getrunken und vor allem:
       geredet. Sehr französisch irgendwie. Man mag solche Filme oder man mag sie
       nicht.
       
       Und wenn man an den Satz denkt, der Godard zugeschrieben wird, ein Film,
       das sei ein Girl und eine Kanone, dann ist Graf mit allen seinen Filmen
       plötzlich viel näher an der "Nouvelle Vague" als die zwei von der "Nouvelle
       Vague Allemande". Denn Girls und Kanonen kommen in Grafs Filmen eigentlich
       immer vor. In diesem überwiegen Girls.
       
       Dreimal Dreileben: Montag, den 29. August 2011, 20.15 Uhr, 21.45 Uhr und
       23.30 auf ARD.
       
       29 Aug 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jens Müller
       
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 (DIR) Drei Regisseure - "Dreileben": Erkundungen zu einem Provinz-Mord
       
       Mit ihrem Projekt "Dreileben" erzählen Dominik Graf, Christoph Hochhäusler
       und Christian Petzold drei Leben in drei Filmen zwischen
       routiniert-unsauberem Kino und Autorenfilm (Forum).