# taz.de -- 50 Jahre TürkInnen in Deutschland: Aufstieg als Auftrag
       
       > Buntes ist besser und lebendiger: Der Rückzug in Parallelgesellschaften
       > nützt weder Einheimischen noch Einwanderern.
       
 (IMG) Bild: Wer ohne sie leben will, geht in die Provinz. Aber spätestens an der Dönerbude sind sie wieder: die Einwanderer oder eines ihrer Kinder.
       
       Das Verblüffende an dem Furor, den der einstige Berliner Finanzsenator
       Thilo Sarrazin voriges Jahr mit seinem Buch "Deutschland schafft sich ab"
       hervorrief, war vor allem die nicht einmal notdürftig ummäntelte
       Unfreundlichkeit, mit der er seine Haltung zu Türken und Arabern
       formulierte. So hatte man sich einen aus den bürgerlichen Kreisen nicht
       vorgestellt. Nicht aus jenen Zirkeln, die doch seit so vielen Jahren über
       Takt und Ton, über Etikette und Manieren reden. Und diese den
       Unterschichten absprechen.
       
       Kaum noch überraschte dann, als man auf Lesungen und in Internetforen die
       Fans von Sarrazin kennenlernte: Überwiegend ekelerfüllt und naserümpfend
       sprachen sie über jene Einwanderer, von denen ihr Held behauptete, mit
       ihnen sei keine gemeinsame Zukunft möglich.
       
       Meine persönliche Erfahrung legt mir nahe, zu sagen: Wer einen wie Sarrazin
       gut findet, hat mit real existierenden Einwanderern, die keine Gastarbeiter
       mehr sind, keinen Kontakt. Lebt ohne sie und nicht mit ihnen. Er und sie
       kennen jene, die sie als Ausländer verstehen, nur aus der Ferne - wenn
       überhaupt.
       
       Ein amerikanischer Freund sagte vor 20 Jahren, als er das erste Mal nach
       Deutschland kam, es sähe hier aus wie in jenem Lebensborn, von dem die
       Nazis träumten: alles blond, alles urdeutsch. Man möchte ihm sagen: Das hat
       sich geändert, das wird sich weiter ändern, das nimmt als Wandlung
       überhaupt kein Ende mehr. Wer unter Hellhäutig-Blonden leben will, muss in
       die Provinz gehen, sonst gibt's das nirgends mehr - und selbst dort,
       spätestens an der Dönerbude, sind sie wieder: die Einwanderer oder eines
       ihrer Kinder.
       
       ## Wer Ödes will, riskiert, abgehängt zu werden
       
       Multikulti, ließe sich sagen, ist eine Frage des Interesses. Buntes ist
       grundsätzlich besser und lebendiger. Dass sich dieses Land gewandelt hat,
       ist keine Frage mehr. Allen, denen das nicht recht ist, muss man sagen:
       Ohne das Durchmischte, Andere, Fremde gibt es für euch keine Zukunft. Wer
       Ödes, Einfarbiges will, riskiert, abgehängt zu werden.
       
       Mag sein, dass viele Deutsche türkischer Herkunft sich in
       Parallelgesellschaften abgeschottet haben. Auch sie haben in diesen keine
       Perspektiven: Wer was werden will in diesem Land, muss das eigene Milieu
       verlassen. Deutschland wird, oberflächlich gesehen, in den nächsten
       Jahrzehnten ausländischer. Gründlicher betrachtet: Was mit knochenharter
       Arbeit auf Werften, in Putzkolonnen, Eisenhütten und Bergwerken begann,
       nimmt sich für die Kinder der Gastarbeiter wie ein stolzer Auftrag aus.
       Den, gesellschaftlich aufzusteigen.
       
       Sie, die Einwanderer, haben den Urdeutschen seit den frühen sechziger
       Jahren das Gros aller Drecksarbeiten abgenommen. Sie werden nun mehr werden
       wollen. In diesem Land. Als Deutsche. Das wird interessant werden, zu
       sehen, wie jene, die die Gehässigkeiten des Thilo Sarrazin gut fanden,
       damit umgehen: dass aus Gastarbeiterkindern höchst Ehrgeizige werden.
       Aufsteiger also. Es sind genau jene, die ein modernes Land brauchen kann.
       Das wird spannend.
       
       2 Sep 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Feddersen
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Deniz Yücel
       
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