# taz.de -- Rassismus in Tschechien: Eine Kleinstadt will Roma loswerden
       
       > Im nordböhmischen Varnsdorf sind Proteste Einheimischer gegen zugezogene
       > Roma an der Tagesordnung. Nur eine erhöhte Polizeipräsenz hat Pogrome
       > bisher verhindert.
       
 (IMG) Bild: Polizisten müssen Anti-Roma-Demonstranten zurückdrängen.
       
       VARNSDOF taz | Kaum haben die Kirchenglocken die fünfte Nachmittagsstunde
       eingeläutet, kommt Bewegung in die Menge. Langsam zieht sie die Hauptstraße
       des nordböhmischen Städtchens Varnsdorf hinunter. Aus den Nebenstraßen
       stoßen weitere Gruppen zum Demonstrationszug: Familien mit Kindern, der
       hilfreiche Mann von nebenan, junge Mädchen, die sich heute extra schick
       gemacht haben.
       
       Man trifft sich, lacht und winkt sich zu. Als in der Masse die ersten Rufe
       laut werden, wird klar, dass es sich hier nicht um ein fröhliches
       Familienwandern handelt. "Zigeuner zur Arbeit!", schreit eine Gruppe
       Jugendlicher und kichert los. Ihr Lachen wird übertönt von einem weiteren
       Ruf. "Zigeuner ins Gas!"
       
       Es brodelt, im "Schluckenauer Zipfel", dem Stückchen Böhmens, das zwischen
       Elbsandsteingebirge und Lausitzer Gebirge nach Sachsen hineinragt. Als
       Anfang August eine Gruppe junger Roma in einer Bar in Nový Bor, unweit von
       Varnsdorf, drei weiße Tschechen mit Macheten überfiel und schwer verletzte,
       war der Siedepunkt erreicht.
       
       Seitdem sind Demonstrationen im "Zipfel" an der Tagesordnung, die nur mit
       Hilfe der Bereitschaftspolizei nicht in Pogrome ausarten. "Wir haben keine
       Probleme mit den Roma, die seit jeher hier leben, es sind die
       Neuankömmlinge, die uns das Leben schwer machen. Vor denen haben wir
       Angst", sagt Karel, ein Automechaniker, der demonstriert, um an die
       Behörden zu appellieren. Die reagieren mit erhöhter Polizeipräsenz im Ort.
       
       Seit über einem Jahr ziehen immer mehr Roma in diesen wohl abgelegensten
       Winkel der Republik. Zu Hunderten sind sie in die Städte des Zipfels
       gekommen: Varnsdorf, Rumburk, Nový Bor. Seitdem ist die Kriminalität dort
       um 20 Prozent gestiegen, Taschendiebstähle um 37 Prozent. "Täglich werden
       hier Leute überfallen", sagt Irena aus Varnsdorf, die mit ihrem Sohn zum
       Demonstrieren gekommen ist. "Wir trauen uns kaum noch auf die Straße",
       schimpft sie.
       
       ## Mit Abfindungen gelockt
       
       Inzwischen ist die Menge vor einem Roma-Wohnheim angekommen. Das
       heruntergekommene Haus wird von Bereitschaftspolizisten geschützt. "Lasst
       uns durch!", schreien die Demonstranten. "Ihr schützt die Schwarzen, aber
       wo seid ihr, wenn wir euch brauchen", tönt es wütend aus der Menge. Jemand
       stimmt die tschechische Nationalhymne an: Kde domov muj - Wo ist meine
       Heimat?
       
       Eine Frage, die sich auch die Roma stellen könnten. Seit Jahren werden sie
       von Immobilienspekulanten herumgereicht. Denn ein Mietshaus, in dem Roma
       leben, ist sein Geld kaum wert. Die Mehrheit der Tschechen lehnt Roma als
       Nachbarn ab. Immobilienfirmen - manche reden gar von einer organisierten
       Immobilienmafia - locken die Roma mit Abfindungen von ein paar tausend Euro
       sowie dem Versprechen, ihre Schulden zu begleichen, aus den Häusern. Zuerst
       aus den Altbauten Prags in die Kreisstädte. Seitdem die Wohnungspreise dort
       auch steigen, in den Schluckenauer Winkel. Dort haben die Immobilienhaie
       ganze Wohnblöcke gekauft, in die sie Roma verfrachten.
       
       Besonders stark besiedelt war der "Schluckenauer Winkel" seit der
       Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg nie. Seitdem die
       traditionelle Textilindustrie vor ein paar Jahren zugemacht hat, gibt es
       hier noch mehr billigen, freien Wohnraum. Wie das ehemalige Hotel Sport in
       Varnsdorf. In dem vergammelten Haus stapeln sich die Menschen. "Früher
       wurden hier geklaute Lkws ausgeladen", flüstert ein Nachbar. "Jetzt machen
       die Besitzer, zwei Brüder, Geld mit den Roma." Eine Wohngeldpauschale von
       13.000 Kronen, 520 Euro, sollen sie pro Kopf direkt vom Sozialamt erhalten.
       Dafür pferchen sie Familien auch in die eigens umgebauten Garagen.
       
       Die Menschenmenge, die an diesem Samstag vor dem "Hotel Sport" wütet,
       zerstreut sich. Für heute. Am kommenden Samstag sind weitere
       Demonstrationen geplant. Die Neonazis von der "Arbeiterpartei für soziale
       Gerechtigkeit" wollen die Unruhen im "Schluckenauer Zipfel" für sich
       instrumentalisieren und haben drei Märsche angemeldet.
       
       5 Sep 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sascha Mostyn
       
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