# taz.de -- 68. Filmfestspiele Venedig: Ein schillerndes Hämatom
       
       > Die Regisseure Amir Nader und Sono Sion verlangen von ihren Schauspielern
       > extremen Körpereinsatz. Ihre beiden Filme "Cut" und "Himizu" spielen in
       > Japan.
       
 (IMG) Bild: Regisseur Sion Shota (M) mit seinen SchauspielerInnen Fumi Nikaidou (l) und Shota Sometani (r).
       
       VENEDIG taz | Über Nacht kommt Wind auf und lässt die Fensterläden
       klappern. Das Meer ist aufgewühlt, die schwüle Hitze der ersten Tage ist
       gebrochen. Das erste Septemberwoche hat eine Ahnung von Herbst an den Lido
       gebracht.
       
       Im Kino reise ich nach Osten und begegne zwei Filmen, die aus Japan kommen.
       Beide verlangen ihren Figuren extremen Körpereinsatz ab. Der eine, "Himizu"
       (übersetzt in etwa: "Maulwurf") von Sono Sion, beruht auf einem Comic von
       Minoru Furuya und läuft im Wettbewerb.
       
       Er beginnt mit einer langen Kamerafahrt durch das von Tsunami und Erdbeben
       verwüstete Gebiet im Nordosten Japans. Grauer, schlammiger Schutt, wohin
       das Auge blickt. Sono Sion drehte, als sich die Katastrophe ereignete, und
       schrieb das Drehbuch um.
       
       Im Mittelpunkt seines Films steht ein Teenager namens Yuichi Sumida (Shota
       Sometani), der in einem kleinen Haus am Ufer eines Sees lebt. Seine Mutter
       kümmert sich nicht um ihn; sein Vater schaut selten vorbei, und wenn, dann
       verprügelt er seinen Sohn ohne Grund.
       
       Um das Haus herum gruppieren sich ein paar Verschläge aus Holz und blauen
       Planen, sie sind die Notunterkünfte für Leute, die durch die Katastrophe
       ihre Häuser verloren haben.
       
       Keiko Chazawa, eine Klassenkameradin (Fumi Nikaidou), heftet sich an
       Yuichis Fersen, sie merkt sich jeden Satz, den Yuichi sagt. Yuichi wehrt
       sie ab, so wie er es von seinem Vater gelernt hat: mit Schreien und
       Schlägen.
       
       ## Blutüberströmt im Schlamm
       
       Bald kommen Geldeintreiber und ein Taschendieb ins Spiel. Aus den
       Fausthieben und Tritten werden Messerstechereien, die Figuren winden sich
       blutüberströmt im Schlamm. Der Exzess scheint der einzige Modus, der dem
       Film zur Verfügung steht. Die Verbindung zur Katastrophe vom 11. März
       bleibt unangenehm spekulativ.
       
       Überzeugender ist "Cut" von Amir Naderi in der Nebenreihe Orizzonti. Naderi
       ist in Iran groß geworden und Ende der 80er Jahre in die USA emigriert.
       Sein in Japan gedrehter Spielfilm "Cut" versteht sich als Verbeugung vor
       dem japanischen Kino.
       
       Protagonist ist Shuji, ein junger Regisseur und Filmclubbetreiber
       (Hidetoshi Nishijima). Auf der Straße wettert er gegen Kommerzfilme und
       Multiplexe und lässt sich für seine militante Cinephilie von der Polizei
       jagen. "Das Kino ist nicht nur Unterhaltung", schreit er durchs Megafon,
       "erinnert euch an die Zeiten, als es Kunst und Unterhaltung war!"
       
       Immer wieder fallen die Namen von Yasujiro Ozu, Kenji Mizoguchi, Akira
       Kurosawa oder Nagisa Oshima, und immer wieder besucht Shuji die Grabstätten
       seiner Meister. Die Kamera verharrt an Ozus Grabplatte, in die das
       japanische Schriftzeichen für "Nichts" eingraviert ist.
       
       In ernste Schwierigkeiten gerät er, als eine Yakuza-Gang von ihm verlangt,
       dass er die Schulden seines toten Bruders abbezahlt. Shuiji entschließt
       sich, sich gegen Geld verprügeln zu lassen - und das setzt "Cut" fortan
       recht drastisch in Szene. Sein Körper ist bald ein schillerndes Hämatom.
       Als die Frist abzulaufen droht, lässt er Wetten abschließen: Schafft er es,
       100 Hiebe einzustecken?
       
       Jeden Hieb assoziiert er mit einem seiner 100 Lieblingsfilme. Kaum trifft
       die Faust in seinen Magen, taucht ein Filmtitel als Schriftinsert im Bild
       auf. Shujis Kanon wird buchstäblich mit Blut geschrieben.
       
       7 Sep 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Cristina Nord
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Science-Fiction
       
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