# taz.de -- Berlin Festival: Armrudern im Flugzeughangar
       
       > Das "Berlin Festival" bietet einem hauptsächlich ausländischen Publikum
       > entspannte Volksfeststimmung. Mit dabei sind Yelle, Santigold und
       > Hercules & Love Affair.
       
 (IMG) Bild: Zwei Tage wach: Besucher des Berlin Festivals.
       
       BERLIN taz | Die Szene gleicht einer choreografierten Fahrzeugparade. Am
       Freitagabend fahren Dutzende "Stadtrundfahrt Berlin"-Doppeldeckerbusse im
       Schritttempo mit eingeschalteten Warnblinkern auf der Rollbahn des
       Flughafens Tempelhof vor. Gechartert, um Besucher des "Berlin Festivals"
       von den Open-Air-Veranstaltungen in Tempelhof in die Hallen und Clubs der
       Arena-Treptow abzutransportieren, wo die ganze Nacht weitergefeiert werden
       kann.
       
       Bei so viel Reiseplanung liegt der Gedanke an das All-inclusive des
       modernen Massentourismus nahe. Die allermeisten der vom Festival mit 15.000
       angegebenen Besucher kommen auch aus dem westlichen Ausland. Viele junge
       Besucherinnen aus Spanien und Italien, ganze Airbus-Ladungen aus England.
       Gefühlt befinden sich Freitag und Samstag aber auch alle bärtigen
       Skandinavier unter 35 auf dem Festivalgelände. Viele mit den
       obligatorischen Stoffbeuteln und mit Fruchtsafttüten uns unbekannten
       Inhalts.
       
       Nicht weiter tragisch, dass Deutschsprechende in der Unterzahl sind.
       Weltstars, die wie bei großen Festivals extra Publikum anziehen, bietet das
       "Berlin Festival" nicht, und die auf Deutsch singenden Bands sind auch
       Mangelware. Einheimische interessiert das "Berlin Festival" daher kaum.
       Vielleicht, weil die provinzielle Inszenierung abschreckend wirkt. Oder
       möchten Berliner Hipster freiwillig durch eine Allee aus Fressbuden,
       Mercedes Benz "Blue Efficiency"-Messestand und
       Autoscooter-Jahrmarktvergnügen, um zu den Konzertbühnen zu gelangen? Mehr
       als die Musik suchen Zigarettenmarken und Menschenrechtsorganisationen nach
       Aufmerksamkeit. "Alle drei Sekunden stirbt ein Kind" gleich neben der
       Raucherlounge.
       
       Gelernt haben die Veranstalter aus dem vorzeitigen Abbruch während des
       letztjährigen Festivals. Das Gelände ist diesmal weiträumiger, Zäune und
       Schleusen zwischen den Bühnen sind verschwunden. Security ist betont
       freundlich und zurückhaltend, und diese Zurückhaltung trägt entscheidend
       zur entspannten Atmosphäre bei.
       
       ## Auffallend viele Musikerinnen
       
       Vielleicht hilft auch die Konzentration auf dance- und
       performanceorientierte Popkünstler. Auffallend viele Musikerinnen stehen
       auf der Bühne. Eine Party im Flugzeughangar ist denn doch
       völkerverbindender als eine Schlammschlacht zu Rockmusik. Die französische
       Sängerin Yelle tritt im erdbeerfarbenen Catsuit auf. Zwei sie begleitende
       Musiker tragen deckungsgleiche karamellfarbene Anzüge. Das betont Unernste
       ihrer Performance trifft sich mit dem schrottigen Dancepunk und
       superramschigen Melodietrauben ihrer Synthies. Die Zuschauer tanzen sofort,
       lassen Luftballons und Seifenblasen steigen. Schuld hat auch das
       Stroboskop, das am Freitagabend bereits vor Einbruch der Dunkelheit in
       Dienst genommen wird.
       
       Ernster nimmt das New Yorker Quartett The Rapture seine Postpunk-Wurzeln
       und zelebriert den von ihrer Plattenfirma DFA patentierten Indiedance mit
       souveränen Gesten. Hier sitzt jeder Ton, doch es fehlen die
       Überraschungsmomente. Gleiches könnte man von Hercules & Love Affair nicht
       behaupten. Denn die House-Künstler um den Produzenten und DJ Andy Butler
       konfrontieren das Publikum sehr direkt mit ihrem stimmlichen Können.
       
       Es ist weniger die Musik selbst - ihr Deephouse verbindet die Ära von
       Frühneunziger-Vocaltracks mit der Raffinesse digitaler Produktion.
       Erstaunlich ist vielmehr, wie massenwirksam sich Hercules & Love Affair
       jenseits ihrer Queerness als Dancefloor-Act verkaufen. Die drei Sängerinnen
       tragen ihre Songs mit totalem körperlichem Einsatz, armrudernd und tanzend,
       vor.
       
       Gewinnerin des ersten Abends ist die afroamerikanische Sängerin Santigold.
       Trotz technischer Schwierigkeiten fegt die 35-Jährige, flankiert von zwei
       Cheerleader-Tänzerinnen und einer Dreimannband, über die Bühne, tanzt
       synchron und setzt mit ihren Post-HipHop-Songs alle Zuschreibungen von
       Black Music außer Kraft.
       
       ## Radikale Harmlosigkeit
       
       Ältere Popmodelle haben es dagegen schwer. Primal Scream scheitern mit dem
       Reenactment ihres 20 Jahre alten Albums "Screamadelica". Ihre Version von
       Rave war schon 1991 mehr an den Rolling Stones als an Acidhouse-Ekstase
       orientiert. Die Wiederaufführung lässt diese anachronistischen Rockismen
       noch platter aussehen. Auch die gehypten New Yorker The Drums schaffen es
       nur über ein, zwei Songs, die radikale Harmlosigkeit ihres Gitarrenpops
       spannend klingen zu lassen.
       
       Dagegen nimmt sich der Sound des englischen Duos Mount Kimbie am Samstag
       fast schon angenehm aus. Ihr an Dubstep angelehnter Klang dramatisiert
       subsonische Bässe, Gitarrenrückkoppelungen und prasselnde Beats zu einem
       ungemütlichen Wummern. Auf der Suche nach Wiedererkennungsmerkmalen
       verlieren sich die Melodien und gehen in der Geräuschkulisse des Festivals
       unter. Die Schlangen an den Fressbuden werden so wieder länger.
       
       11 Sep 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julian Weber
       
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