# taz.de -- Denkprozesse im Hygiene-Museum: Das Display der Seele
       
       > Wer denkt, wenn wir denken? Die Ausstellung "Images of the Mind" im
       > Deutschen Hygiene-Museum Dresden präsentiert Antworten, auf diese ewige
       > Frage.
       
 (IMG) Bild: Ein Blick in die Ausstellung "Images of The Mind".
       
       "Ich denke, also bin ich." Nichts geht philosophischen Sonntagsrednern
       heute so leicht über die Zunge wie der Satz, den René Descartes 1641 in
       seinen "Meditationes de prima philosophia" formulierte. Wie dieser Prozess
       genau vor sich geht, außer dass man dabei die Stirn in Falten zieht oder
       den Kopf in Denkerpose bringt, war vermutlich auch seinem Urheber nicht
       recht klar.
       
       Und je mehr die Wissenschaft ihn zu entschlüsseln beginnt, desto vager wird
       das, was der französische Philosoph damit begründen wollte: die Idee eines
       souveränen Individuums. Wer oder was denkt da eigentlich?
       
       Descartes war Mathematiker. Doch wenn er sich ein Bild davon gemacht hätte,
       wie das Denken aussehen könnte, das er philosophisch zu definieren suchte,
       wäre es vielleicht so ausgefallen wie Rembrandt van Rijns "Selbstbildnis
       mit erstauntem Blick" aus dem Jahr 1630.
       
       Die Verwunderung, die da über das Gesicht des - damals noch jungen - alten
       Meisters huscht, wirkt wie ferngesteuert, so als ob höhere Wesen es ihm
       befahlen.
       
       Ein nicht geringer Anteil der bildenden Kunst, das zeigt die spannende
       Ausstellung "Images of the mind" im [1][Deutschen Hygiene-Museum], in
       Dreden, bezieht ihren Antrieb aus dem Versuch, das Geheimnis des Denkens
       dadurch zu bannen, dass sie seinen Verursacher porträtiert - den Geist.
       
       Die Linie lässt sich von Rembrandts Selbstporträts bis zu Edvard Munchs
       "Angst" von 1896 ziehen, von Bohumil Kubistas "Epileptikerin" von 1911 bis
       zu Bill Violas "Silent Mountain" aus dem Jahr 2001.
       
       ## Dei Seele auf dem Display
       
       In diesem Farbvideo winden sich ein Mann und eine Frau eine knappe Minute
       lang in anscheinend kaum erträglichen Schmerzen. Überall in diesen Werken
       spürt man das Echo der antiken Idee des Dualismus von vergänglichem Körper
       und unsterblicher Seele, dem Letztere nur als Zwischennutzer innewohnt. Das
       Display, auf dem sich die Seele zeigte, war das Gesicht. Auch Descartes
       hing dieser Idee an.
       
       213 Objekte haben die Kuratoren Colleen Schmitz vom Dresdner Hygienemuseum
       und Ladislav Kesner von der Mährischen Galerie Brünn in vier systematischen
       Abteilungen zusammengetragen. Sie belegen, wie nahe sich Kunst und
       Wissenschaft bei den Versuchen immer waren, den unfassbaren Urheber des
       Denkens zu kartieren.
       
       Die sechzehn Gemütszustände vom gleichmütigen über das traurige bis zum
       wütenden Gesicht, die der französische Theoretiker Charles Le Brun 1668 zu
       typisieren suchte, stehen den Schwarzweißfotografien, auf denen die
       Künstlerin Isabell Heimerdinger 2002 den Schauspieler Martin Glade
       unterschiedliche Emotionen und Charaktere nachstellen lässt, in nichts
       nach.
       
       ## Im Fadenkreuz
       
       Von außen ging der Weg der Erkenntnis nach innen: Spätestens seit der
       Renaissance geriet das Gehirn ins Fadenkreuz der Geistessucher. Das kann
       man an ein paar kostbaren Anatomiestudien sehen, auf denen Leonardo da
       Vinci Schädel, Augen und Nerven zeichnerisch sezierte. Diese
       Naturalisierung gipfelte schließlich in den modernen Neurowissenschaften.
       
       Spätestens seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wird das
       "Ich-Sein", das auch die westlichen Demokratien mit begründet, wie
       "Gehirn-Sein" buchstabiert: Das autonome Subjekt ist vor allem ein
       zerebrales.
       
       ## Distanz zur Neuroreligion
       
       Nur die Kunst bewahrt ironische Äquidistanz zur alten Metaphysik wie zur
       neuen Neuroreligion. Radikaler und ironischer als auf der Röntgenaufnahme,
       die Meret Oppenheim 1963 von ihrem Kopf anfertigen ließ, kann man sich die
       Absage an die Idee nicht vorstellen, darin hause ein erhabener Geist.
       
       Auf dem Schwarzweißbild sind als einziges persönlichkeitsbildendes Attribut
       die großen Metall-Ohrringe der Künstlerin zu sehen.
       
       Wie berechtigt die Skepsis gegen allzu viel Rationalismus ist, lässt sich
       an den schönen, bunten Computerscans und Elektroenzephalogrammen von heute
       demonstrieren. Denn auch sie können nur anzeigen, dass sich im Gehirn etwas
       bewegt. Wer diesen Vorgang wie "lenkt", bleibt auch bei diesen
       Vorzeigeobjekten der neuronalen Ästhetik unklar.
       
       Dafür gebären sie ungeahnte ästhetische Effekte. Diese reichen von den
       Zeichnungen, mit denen der spanische Mediziner Santiago Ramón y Cajal 1903
       als Erster die filigrane Feinstruktur des Nervensystems aus Synapsen und
       Neuronen kartierte, bis hin zu dem "Strömungsfeld der Gedanken", das drei
       Wissenschaftler des Leipziger Max-Planck-Instituts für Kognitions- und
       Neurowissenschaften 2006 aus magnetresonanztomografischen Aufnahmen
       gewannen.
       
       ## Rot-weiß-blaue Wellen
       
       Die wunderbar psychedelischen Wellenformen in Rot-Weiß-Blau sagen über den
       Inhalt des Denkprozesses oder das Individuum, das sie hervorbrachte, nichts
       aus. Sie zeigen nur an, wie die Ausbreitung der Gedanken von den
       Gewebearten abhängt. Eines aber wird klar: Denken ist schön! Von Kunst ist
       dieses "Neuroimaging" kaum mehr zu unterscheiden.
       
       Dabei hat sich das Verständnis der geheimnisvollen grauen Masse unendlich
       ausdifferenziert - von einer starren Topologie, in deren Mitte der der
       Mediziner und Esoteriker Robert Fludd 1619 hin den Satz "Hic anima est -
       Hier ist die Seele" schrieb, zu einem hochsensiblen Netzwerk komplizierter
       Interaktionen.
       
       So narzisstisch getroffen reagiert der Betrachter dann doch auf die
       Dresdner Zumutung, sein "Selbst"-Bewusstsein, nur noch als "bewusstlose"
       Rechenleistung eines 1,5 Kilo schweren, gräulichen Gewebeklumpens zu sehen.
       Bin ich denn nur ein evolutionsgesteuerter Bioautomat?
       
       ## Ein freies Gehirn
       
       Das "Self-Portrait", das die britische Künstlerin Helen Chadwick 1991
       schuf, wirkt da wie der Versuch, den Zerebralismus, der die
       Bewusstseinsphilosophie derzeit erschüttert, zu relativieren: Das
       freigelegte Gehirn, das auf dem Lichtdia zu sehen ist, wird von zwei
       menschlichen Händen gehalten.
       
       Ohne seinen Träger, denkt sich das souveräne Individuum unserer Tage beim
       Blick auf Chadwicks Aufnahme erleichtert, ist auch das allmächtige Gehirn
       nichts. Cartesisch gesprochen: Nur mit meinem Körper bin ich.
       
       "[2][Images of the Mind", Deutsches Hygiene_Museum, Dresden. Bis 30.
       Oktober 2011]; Katalog: Hrsg. von Colleen Schmitz und Ladislav Kesner,
       Wallstein-Verlag, 304 S., mit ca. 200 farbigen Abbildungen, 24,90 Euro
       
       14 Sep 2011
       
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