# taz.de -- Parlamentswahlen in Dänemark: Zu klein für ein Staatsballett?
       
       > "Klauende Ausländer". "Geschlossene Grenzen". "Kein Geld" für Behinderte.
       > Am Donnerstag wird in Dänemark gewählt - ein Besuch in der Provinz.
       
 (IMG) Bild: Wahlkampf in Dänemark - in Kopenhagen sieht er anders aus als in der Provinz.
       
       HURUP THY taz | In dem beschaulichen Städtchen Thisted an der Nordwestküste
       Dänemarks läuft der Wahlkampf zum dänischen Parlament auf Hochtouren. In
       der Hauptstadt der Halbinsel Thy - naturschön am Limfjord gelegen - kämpfen
       die neun Parteien, die zur Wahl antreten, in zahlreichen
       Wahlveranstaltungen gegen - und miteinander. Denn in Thy - bekannt durch
       die Badeorte Vorupør, Klitmøller und Agger - gehen die Uhren anders.
       
       Hier haben die Rechtspopulisten der Dänischen Volkspartei einen enormen
       Zuspruch. Bei den letzten Parlamentswahlen bekamen sie 16 Prozent der
       Stimmen. Im ländlichen Raum der Kommune, die 46.000 Einwohner zählt, bekam
       sie in einigen Wahllokalen gar 21,9 Prozent der Stimmen.
       
       In Thisted, ca. 12.000 Einwohner, liegt die Redaktion des Thisted Dagblad.
       Seit 1985 ist Hans Peter Kragh, 60, hier Chefredakteur. Seine Redaktion
       liegt am malerischen Yachthafen von Thisted. Durch die Panoramafenster der
       Redaktion, die eine Aussicht auf auf den Limfjord und die Insel Mors
       gewähren, guckt Hans Peter Kragh nachdenklich kurz nach draußen: "Meiner
       Meinung nach gibt es eine gerade Linie hier in Thy. Die starke Verwurzelung
       der Rechten bei uns stammt noch aus den Zeiten, als die Bevölkerung hier
       isoliert war. Wir haben eine Art Inselmentalität entwickelt." Man habe
       Angst vor allem, was von außen kommt.
       
       "Dazu kommt, dass es hier viele Jobs für Ungelernte in der Industrie gibt,
       die aber nach und nach in Billiglohnländer verschwinden. Das macht den
       Leuten Angst", sagt Hans Peter Kragh, der als Kommentator oft kein gutes
       Haar an den Rechtspopulisten lässt. Die Rechten nennen ihn links und die
       Linken rechts. So mag er es, und grinst.
       
       ## Soziale Unterschicht der Jugend bleibt hier
       
       Bis 1973 war hier in Thy die Sozialdemokratie die bestimmende Kraft. Danach
       kam Glistrup mit seiner Fortschrittspartei, deren Zustimmung dann nahtlos
       auf die Dänische Volkspartei übergesprungen ist. Und die Leute fühlten sich
       angesprochen. Hier bei uns müssen wir sparen und in Kopenhagen verplempern
       die unser Geld für "entartete Kunst" und bekiffte Schriftsteller, war der
       Tenor anfang der 70er Jahre, erklärt Kragh. Dazu passt der legendäre Spruch
       eines ehemaligen Abgeordneten der Fortschrittspartei, der in den späten
       70er Jahren sagte: "Dänemark ist ein zu kleines Sprachgebiet, um ein
       eigenes Staatsballett zu betreiben."
       
       Die jungen Leute, die studieren, kommen nach ihrer Ausbildung in den
       Universitätsstädten Aalborg, Aarhus, Odense, Roskilde oder Kopenhagen nicht
       mehr zurück. Die anderen Jugendlichen bleiben hier, sagt Kragh, und
       beschreibt damit die soziale Unterschicht der Jugend. Und die wählen eben
       rechtsaußen.
       
       Thy besteht neben Thisted aus Dänemarks größtem Fischereihafen in Hanstholm
       und der Kleinststadt Hurup im Süden, die bei 3.000 Einwohnern eine
       Fußgängerzone und sechs Supermärkte hat. Darüber hinaus besteht Thy aus
       einem ländlich geprägten Raum.
       
       Spitzenkandidat der Dänischen Volkspartei in Thy ist Ib Poulsen. Ein
       sympathischer Mittvierziger, der vor vier Jahren den Sprung ins Parlament
       geschafft hat. Seit 10 Jahren sitzt er darüber hinaus im Stadtrat von
       Thisted. Im Folketing ist der gelernte Steuermann verteidigungs- und
       fischereipolitischer Sprecher seiner 23-köpfigen Fraktion im 179-köpfigen
       Folketing.
       
       ## Partei des kleinen Mannes
       
       Stets hat sich die Dänische Volkspartei als Partei des kleinen Mannes
       verkauft. Am letzten Dienstag musste Poulsen bei diesem seinen Mann stehen.
       Nicht bei einer politischen Runde seines Kreisverbandes, sondern vor 70
       geistig Behinderten in einer Behindertenwerkstatt in Thisted. Ein großer
       Wurf ist ihm bei diesem Termin nicht gelungen. Denn die Dänische
       Volkspartei hat sich dermaßen an die Minderheitsregierung von Lars Løcke
       Rasmussen gekettet, dass sie mit der Politik des "roten Blocks" nicht mehr
       mithalten kann.
       
       Zu dem Vorschlag der linken Opposition, die Zigaretten zukünftig 50 Kronen
       kosten zu lassen (ca. 6,70 Euro), sagte er an diesem Abend nur: "Ich würde
       gerne die Grenzen ganz dicht machen. Aber wenn ihr dann trotzdem nach
       Deutschland fahrt, um dort Zigaretten zu kaufen, bringt mir zwei Kästen
       Bier mit." Das brachte ihm einen Lacher ein - aber keine Sympathie.
       
       Schwieriger wurde es für ihn bei der Frage, warum die dänische
       Finanzpolitik es den Behinderten so schwer macht, aus den oft zu kleinen
       Zimmern in den Heimen auszuziehen, in denen sie untergebracht sind. "Warum
       darf ich nicht mit meinem Freund in eine größere Wohnung ziehen?", fragte
       zwischen den Blöcken eine junge Frau mit Down Syndrom.
       
       "Es ist schwer, in unserer wirtschaftlichen Lage Geld für alles zu finden.
       Aber wenn ihr ein konkretes Problem habt, wendet euch an mich", sagte Ib
       Poulsen, der auch Mitglied des Haushaltsausschusses der Kommune ist. Als
       die Werkstättenleiterin ihn und die anderen Politiker darauf aufmerksam
       machte, dass die Internationale Handicapkonvention hier mit Füßen getreten
       wird, war es wieder die Makroökonomie, die die Themen beherrschte. "Wir
       haben jetzt zwei Millionen Leute, die Geld vom Staat bekommen", sprang ihm
       sein konservativer Folketingskollege Tage Leegaard zur Seite. "Wir müssen
       das auch bezahlen können", so Tage Leegaard.
       
       Die geistig Behinderten wurden nicht schlauer. Und Ib Poulsen hat nicht
       gepunktet.
       
       In dem kleinen Ort Vang, der mit 400 Einwohnern an den ersten Nationalpark
       Dänemarks, dem Nationalpark Thy, grenzt, haben bei der letzten Kommunalwahl
       21,9 Prozent der Wähler die Dänische Volkspartei gewählt. Sie wurde die
       größte Partei im Dorf.
       
       Der Pastor der Gemeinde der staatlich verankerten evangelisch-lutherischen
       Volkskirche, Flemming Burgdorf, der auch deutschsprachige Gottesdienste im
       Sommer abhält, ist überrascht. "Das ist mir neu. Hier sagt keiner, wen er
       wählt. Politik ist Privatsache. Ich halte mich da raus. Aber irgendwie hat
       hier jeder mit der Zeit irgend etwas verloren." Arbeit, Haus oder seinen
       Hof, lautet seine nüchterne Analyse zur Tendenz nach rechts.
       
       Parlamentsmitglied Ib Poulsen gibt sich im Wahlkampf weiterhin kämpferisch,
       und er spielt seine Partei-Platte ab: "Alle Polen und die anderen
       Osteuropäer, die hier nach Dänemark einreisen, sind noch nicht einmal
       registriert. Die klauen und bezahlen keine Steuern, sondern kommen einfach
       über die Grenze. Deswegen haben wir die Grenzkontrollen verschärft. Das
       darf man doch mal sagen", sagt Ib Poulsen.
       
       ## Mandat gefährdet
       
       Nach letzten Meinungsumfragen liegt die Dänische Volkspartei bei 10 Prozent
       der Stimmen. Ib Poulsens Mandat ist fraglich. Und der zehn Jahre währende
       Einfluss seiner Partei ist fraglich. Denn außer den Politikern des "blauen
       Blocks" will keine andere Partei etwas mit der Dänischen Volkspartei zu tun
       haben. Der frühere Ministerpräsident, Sozialdemokrat Poul Nyrup Rasmussen,
       sagte einst im Parlament an die Cefin der Dänischen Volkspartei, Pia
       Kjærsgaard, gewandt: "Stubenrein werdet ihr nie".
       
       Eine Kennerin der politischen Szene in Dänemark ist Lisbeth Behnke. Einst
       mit Tom Behnke verheiratet, wohnt sie in Hurup in Thy. Ihr Exmann ist jetzt
       Fraktionsvorsitzender der Konservativen im Folketing, zuvor war er bei der
       Fortschrittspartei. Über Pia Kjærsgaard sagt sie: "Pia mag ihre Enkel und
       Kinder. Doch leider hat die Frau keine Nächstenliebe in sich. Eine Frau,
       die als Heimpflegerin ins Parlament kam und so wenig Wärme für ihre
       Mitmenschen entwickelt, ist enttäuschend." In dem Augenblick, in dem sie
       1984 ins Parlament nachrückte (für Glistrup, der wegen Steuerhinterziehung
       für drei Jahre ins Gefängnis musste. Red.), schwand ihre Toleranz. "Da hat
       sie an der Süße der Macht geleckt und die Mitmenschlichkeit vergessen",
       sagt Lisbeth Behnke.
       
       Da fast die ganze Führungsetage der Dänischen Volkspartei aus früheren
       "Fortschrittsleuten" besteht, weiß sie, wovon sie spricht. Jedoch gab der
       Erfolg Pia Kjærsgaard recht. Seit der Abspaltung von der Fortschrittspartei
       1995 hat sie ihre Partei von Sieg zu Sieg geführt. Doch damit dürfte jetzt
       Schluss sein. Denn 90 Prozent der Dänen wählen eine andere Partei. In Thy
       geben sich zurzeit Sturm und Regen die Klinke in die Hand.
       
       Das Komische in Thy ist nur, dass alle Parteien sich hier einig sind. Thy
       braucht eine Autobahn, einen großen Hafen - und Anerkennung.
       
       14 Sep 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Carsten Hougaard
       
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