# taz.de -- Grünen-Politiker Koenigs über Afghanistan: Nilpferde im Schlamm
       
       > Pragmatiker, dem Pomp zuwider ist: Grünen-Politiker Tom Koenigs hat ein
       > Buch über die Zeit als Leiter der zivilen UN-Mission in Afghanistan
       > geschrieben.
       
 (IMG) Bild: Tom Koenigs (Mitte) mit Würdenträger in Afghanistan 2007.
       
       Zwei Jahre stand der Grünen-Politiker Tom Koenigs der zivilen UN-Mission in
       Afghanistan vor. In den Jahren 2006/2007 bereiste er als Sondergesandter an
       der Spitze der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) die
       Provinzen und residierte in Kabul. Der 1944 geborene Koenigs diskutierte
       mit dem afghanischen Präsidenten, traf den König, den obersten Richter
       (natürlich ein Mullah) und die verschiedenen Gouverneure in den
       Verwaltungsdistrikten, viele von ihnen ehemalige Warlords.
       
       Koenigs sah viel, besprach und beriet viele - immer an seiner Seite das von
       den UN gestellte rumänische Sicherheitspersonal, mit dem er
       gezwungenermaßen eng zusammenlebte. Koenigs macht nun den politischen Teil
       seiner privaten Korrespondenz aus jener Zeit öffentlich, seine Briefe und
       Berichte an Freunde, in denen er relativ ungeschönt seine Eindrücke aus
       Afghanistan schildert.
       
       Als erster Repräsentant der zivilen UN-Mission wird er beeinflusst, will
       aber natürlich auch beeinflussen. Letzteres scheint ein größeres Problem.
       Koenigs, der zuvor schon für die Vereinten Nationen in leitender Position
       in Guatemala und im Kosovo tätig war, setzt auch in Afghanistan auf zivile
       und rechtsstaatliche Entwicklungen. Die Mehrzahl seiner afghanischen
       Gesprächspartner glaubt 2006 an eine überwiegend militärische Lösung der
       Taliban-Frage. Wo Koenigs und seine zivilen afghanischen Mitarbeiter im
       Süden des Landes bereits einen flächendeckenden Aufstand erkennen, gehen
       Karsais Leute von einzelnen terroristischen Attacken aus, hinter denen sich
       selbstredend kein prinzipieller Missstand der neuen Ordnung verberge.
       
       Mehr als einmal fragt sich Koenigs im Laufe seiner zweijährigen Mission
       denn auch: "Wo stehe ich heute?" Zum Beispiel im afghanischen
       Außenministerium. Der frühere Frankfurter Sponti, Weggefährte Joschka
       Fischers und Daniel Cohn-Bendits ist dort zu Gast, sieht verwundert
       "überall salutierende Soldaten, breite Sessel und verhangene Sitzungssäle".
       "Das Chefzimmer noch geschmackloser", so Koenigs weiter, "als alles, was
       ich bisher gesehen habe, aber in einer so vollkommenen und überladenen,
       schweren Weise, dass es zum Chef des Hauses passt."
       
       Der Verteidigungsminister, General Wardark, bewege sich dort "als Einziger
       wie ein Fisch im Wasser oder besser wie das Nilpferd im Schlamm, während
       unsereins von der allgemeinen Gewichtigkeit erschlagen ist".
       
       ## Zweifel gehören dazu
       
       Koenigs war und ist Moralist, ein Praktiker, dem Pomp und elitäres Gehabe
       auch als Chef der UN-Mission in Afghanistan zuwider sind. In jungen Jahren
       alimentierte er linke Bewegungen, ließ sich sein Erbe auszahlen und
       verschenkte es an den Vietcong und den antikolonialen Befreiungskampf. In
       den 90ern war er Stadtkämmerer von Frankfurt am Main. Doch nun als UN-Chef
       in Afghanistan fragt er sich, ob es nicht "Womat" sei, was er hier
       betreibe: Waste of Money and Time.
       
       Doch sollte man die literarisch nun für die Öffentlichkeit als Buch
       zusammengebundenen Zweifel des UN-Gesandten aus Afghanistan nicht
       überbewerten. Zweifel gehören zum Leben dazu, üblicherweise werden sie von
       hochrangigen Diplomaten aber nicht öffentlich kundgetan. Die Offenheit -
       und manch kleine Eitelkeit - steigern den Unterhaltungswert des Buches
       jedenfalls ungemein und machen es zu einer vergnüglichen Lektüre. Koenigs
       ist auch heute als Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte und
       humanitäre Hilfe im Deutschen Bundestag im Geschäft. Dafür hat er sich doch
       einiges an Frechheit und Transparenz bewahrt.
       
       Koenigs verstand vieles in Afghanistan 2006/2007 nicht. Und viele
       verstanden ihn nicht, was diese aber kaum zu kümmern schien. Es wird ohne
       Dolmetscher palavert mit greisen Königen oder türkischen und afghanischen
       Außenministern, die kein Englisch können. Manchmal widmet sich Koenigs so
       notgedrungen einfach dem Essen, das zumeist viel zu fett ist, wie er meint.
       Oder er verstrickt sich mit seiner UN-Mission und den rumänischen
       Leibwächtern in große Politik beim Versuch, einen zum Christentum
       Konvertierten vor der Todesstrafe zu retten. Auf Konvertiten bleibt man
       leicht sitzen, eine Erfahrung, die der erstaunte Koenigs in Afghanistan
       macht und kurzweilig mitzuteilen weiß - um am Schluss das Sinnbild des
       Skaters für ein freies Afghanistan zu beschwören.
       
       ## Tom Koenigs: "Machen wir Frieden oder haben wir Krieg? Auf UN-Mission in
       Afghanistan". Wagenbach Verlag, Berlin 2011. 270 Seiten, 19,90 Euro
       (Buchvorstellung: Mittwochabend 20 Uhr in der Böll-Stiftung Berlin)
       
       21 Sep 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Fanizadeh
       
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