# taz.de -- Eishockey-Roman "Jáchymov": Zermürbt im Erzgebirge
       
       > Warum gibt es keinen großen amerikanischen Eishockeyroman? Vielleicht
       > wird er ja nie geschrieben. Aber in Europa ist gerade einer erschienen.
       
 (IMG) Bild: Coverbild des Buches.
       
       Warum nur gibt es keine großen amerikanischen Eishockeyromane? Mit dieser
       Frage beschäftigte sich die New York Times vor fünf Jahren. Keith Gessen
       stellte in seinem Essay fest, dass man mit Eishockeytexten nichts über die
       USA erzählen könne. Der Sport ist zwar hart, es gibt regelmäßig
       Schlägereien, aber wen interessiere es schon, wenn weiße Mittelstandsbuben
       sich mit anderen weißen Mittelstandsbuben prügeln.
       
       Nur der gefeierte Don DeLillo, der mit dem auf Deutsch nie erschienenen
       "End Zone" so etwas wie den Standard-Football-Roman geschrieben hat,
       versuchte sich auch einmal mit Eishockeybelletristik. "Amazons" hießen die
       fiktiven Erinnerungen der ersten Frau, die jemals in der National Hockey
       League gespielt hat. Bekannt geworden ist er vielleicht auch deshalb nicht,
       weil DeLillo das Buch nicht unter seinem Namen veröffentlicht hat. Cleo
       Birdwell, der Name der fiktiven Eishockeyspielerin, stand als Autorin auf
       dem Cover.
       
       Immerhin erwähnt Keith Gessen ein Eishockeybuch, das er großartig findet.
       Ken Dryden, einst einer der besten Torhüter der Welt, hat es geschrieben.
       In "The Game" erzählt Dryden, der es nach seiner sportlichen Laufbahn als
       Politiker bis zum Minister in Kanada gebracht hat, wie er als Torhüter 1979
       die Meistersaison der Montreal Canadiens erlebt hat, und unter welchem
       psychischen Druck ein Goalie in den wichtigen Spielen steht.
       
       Es ist bei allen faszinierenden Einblicken in die Welt des Profitums ein
       doch eher biederes Sportlerbuch. Über Druck haben auch andere
       uninteressante Bücher geschrieben. Erinnert sei hier an Oliver Kahns
       Machwerke.
       
       ## Josef Haslingers Roman "Jáchymov" spielt 1950 in Tschechien
       
       Vielleicht wird er ja nie geschrieben, der große US-Roman, der im
       Eishockeyumfeld spielt. Aber in Europa ist gerade einer erschienen. Der
       österreichische Schriftsteller Josef Haslinger hat eine der
       beeindruckendsten und bedrückendsten Geschichten aufgetan, die der
       Eishockeysport je geschrieben hat. Es ist die Geschichte von der Verhaftung
       und Zermürbung der tschechoslowakischen Eishockeynationalmannschaft durch
       die kommunistische Regierung im Jahr 1950.
       
       Haslinger erzählt sie als eine Art Romanbiografie entlang des Lebens des
       Prager Torhüters Bohumil Modrý, dessen Paraden der Nationalmannschaft der
       Tschechoslowakei 1947 und 1949 den Weltmeistertitel ermöglicht haben und
       1948 Silber bei den Olympischen Winterspielen in St. Moritz.
       
       "Jáchymov" heißt der soeben bei S. Fischer erschienene Roman Haslingers,
       wie der Kurort im Erzgebirge, der früher mal St. Joachimstal hieß. Kurort?
       Als solchen dürfte Bohumil Modrý das Städtchen im Erzgebirge nicht
       empfunden haben. Er und etliche andere Eishockeyweltmeister, die wegen
       ihrer Auslandskontakte wie Spione und Staatsfeinde abgeurteilt wurden,
       waren in Jáchymov als Lagerhäftlinge im Uranbergbau eingesetzt.
       
       Modrý, der zu 15 Jahren verurteilt worden war, auch weil er ein Angebot
       hatte, als Profi nach Übersee zu gehen, wurde nicht nur vom
       Aufsichtspersonal geschunden und geschlagen, er atmete auch so viel
       radioaktiven Staub ein, dass er 1963, acht Jahre nach seiner Begnadigung,
       regelrecht verreckt ist.
       
       Haslinger braucht die Geschichte von der Abwicklung einer ganzen
       Nationalmannschaft durch Verhaftung nicht groß auszuschmücken. Er gibt
       wieder, wie sich der Fall für Modrýs Tochter Blanka, die ihm die Geschichte
       berichtet hat, darstellt. Er hält sich als Literat zurück, wenn es ums
       Leben des Torwarts geht, und wird nur in der Rahmenhandlung zum Romancier.
       Was er sich dazudenkt zur Historie, sticht ein wenig ab gegen das, was
       wirklich passiert ist.
       
       Der DDR-Fallschirmspringer Anselm Findeisen, der an Morbus Bechterew
       erkrankt ist und genau in dem Kurort Linderung erfährt, in dem Modrý
       zermürbt wurde, wirkt arg ausgedacht. Im Buch ist er der Verleger, der von
       der Geschichte des Torhüters, die ihm dessen Tochter aufschreibt, so
       fasziniert ist, dass er ganz in Gedanken vor ein Auto läuft und angefahren
       wird. Eishockey hat einen großen Roman geschrieben.
       
       21 Sep 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Rüttenauer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Tschechien
       
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