# taz.de -- Historiker über deutschen Krieg in Namibia: "Immer noch eine offene Wunde"
       
       > Historiker Joachim Zeller über Deutschlands Kolonialvergangenheit,
       > gezielte Reparationen an Herero und Nama und warum die Kanzlerin nach
       > Namibia reisen sollte.
       
 (IMG) Bild: Mitglieder einer namibischen Regierungsdelegation führen in Berlin spontan eine Zeromonie vor.
       
       taz: Hereros vergleichen den deutschen Krieg in Namibia mit dem Holocaust. 
       
       Joachim Zeller: Der Krieg in Namibia war ein genozidaler Vernichtungskrieg
       und hat durchaus Parallelen zum Holocaust. In den namibischen Lagern wurden
       beispielsweise wie auch in den Konzentrationslagern des Dritten Reiches
       nicht nur kriegsführende Männer, sondern auch Frauen, Kinder, und Alte
       unterschiedslos inhaftiert und zu Zwangsarbeit verpflichtet.
       
       Über 100 Jahre sind vergangen. Warum soll man das jetzt wieder aufrollen? 
       
       Weil es ein ungelöster Konflikt ist. Auch Deutschland war, mit und ohne
       eigene Kolonien, immer am europäischen Kolonialprojekt beteiligt. Wir haben
       koloniale Strukturen wie ehedem, vor allem auf der Ebene der Wirtschaft.
       Afrika dient uns Industrieländern wie damals vor allem als
       Rohstofflieferant. Bisheute liegen Gebeine namibischer Kriegsgefangener in
       unseren Magazinen und geraubte Kulturgüter in unseren Museen. Bis heute
       sitzen deutschsprachige Weiße auf Herero-Land, das in der Kolonialzeit
       enteignet wurde. Und bis heute kämpfen Bevölkerungsgruppen um deren
       Rückgabe. Die Kolonialvergangenheit ist für die Betroffenen sehr präsent.
       Und wir müssen die andere Perspektive sehen.
       
       Deutschland hat seine koloniale Vergangenheit verdrängt. Warum? 
       
       Nach 1945 hat der Holocaust unsere Auseinandersetzung mit der Vergangenheit
       dominiert und der Rest ist in den Hintergrund gerückt. Wer aber schon
       einmal in Namibia war, weiß wie schmerzlich lebendig die Erinnerung an den
       Krieg zwischen 1904 und 1908 noch immer ist. Die Hereros und Namas wurden
       damals enteignet, und haben alles verloren. Das ist immer noch eine offene
       Wunde.
       
       Wird die Bundesregierung diesen Völkern, so wie sie es fordern,
       Reparationen zahlen? 
       
       Unter der Überschrift "Reparation" wird kein Euro fließen. Berlin will
       keinen Präzedenzfall schaffen, indem es für Kolonialverbrechen Reparationen
       zahlt, die auch noch als solche tituliert sind - denn dann würden noch ganz
       andere Fässer aufgemacht werden müssen. Niemand von den ehemaligen
       Kolonialmächten hat daran Interesse. Zudem führt die Bunderegierung nur
       Gespräche auf Regierungsebene, also von Berlin zu Windhoek. Die namibische
       Regierung sagt aber, wir kriegen von Deutschland Entwicklungshilfe und das
       reicht uns.
       
       Die namibische Regierung ist gegen Reparationen an ihr eigenes Volk?
       
       Die namibische Regierung wird von Ovambos geführt. Ovambos haben unter der
       deutschen Kolonialherrschaft weder Land verloren, noch viele Opfer zu
       beklagen gehabt. Sie sind zufrieden, denn der namibische Staat erhält
       exorbitant hohe Entwicklungshilfeleistungen - pro Kopf die höchsten, die
       Deutschland gibt. Die Ovambo-Regierung möchte außerdem nicht, dass es
       gesonderte Zahlungen an die Herero und Nama-Völker gibt, mit dem Argument,
       dass das den Tribalismus in Namibia anheizen könnte.
       
       Warum erkennen die Nama und Herero die Entwicklungshilfe nicht als
       Reparation an? 
       
       Die namibische Regierung kommt den Hereros nicht entgegen. Im Kernland der
       Herero sitzen heute noch weiße deutschsprachige Farmer. Es hat nur
       vereinzelte Aufkäufe von weißen Farmen gegeben, die dann in schwarze Hände
       übergeben wurden, aber keine wirklichen Fortschritte in der Landreform. Die
       Regierungbehauptet, sie hätte kein Geld dafür.
       
       Was wäre von der Bundesregierung ein angemessenes Verhalten diesem
       Völkermord und den betroffenen Menschen gegenüber? 
       
       Der Bundepräsident oder die Bundeskanzlerin - und keine zweitrangige
       Ministerin - müssten nach Namibia fahren und sich dort dazu bekennen, was
       geschehen ist. Wenn es um den Holocaust geht, bekennt man sich offen zu
       dem, was man verbrochen hat, in Bezug auf die Kolonialvergangenheit wird
       geschwiegen. Dort müsste man eine speziell auf die Herero und Nama
       fokussierte Reparation leisten. Das müssen keine Milliarden sein, sondern
       man kann beispielsweise dort ein Ausbildungszentrum bauen. Und das müsste
       in Form eines Dialogs stattfinden, damit die namibische Seite das Gefühl
       hat, dass sie ernstgenommen wird. So eine Geste könnte Wunden heilen. Die
       Menschen warten dort darauf.
       
       30 Sep 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Elena Beis
       
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