# taz.de -- Zwei Beiträge zur Integrationsdebatte: Der Beginn der Post-Sarazzin-Ära
       
       > Margot Käßmann predigt "Gastfreundschaft", die Schauspielerin Renan
       > Demirkan fordert "Respekt": zwei Buchvorstellungen zur
       > Integrationsdebatte.
       
 (IMG) Bild: Frau Käßmann bittet zu Tisch.
       
       Warum von Gastfreundschaft reden, wenn es doch eigentlich um Bürgerrechte
       geht? Das fragt Marjam Stibenz, die iranischstämmige
       Integrationsbeauftragte des Berliner Bezirks Mitte, Margot Käßmann, als
       diese am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in der Hauptstadt ihr neues
       Buch präsentiert.
       
       Es ist eine Art Anti-Sarrazin-Predigt und heißt "Vergesst die
       Gastfreundschaft nicht" – der Titel zitiert aus dem biblischen Hebräerbrief
       13,2. Stibenz soll es als Moderatorin im Zwiegespräch vorstellen. Doch sie
       hat Schwierigkeiten mit dem Begriff, weil er ihrer Meinung nach die
       Trennung in "wir" und "sie" fortschreibt. Das versucht sie der ehemaligen
       Kirchenratspräsidentin deutlich zu machen.
       
       Doch Margot Käßmann will Gastfreundschaft nicht als gönnerhafte Geste
       verstanden wissen. Es sei ihr vielmehr darum gegangen, "neue Bilder zu
       finden" für die Integrationsdebatte, jenseits von Schlagworten wie
       "Multikulti" und "Leitkultur", erläutert sie der Handvoll von Journalisten,
       die zu dem Pressetermin ins Verlagshaus gekommen sind. Und so kam sie auf
       den Esstisch als "Ort der vorurteilslosen Begegnung", "der Raum schafft für
       Annäherung", wie sie sagt. Das interkulturelle Abendmahl bildet so etwas
       wie das Leitmotiv ihres neuen schmalen Bändchens im handlichen
       Stéphane-Hessel-"Streitschrift"-Format.
       
       Interessant daran ist, dass Käßmanns Vorgänger als evangelischer
       Kirchenratspräsident, Bischof Huber, in seiner Amtszeit viel stärker auf
       Abgrenzung zum Islam bedacht war. Überhaupt sind die Protestanten in dieser
       Frage zerrissen – man denke nur an die evangelikalen Freikirchen, die in
       Deutschland eine nicht unerhebliche Rolle spielen.
       
       Ist es da ein Zufall, dass Käßmanns Nachfolger Nikolaus Schneider am selben
       Tag in Düsseldorf das Buch "Es geht doch!" mit Beispielen
       christlich-islamischer Zusammenarbeit vorstellte? Dabei appellierte er an
       die Gemeinden seiner Landeskirche, den Dialog mit Muslimen noch stärker zu
       suchen.
       
       ## Die Bibel als Migrationsgeschichte
       
       Auch Margot Käßmann richtet sich mit ihrem neuen Buch zuallererst an ein
       christlich vorgebildetes Publikum. Dieses erinnert sie daran, dass die
       Bibel im Grunde eine einzige große Migrationsgeschichte darstellt: Von der
       Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies über Abraham und Sarah, die als
       "Wirtschaftsflüchtlinge" in ein fremdes Land flohen, bis hin zu Josef, der
       sich "in Ägypten integrieren musste", so Käßmann.
       
       Zugleich macht sie kein Hehl daraus, wie kritisch sie die christliche
       Missionsgeschichte sieht. Viele Missionare hätten sich "nicht wie gute
       Gäste benommen", formuliert sie es noch freundlich.
       
       Am selben Abend, nur einige Ecken entfernt im Grünen Salon der Volksbühne,
       findet die Kölner Schauspielerin Renan Demirkan ein anderes Bild: Ausgehend
       von einem Schwarz-Weiß-Foto aus dem Sommer 1955 in Ankara, das sie selbst
       als Baby mit geballten Fäusten zeigt, geht sie in eine Meditation über
       Ausgrenzung und fehlende Anerkennung über. Der Greifreflex der Säuglinge
       dient ihr als Metapher für das urmenschliche Bedürfnis nach Respekt. "Am
       Anfang war der Halt", folgert sie.
       
       ## Von Albert Camus bis Aretha Franklin
       
       Sprachgewaltig und lebendig liest die Kölner Schauspielerin Passagen aus
       ihrem Buch vor, greift sich in die Haare, gestikuliert und plaudert mit
       ihrem leicht ergrauten Publikum, das sie seit Jahren von ihren Büchern und
       aus zahlreichen Fernsehkrimis kennt.
       
       Locker hangelt sie sich dabei von Erich Fromm zu Albert Camus, von Aretha
       Franklin zur Geburt des HipHops aus dem Ghetto, von Herbert Marcuse bis zu
       Nietzsches Diktum: "Was ist das Menschliche? Jemandem Scham zu ersparen."
       Dabei geht es ihr nicht nur um die Ausgrenzung von Migranten, sondern auch
       von Armen, Bildungsverlierern, alleinerziehenden Müttern und alten
       Menschen.
       
       Der Name Sarrazin fällt bei Demirkan kein einziges Mal. Doch es ist
       offensichtlich, dass er einen Anstoß für ihr Buch gab. Erst jetzt, ein Jahr
       danach, beginnen sich die Antworten auf ihn in den Buchläden zu stapeln.
       Das aber ist ein Zeichen, dass nun definitiv die Post-Sarrazin-Phase
       angebrochen ist.
       
       6 Oct 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Bax
       
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