# taz.de -- Vergewaltigte Gefängnispsychologin: Langsames Herantasten an das Leben
       
       > Die Gefängnispsychologin Susanne Preusker wurde von einem Patienten
       > vergewaltigt. Nun hat sie erstmals öffentlich aus ihrem Buch gelesen.
       > Gegenüber der Haftanstalt.
       
 (IMG) Bild: "Man muss gut aufpassen, was man sich wünscht."
       
       STRAUBING taz | Susanne Preusker sitzt ein Frosch im Hals. Sagt sie so. Ihr
       Gesicht ist gerötet, es glänzt im Scheinwerferlicht der TV-Teams. Sie sei
       nervös, sagt sie und entschuldigt sich mit schwacher Stimme. "Lauter!",
       ruft es aus den hinteren Reihen. Später im Interview wird Susanne Preusker
       ganz anders klingen: niedersächsisch klar, mit Timbre, mit der
       professionellen Zugewandtheit der studierten Psychologin.
       
       Aber jetzt hier auf dem Podium der Hugendubel-artigen Filialbuchhandlung
       Pustet, am prächtigen Theresienplatz im Zentrum von Straubing, vor 200
       Leuten, bei der ersten Lesung ihres Lebens aus ihrem ersten Buch, da macht
       sie all das durch, was zu einem Debüt im Literaturbetrieb nun mal
       dazugehört. "Man muss gut aufpassen, was man sich wünscht. Die Wünsche
       könnten in Erfüllung gehen", heißt es in ihrem Buch.
       
       Sie setzt neu an, zieht ihre Lederjacke aus, sitzt seitlich in schwarzer
       ärmelloser Bluse, eine schöne 51-jährige Frau, braungebrannt, mit langen
       blonden Haaren, in denen eine Sonnenbrille steckt. Susanne Preusker lebt,
       sie kann das hier, sie schafft das, sie räuspert den Frosch endgültig weg,
       sie ist nicht an dem Knebel erstickt wie ein anderes Opfer des Mannes, der
       sie zweieinhalb Kilometer von hier, im Hochsicherheitsknast dieser Stadt,
       gekidnappt, mit dem Tod bedroht und mehrfach vergewaltigt hat.
       
       Es ist nicht der erste Sieg von Susanne Preusker über den Täter, den sie
       zuvor vier Jahre in Therapie hatte; und der letzte kann es auch nicht sein.
       Überleben ist kein Zustand. Überleben ist ein Kampf, den man aufnimmt,
       immer wieder. Oder eben nicht.
       
       ## Nicht mehr von bayerischen Polizisten "angepöbelt" werden
       
       Von den ersten 24 Monaten dieses Kampfes, der am 7. April 2009 beginnt,
       berichtet die ehemalige Leiterin der Sozialtherapeutischen Station für
       Sexualstraftäter der JVA Straubing in ihrem Buch "Sieben Stunden im April".
       Im Sommer erschienen ist es schon in die zweite Auflage gegangen. Mit der
       Lesung in Straubing will sie Abschied nehmen von einer Stadt, die ihr ans
       Herz gewachsen sei, in der sie aber nicht mehr leben kann: schon deswegen
       nicht, weil sie nie mehr von einem bayerischen Polizisten "angepöbelt"
       werden möchte, wenn sie es versäumt, den Blinker beim Abbiegen zu setzen.
       
       Denn es sind 250 bayerische Polizisten, die rund um die JVA schon sehr bald
       nach dem Kidnapping Stellung beziehen - und dort dann stehen bleiben, bis
       der Täter aufgibt und beim Verlassen von Susanne Preuskers Dienstzimmer von
       SEK "überwältigt" wird, wie man die offizielle Darstellung
       dankenswerterweise im Straubinger Tagblatt nachlesen kann. Da findet man
       auch Sätze wie "Ein Spezialeinsatzkommando der Polizei, das für eine
       mögliche Erstürmung der Therapiestation bereitstand, brauchte nicht mehr
       einzugreifen", die Geiselnahme sei unblutig beendet worden.
       
       Was macht ein Mörder und Vergewaltiger sieben Stunden mit einer
       gekidnappten Frau? Und was macht die für ihr hartes Eingreifen berühmte
       bayerische Polizei in so einem Fall? Und was ist nun mit der
       Sicherungsverwahrung, mit der Therapiefähigkeit von Schwerkriminellen? Sind
       solche Fragen schon linker oder rechter Populismus? Sie wolle niemand in
       die Pfanne hauen, schreibt Susanne Preusker. Es gehe ihr auch nicht um
       Geld. Aber sie müsse diese Fragen stellen, auf die sie, sagt sie nach der
       Lesung, bis heute keine befriedigende Antworten bekommen habe. Sie sagt,
       man müsse darüber reden, ob der "Mann aus Niedersachsen" nicht recht habe
       mit seinem "Wegschließen - und zwar für immer".
       
       Sie hat Anzeige wegen unterlassener Hilfeleistung erstattet, die
       niedergeschlagen wurde. Sie und ihr Mann, der sie bei allen Lesungen
       begleitet, haben Widerspruch eingelegt. Susanne Preuskers Leben ist auch
       das: ein schwebendes Verfahren. Geheiratet hat das Paar zehn Tage nach der
       Tat.
       
       ## Früher Powerleben, heute Panikattacken
       
       Das Polizeipräsidium Straubing liegt genau gegenüber der Buchhandlung, für
       den 5. Oktober ist es erstaunlich mild, sogar Stechmücken sind noch
       unterwegs. Man habe mit Störern rechnen müssen, erzählt Susanne Preusker
       mit Blick auf die Security. Aber alles bleibt ruhig, die Stimmung geht ins
       Herzliche. Susanne Preusker schläft heute im Hotel, sie lebt jetzt in
       Magdeburg.
       
       Das hier heute Abend ist ein weiterer Schritt in ihrem neuen Leben, ein
       Leben, das sie sich nicht ausgesucht hat: Sie habe ihr altes einfach zu
       gern gemocht. Das lustige, das forsche, das karriereorientierte, das
       Powerleben. "Das war meins", sagt sie. Aber nun sei die Zäsur manifest.
       Ziele? Ja, eines: diese Spaltung irgendwann aufzuheben, wieder ein einziges
       Leben zu haben, eines, das sich nicht immer wieder aufzulösen droht in
       Vorher/Nachher, in Panikattacken, in diesem "Wattegefühl", wie sie es im
       Buch nennt.
       
       Aus dem liest sie dann über eine Stunde vor, das Publikum ist
       hochkonzentriert, aber nicht pathetisch ergriffen, wir befinden uns in
       Niederbayern. Die Fragen sind erwartbar: Wie sei es möglich, dass …? Welche
       Therapien habe sie …? Wie sei das Verhältnis zu Straubing? Beantwortbare
       Fragen. Es sind mehr Frauen als Männer gekommen, aber für eine Lesung in
       der Provinz auch wieder nicht ungewöhnlich viel mehr: Es ist eben auch der
       Event heute Abend in der schmucken 44.000-Einwohner-Stadt, die
       Konkurrenzveranstaltung heißt "Gesund durch Veränderung", Referent Heribert
       Rederer, Einhornapotheke.
       
       ## Privatfernsehen nicht erwünscht
       
       Susanne Preusker ist neben all dem, was sie speziell mit Straubing
       verbindet, eine nationale Medienfigur, nach zahlreichen Fernsehauftritten,
       Interviews und Porträts von FAS bis Spiegel. Heute Abend sind der BR und
       ein ZDF-Team von "Mona Lisa" vor Ort, die Kollegen vom Privatfernsehen
       hingegen müssen wieder abziehen, der Verlag möchte "das" mit den
       Öffentlich-Rechtlichen machen. Susanne Preusker sagt, sie rede nicht mit
       der Bild und nicht mit der Yellow-Press. Bisher darf der Versuch als
       geglückt gelten, ein Trauma und seine Bearbeitung gleichzeitig hart zu
       erzählen, professionell zu vermarkten und doch die Kontrolle über die
       eigene Geschichte zu behalten.
       
       "Sieben Stunden im April" funktioniert ein wenig wie ein Horrorfilm. Nach
       43 Seiten des Herantastens und Andeutens legt Susanne Preusker ein wenige
       Tage nach dem Verbrechen verfasstes Gedächtnisprotokoll vor. Sie weiß
       nicht, ob sie es noch einmal vorlesen wird, aber heute hier in Straubing
       wird sie. Man solle "bei mir nie sagen, dass ich mich irgendetwas nicht
       traue".
       
       Während sie das Kapitel liest, wird Susanne Preusker immer schneller. "K.
       sagt sehr selbstzufrieden, er hätte das Messer schon lange in seinem
       Haftraum versteckt. Den Sekundenkleber habe er über den Versandhandel
       bezogen. Zur Herkunft einer weiteren Kleberflasche, die er mir später noch
       zeigen wird, sagt er die ganze Zeit nichts."
       
       Wie wichtig dieser Text ist, wird erst später im Buch offenbar bei der
       Schilderung des Prozesses im Februar 2010, ein knappes Jahr nach der Tat.
       "Und als sich mein Mandant Ihnen sexuell genähert hat …?", fragt der Anwalt
       des Täters.
       
       "Er hat sich mir nicht sexuell genähert. Er hat mich vergewaltigt",
       antwortet Susanne Preusker.
       
       "Nun wollen wir uns doch mal nicht über Begriffe streiten, darum geht es ja
       nun nicht", erwidert der Anwalt.
       
       "Doch, Herr Verteidiger! Genau darum geht es. Um Vergewaltigung", sagt sie.
       
       Susanne Preusker hat ein Buch darüber geschrieben. Über Begriffe. Ein
       experimentelles Buch. Bei dem sie ihr eigenes Leben eingesetzt hat. Sie sei
       überhaupt nicht besonders mutig, sagt sie. Sie habe nur überlebt, weil sie
       keinen Fehler gemacht, weil sie den Täter nicht provoziert habe. Jetzt
       schreibt sie an einem Krimi, Tatort Straubing. Als die Freunde,
       Autogrammjäger und Journalisten die Buchhandlung verlassen, ist schon
       umdekoriert: Am 18. 11. liest Josef Bierbichler aus seinem Roman
       "Mittelreich", Eintritt 12 Euro. Susanne Preuskers Lesung gab es für 8
       Euro. So ist das Leben. Unverschämt und ungerecht. Leben halt.
       
       Susanne Preusker: "Sieben Stunden im April. Meine Geschichten vom
       Überleben". Patmos Verlag, 2011, 17,90 Euro
       
       10 Oct 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ambros Waibel
       
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