# taz.de -- Studie über Bezahlstudium: Uni-Gebühren schrecken nicht ab
       
       > Das Wissenschaftszentrum für Sozialforschung zeigt: Uni-Gebühren dämpfen
       > die Studierneigung nicht. Selbst Nichtakademiker-Kinder lässt die
       > Campus-Maut kalt.
       
 (IMG) Bild: Blechen für den überfüllten Hörsaal? Kein Problem, sagt selbst das Arbeiterkind laut Studie.
       
       BERLIN taz | Diese Nachricht ist ein Schock für alle Gegner von
       Studiengebühren. Die Campus-Maut schreckt offenbar nicht einmal die Kinder
       aus nichtakademischen Haushalten vom Studieren ab. Das ergibt eine Studie
       aus dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), das eine
       hohe Expertise bei der Erforschung von Bildungsarmut hat. "Mit keiner der
       durchgeführten Analysen kann ein negativer Effekt von Studiengebühren auf
       die Studierneigung identifiziert werden", schreiben die WZB-Forscher Marcel
       Helbig und Tina Baier. Sie fußen ihre Erkenntnis auf die Untersuchung der
       Daten von so genannten Studienberechtigtenbefragungen vor und nach
       Einführung von Studiengebühren.
       
       Die Studierneigung ist der sicherste Indikator für die Aufnahme eines
       Studiums. Das Hochschulinformationssystem fragt jeweils ein halbes Jahr
       nach dem Abitur Studienberechtigte, ob sie studieren wollen. Die Daten
       dieser befragten Gruppen haben sich Helbig/Baier genauer angesehen – und
       festgestellt, dass die Studierneigung auch in Ländern mit Studiengebühren
       nicht nachgelassen hat. Bei den Ländern, die Gebühren einführten, stieg die
       Neigung, an die Uni zu gehen, sogar stärker an als in Bundesländern ohne
       Studiengebühren.
       
       Zum Vergleich: Vor den Gebühren gaben 66,2 Prozent der Abiturienten an,
       studieren zu wollen; nach den Gebühren waren es 68,9 Prozent. Das ist zwar
       kein Panthersprung nach oben – aber das glatte Gegenteil des stets
       prophezeiten Einbruchs. Helbigs Analyse bestätigt eine reale
       Studentenzahlentwicklung in Österreich: Dort waren nach Einführung von
       Studiengebühren im Jahr 2001 die Karteileichen aus den Unis geräumt worden
       – anschließend zogen die Studentenzahlen kräftig an.
       
       Die Ablehnung von Studiengebühren war beinahe 20 Jahre lang der Fetisch
       ganzer Studentengenerationen – und auch dieser Zeitung. 2005 urteilte das
       Bundesverfassungsgericht, dass das Studiengebührenverbot des
       Hochschulrahmengesetzes nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei, da es in
       die Länderkompetenzen eingreife. Im Abschluss führten sieben Bundesländer
       Gebühren ein. Dagegen gab es wütende Proteste der Studierenden – einer der
       Demonstranten war der damalige Student Marcel Helbig selbst. "Ich konnte
       mir damals nicht vorstellen können, mit Gebühren zu studieren. Aber meine
       persönliche Meinung spielt keine Rolle."
       
       ## Suggestivfragen
       
       Die Daten, die Helbig jetzt ausgewertet hat, sprechen eine klare Sprache.
       Gebühren hätten sogar einen positiven Effekt. Studierende schätzten ihre
       Ertragsaussichten besser ein, wenn es Studiengebühren gibt. Dieser Effekt
       ist nach der Studie von Helbig und Baier "besonders bei Studienberechtigten
       aus nichtakademischen Haushalten festzustellen – also für jene Gruppe, bei
       der ein deutlich negativer Effekt der Studiengebühren auf die
       Studierneigung und damit ein Rückgang der Studienaufnahme vermutet wurde."
       
       Eine bisher als wichtigstes Argument für einen Abschreckungseffekt
       herangezogene Studie bewerteten Helbig und Baier negativ. Darin waren
       nichtstudierende Abiturienten nach dem Grund für ihre Ablehnung gefragt
       worden. "Eine solche Frage hat suggestiven Charakter", sagte Helbig der
       taz.
       
       "Wir werden diese Studie erst einmal eingehend analysieren", sagte der
       Sprecher des Wissenschaftsministeriums in Nordrhein-Westfalen (NRW) Dirk
       Borhart der taz. NRW werde die gerade abgeschafften Gebühren wegen einer
       Studie nicht wieder einführen.
       
       Die neue Studie hat die studentischen Gegner schweigsam gemacht. Die beiden
       bundesweit agierenden Studentenverbände freier zusammenschluss der
       studierendenschaften und Aktionsbündnis gegen Studiengebühren gaben trotz
       Anfrage keine Statements ab. Kein Wunder, behauptete das ABS bisher, dass
       alle zugänglichen bildungspolitischen Daten die bestehenden Einwände gegen
       Studiengebühren bekräftigten. "Studiengebühren errichten im Hochschulsystem
       zusätzliche Hürden, die die soziale Selektivität des gesamten
       Bildungssystems verstärken." Diese Aussage ist seit gestern nicht mehr
       haltbar.
       
       10 Oct 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Füller
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Studium
 (DIR) Studiengebühren
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Studenten aus Nichtakademiker-Familien: Informationen zum Aufstieg
       
       Abiturienten aus Nichtakademiker-Haushalten werden selten zum Studieren
       ermutigt. Das lässt sich leicht ändern, weisen Wissenschaftler nun nach.
       
 (DIR) Auswirkung von Studiengebühren: Gebühren schrecken doch ab
       
       Über 60.000 Abiturienten aus Nicht-Akademikerfamilien entscheiden sich
       gegen ein Studium. Das zeigt eine neue Untersuchung.
       
 (DIR) Kaum noch Zeit für die eigene Forschung: Die neuen Lehrsklaven
       
       Auf die Rekordzahl an Studierenden haben die Unis eine zweifelhafte Antwort
       parat. Sie heuern junge Mitarbeiter an, die viel lehren und schnell
       gefeuert werden können.
       
 (DIR) Erhebung zu Studiengebühren: Darf nicht sein, kann nicht sein
       
       Eine neue Studie besagt, dass Uni-Gebühren keine abschreckende Wirkung
       haben. Davon will nur niemand etwas wissen, in der Politik geht die
       Mehrheit über die Wahrheit.
       
 (DIR) Studentenwanderung nach Osten: Dann eben rüber
       
       Die Ost-Unis profitieren von den Rekordzahlen an Bewerbern für
       Studienplätze: Noch nie gab es so viele Studierende und noch nie so viele
       aus dem Westen.
       
 (DIR) Überfüllte Hörsäle: Die Grenze des Machbaren
       
       Turbo-Abi und Ende der Wehrpflicht: Nie gab es so viele Studienanfänger. Um
       den Ansturm zu bewältigen, werden Kinosäle angemietet und Rektoren
       ausquartiert.
       
 (DIR) Die Kultusministerkonferenz: Black Box der Unzuständigkeit
       
       Ewig interessierte sich niemand für die Kultusministerkonferenz. Jetzt
       treibt sie Gymnasien und Hochschulen an den Rand des Ruins – und
       Bildungsbürger auf die Barrikaden.
       
 (DIR) Kommentar Semesterstart an den Unis: Lieber klagen als jammern
       
       Es gibt zu wenige Studienplätze - ein gesellschaftlicher Missstand.
       Bewerber klagen immer mehr. Mal wieder regeln Gerichte das Unvermögen der
       Politik.
       
 (DIR) Semesterstart an den Universitäten: Der Kampf um die Plätze
       
       Zu viele Studenten für zu wenige Plätze. Die Folge: Immer mehr Studenten
       klagen ihren Studienplatz per Gericht ein. Aber auch die Universitäten
       rüsten juristisch auf.