# taz.de -- Missbrauchsskandal in Österreich: "Da ist jede drangekommen"
       
       > In einem Wiener Kinderheim sollen Mädchen über Jahre vergewaltigt und zur
       > Prostitution gezwungen worden sein. Eine Zeugin berichtet von
       > Todesfällen.
       
 (IMG) Bild: Prächtiges Bauwerk, unglaubliche Verbrechen: das Schloss Wilhelminenberg.
       
       WIEN taz | Serienvergewaltigungen im Kinderheim. Mit diesem Vorwurf
       beschäftigen sich derzeit Opferverbände und Einrichtungen der Stadt Wien.
       Nachdem vergangenes Jahr die Kindesmisshandlungen in kirchlichen Heimen und
       durch Soutanenträger ansatzweise aufgearbeitet wurden, fällt jetzt das
       Scheinwerferlicht auf ein Kinderheim der Stadt Wien, in dem sich
       jahrzehntelang unglaubliche Verbrechen abgespielt haben sollen.
       
       Seit zwei Schwestern, die im Heim am Wilhelminenberg aufgezogen wurden, in
       der vergangenen Woche den Stein ins Rollen brachten, haben sich bei
       Opferverbänden über 40 weitere Frauen gemeldet, die die Vorwürfe
       größtenteils bestätigen. Eingeschüchtert durch die Erzieherinnen hätten sie
       so lange geschwiegen. "Es wurde uns eingetrichtert: Ihr seid Lügner, ihr
       seid Heimkinder, ihr seid Zigeuner, euch glaubt man nicht, ihr seid der
       letzte Dreck", so ein anonymisiertes Opfer im ORF.
       
       Vergewaltigungen der halbwüchsigen Mädchen seien an der Tagesordnung
       gewesen. "Es war schrecklich. Auch die Gärtner, die Hausangestellten und
       die Erzieher haben uns vergewaltigt. Ich denke mir noch heute, die Erzieher
       mussten Freunde gehabt haben, die weitererzählten: 'Kommt vorbei, da sind
       Mädchen. Wenn ihr euch vergnügen wollt, dann könnt ihr sie vergewaltigen'."
       
       ## "Im Zimmer waren 20 Mädchen"
       
       "Es waren mehrere Männer. Im Zimmer waren 20 Mädchen. Da ist jede
       drangekommen", präzisierte ein Opfer. Die beiden Frauen, 47 und 49 Jahre
       alt, vermuten, die Mädchen seien regelrecht vermietet worden: "Im
       Nachhinein kommt es mir so vor, dass jemand für uns bezahlt wurde. Weil sie
       uns immer zurechtgemacht haben. Wir mussten Strumpfbandgürtel anziehen und
       durften uns nicht die Haare schneiden lassen."
       
       Anwalt Johannes Öhlböck, der die Schwestern vertritt und
       Entschädigungszahlungen von der Stadt Wien einfordert, zweifelt nicht am
       Wahrheitsgehalt der Vorwürfe: "Ich kann Ihnen sagen, die beiden Frauen sind
       unglaublich glaubwürdig und absolut authentisch. Eine Geschichte dieser Art
       kann man nicht erfinden."
       
       Öhlböck sprach bei einer Pressekonferenz am Dienstag auch von Todesfällen.
       Eine Frau, die von 1948 bis 1953 im Schloss Wilhelminenberg untergebracht
       war, habe die Schilderungen seiner beiden Mandantinnen "voll bestätigt" und
       sogar von Todesfällen berichtet. "Kinder sind zu Tode gekommen. Das Opfer
       hat das sehr authentisch geschildert." Details könne er derzeit jedoch noch
       nicht öffentlich machen, da sie noch Gegenstand von Untersuchungen seien.
       
       Die heute über 70-jährige Zeugin habe den Namen des Opfers wie auch des
       Täters genannt. Das Kind sei an den "unmittelbaren Folgen einer
       Misshandlung" gestorben. Von weiteren Todesfällen habe die Zeugin nur aus
       zweiter Hand Kenntnis.
       
       ## Diskussion über Verjährungsfristen
       
       Udo Jesionek, der Vorsitzende der Opfervereinigung Weißer Ring, der auch in
       seiner früheren Funktion als Jugendrichter viel gehört und erlebt hat,
       zeigte sich angesichts der neuen Vorwürfe "erschüttert". Von Misshandlungen
       im Schloss Wilhelminenberg habe er aber gewusst. Beim Weißen Ring sind seit
       dem Vorjahr über 30 Beschwerden eingegangen.
       
       Die Stadt Wien, die den Schwestern je 35.000 Euro an Entschädigung
       ausgezahlt hat, will eine Kommission einsetzen, die alle Vorwürfe genau
       untersuchen soll. Insgesamt hat die Stadt Wien bisher 173 Opfer
       entschädigt. Das Kinderheim wurde 1977 bereits geschlossen. Viele der
       beschuldigten Erzieher sind heute nicht mehr am Leben. Strafrechtlich sind
       die Verbrechen verjährt.
       
       Die jüngsten Enthüllungen haben aber eine Diskussion nicht nur über
       Strafverschärfungen, sondern auch über eine Verlängerung von
       Verjährungsfristen für Kindesmisshandlungen angestoßen. Die zehnjährige
       Verjährungsfrist beginnt zu laufen, wenn das Opfer das 28. Lebensjahr
       vollendet. Der grüne Justizsprecher Albert Steinhauser warnte am Montag
       allerdings davor, dass Strafgesetze keine rückwirkende Gültigkeit haben
       dürfen. Das widerspreche der Europäischen Menschenrechtskonvention.
       
       18 Oct 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Leonhard
       
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