# taz.de -- Neue Freiheit in Libyen: "Gaddafi wollte uns auslöschen"
       
       > "Es ist ein Gefühl von Freiheit, wie ich es nie gekannt habe", sagt ein
       > Tontechniker aus Nalut. Jetzt hat er einen Kulturverein für die lange
       > unterdrückten Berber gegründet.
       
 (IMG) Bild: Die Freiheit Begrüßen: Junge Amazigh feiern das vorläufige Ende der Repression auf dem Märtyrer-Platz in Tripolis.
       
       NALUT taz | Yahmed Slimen blüht sichtlich auf, sobald er durch die niedrige
       Holztür den schmalen, kühlen Gang betritt. "Willkommen im Ksar Lalut", sagt
       er. "Hier spüre ich meine Wurzeln, hier fühle ich mich zu Hause", sagt der
       kleine bärtige Mann und blickt das enge Gewölbe entlang.
       
       Das tausend Jahre alte Bauwerk liegt auf einem Berg in Westlibyen, unweit
       der Grenze zu Tunesien. Das Ksar (Burg) wurde von den Berberstämmen
       errichtet, den Amazigh, was übersetzt so viel wie "freies Volk" bedeutet.
       Ihnen gilt es als Symbol ihrer kulturellen Identität, mit eigenen Bräuchen
       und einer uralten Sprache, dem Tamazight.
       
       "Damals unter Gaddafi stellte mir die Polizei selbst hier oben nach",
       erinnert sich Slimen. "Damals", das ist gerade einmal acht Monate her.
       Nalut, die 30.000 Einwohner zählende neue Stadt neben der Burg und den
       Ruinen des alten Lalut, befreite sich gleich am ersten Tag der Proteste, am
       17. Februar 2011.
       
       Trotz schwerer Belagerung und Granatenbeschuss gelang es den Truppen von
       Oberst Muammar al-Gaddafi nicht, die Stadt zurückzuerobern. Im Mai
       verjagten die Menschen die Truppen schließlich ganz aus den Nafousabergen.
       
       "Es ist ein Gefühl von Freiheit, wie ich es nie gekannt habe", sagt Slimen
       und rückt sich dabei seinen gelb-grün-blauen Schal zurecht. Es sind die
       Farben der Amazigh-Kultur. "Gaddafi wollte unsere Kultur und Sprache
       auslöschen", sagt Slimen.
       
       ## Lesen und Schreiben lernen
       
       Im Jahr 1996, mit 28 Jahren, gründete er mit rund 20 anderen aus der Stadt
       ein Kulturkomitee. Es wurde nie zugelassen, die Mitglieder wurden verfolgt.
       "Gleichzeitig siedelte Gaddafi arabischsprachige Libyer an, um unsere
       Kultur in Bedrängnis zu bringen und Konflikte zu schüren. Es wurde uns
       sogar verboten, den Kindern Namen in unserer Sprache zu geben", berichtet
       Slimen. Das Namensverbot wurde erst 2004 gelockert. Fünf der sieben Kinder
       Slimens haben deshalb arabische Namen.
       
       Doch das war "damals". "Jetzt blüht unsere Kultur wieder auf", sagt Slimen
       freudig. Er selbst hat nach dem 17. Februar einen neuen Kulturverein
       gegründet. Dieser will eine Sprachschule errichten, um den Menschen Lesen
       und Schreiben in Tamazight beizubringen.
       
       Viel hat sich geändert in Nalut. Im ehemaligen Hauptquartier der
       Geheimpolizei sitzt Mohamed Abdel am Schreibtisch des einstigen
       Kommandanten. Der 36-jährige Tontechniker des ehemaligen Staatsrundfunks,
       der sich zwecks besserer Abstimmung der Propaganda mit der Geheimpolizei
       das Gebäude teilen musste, nennt sich heute stolz "Direktor von Radio
       Freies Nalut".
       
       "Wir senden seit dem 17. Februar in unserer Sprache", sagt er. "Zurzeit
       kann man uns nur in Nalut auf UKW hören, doch wir wollen in ganz Westlibyen
       senden." 1,5 Millionen Berber zählt der Weltkongress der Amazigh unter den
       knapp sechs Millionen Libyern. In ganz Nordafrika - von den Kanarischen
       Inseln über Marokko, Algerien, Tunesien bis hin zu Libyen und Ägypten -
       sind es insgesamt etwa 45 Millionen.
       
       ## Assimilierung schon vor Gaddafi
       
       Die Assimilierungspolitik Libyens habe, so Abdel, lange vor Gaddafi
       begonnen. Mit wenig Erfolg: Zwar sprechen alle hier perfekt Arabisch, doch
       nur mit Auswärtigen: "Wir haben unsere Sprache nie aufgegeben." Das Radio
       sei aber wichtig, da kaum jemand das Tamazight-Alphabet beherrsche.
       
       Vor dem Problem der Schriftsprache steht auch Hedi Bourgueg. Der 20-jährige
       Jurastudent macht nicht nur Radio, er arbeitet bei einer der drei
       mittlerweile entstandenen Zeitungen in Nalut mit. "Tziri n Lalut" - "Die
       Sonnen von Nalut" - heißt das achtseitige Blatt im DIN-A4-Format. Nur eine
       halbe Seite ist in Berberschrift geschrieben. "Der Rest ist Tamazight, aber
       mit arabischen Schriftzeichen. Nach und nach werden wir umstellen, sobald
       die Leute das Alphabet gelernt haben", sagt er.
       
       Bourgueg ist in nur wenigen Monaten zum Aktivisten der Berberkultur
       herangewachsen. "Ich war auf dem nationalen Berberkongress im September in
       Tripolis", erzählt er. Es war bereits das sechste Treffen dieser Art, aber
       das erste, das im Inland stattfinden konnte.
       
       Organisiert hat die Teilnahme von Bourgueg und anderen Jungen aus Nalut der
       63-jährige Slimen. "Ich selbst war nicht dort, es braucht neue Leute", sagt
       der Volksschullehrer bescheiden und berichtet davon, was bei dem Treffen
       herauskam. "Es geht uns nicht um politische Autonomie, das libysche Volk
       ist ein Volk", weist er ungefragt die Anschuldigung des Separatismus von
       sich.
       
       "Wir wollen, dass unsere Sprache und Kultur in der künftigen Verfassung
       anerkannt wird", denn "eigentlich sind alle Libyer Amazigh, auch wenn sie
       ihre Sprache und Kultur über die Jahrhunderte verloren haben."
       
       21 Oct 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reiner Wandler
       
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